Marcel Kittel (rechts) und André Greipel zählen zu den besten Sprintern der Welt. Foto: dpa

19 Etappensiege stehen bei der an diesem Samstag beginnenden Tour de France seit 2013 für deutsche Radprofis zu Buche. Entscheidenden Anteil daran haben die beiden Sprintstars Marcel Kittel und André Greipel. Aber es gibt auch noch andere Deutsche mit Erfolgsaussichten.

Stuttgart - Das sieht hier noch so gar nicht nach Tour de France aus. Von wegen Julihitze und so. Der Wind pfeift, jagt graue Wolken über den unruhigen Himmel, es hat keine 20 Grad. Die Normandie empfängt die Profis zur 103. Frankreich-Rundfahrt ziemlich rau, aber so ist er eben der Radsport. Hart. Und die zwölf Deutschen im Feld der 198 Rennfahrer sind eh bereits auf ihre Aufgabe fokussiert und brauchen kein Schmeichelwetter. Der Grund für die Konzentration ist klar – wenn das größte Radrennen der Welt losgeht, sind die Allemands seit einigen Jahren immer da.

Marcel Kittel sprintete zum Beispiel 2013 beim Start der 100. Tour auf Korsika gleich bei der ersten Etappe ins Gelbe Trikot. Seither hat der semmelblonde Thüringer noch weitere sieben Tour-Tagessiege auf seinem Konto verbucht, darunter 2013 und 2014 die Schlussetappe in Paris auf den Champs-Élysées, wo er als erster Deutscher gewinnen konnte. Im vergangenen Jahr wurde der 28-jährige Sprinter von seinem damaligen Team Giant-Alpecin wegen Formschwäche nicht für das große Spektakel nominiert. Verärgert wechselte Kittel nach Belgien zu Etixx-Quickstep, wo auch sein Thüringer Kumpel aus Jugendtagen, Tony Martin, unter Vertrag steht. Seither gewinnt er wieder, hat in diesem Jahr bereits zehn Siege erreicht, darunter zwei Etappen beim Giro d’Italia.

Erste Etappe: von Mont Saint-Michel an der Atlantikküste entlang bis Utah Beach

Mit dieser Referenz kann es für ihn an diesem Samstag bei der ersten Etappe von Mont Saint-Michel an der Atlantikküste entlang bis zum Utah Beach nur darum gehen, wie 2013 den Auftakt zu gewinnen und das Leadertrikot zu erobern. „Und dafür werde ich mit Wut im Bauch in die Pedale treten“, sagt er. Der Grund: am vergangenen Sonntag verlor Kittel bei den deutschen Meisterschaften in Erfurt den Sprint gegen André Greipel, wurde Dritter.

„Gorilla“ Greipel, der bei der Tour 34 Jahre alt wird, hat sogar schon zehn Etappensiege in Frankreich geschafft und ist ebenfalls ein Sprinter von Weltformat. In diesem Jahr war Kittel bisher erfolgreicher, und der bullige Rostocker Greipel sagt denn auch bescheiden: „Die Tour ist ein anderes Rennen als die Deutschen Meisterschaften.“ Gewinnen will freilich auch er zum Auftakt.

Vieles spricht dafür, dass die deutschen Profis ihre Erfolge bei der Tour mit 19 Etappensiegen seit 2013 weiterführen können. Zumal die beiden Edelsprinter und der dreifache Zeitfahrweltmeister Tony Martin nicht die einzigen sind, die auf den 21 Etappen über knapp 3600 Kilometer Akzente setzten können.

John Degenkolb fühlt sich wieder gut auf dem Rad

Auch John Degenkolb ist nach seinem schweren Trainingsunfall im Januar wieder in Form, der fast abgerissene Finger an der linken Hand soweit verheilt, dass er sein Velo sicher steuern kann. Und der Frankfurter hat noch eine Rechnung mit der Tour offen, ein Etappensieg fehlt dem Gewinner von Paris-Roubaix und Mailand-San Remo 2015 noch. „Ich fühle mich wieder gut auf dem Rad“, sagt Degenkolb.

Er hofft auf seine Chance im Team Giant-Alpecin, das zwar einen heimischen Großsponsor hat und auch unter deutscher Flagge fährt, aber eigentlich eine holländische Equipe ist, die mit dem Franzosen Warren Barguil auch im Gesamtklassement Ambitionen hat. Kurzum – eine so breite Unterstützung wie Kittel und Greipel hat „Dege“ nicht. Deshalb ist es auch nicht erstaunlich, dass er am Ende des Jahres die Mannschaft verlassen wird.

Bora Argon 18 will mit neuem Sponsor 2017 in die erste Liga des Radsports aufsteigen

Sein Teamkamerad Simon Geschke, der Berliner mit markantem Bart und hartem Tritt, verblüffte bei der Tour 2015 mit einem Sieg in Pra Loup in den Alpen. Der 30-jährige Edelhelfer fuhr ein knapp 50 Kilometer langes Solo mit Schlussanstieg erfolgreich zu Ende und heulte im Ziel vor Glück als gäbe es kein Morgen. Im Frühjahr 2016 kam Geschke nur langsam in Form, hatte immer wieder Infekte. Aber jetzt laufe es gut, sagt der Mann, der auch für den extrem schweren Kurs der Olympischen Spiele in Rio nominiert wurde. Ob er bei der Tour noch einmal freie Fahrt wie 2015 bekommt, hängt davon ab, wie aussichtsreich sich Kapitän Barguil schlägt. „Ich hoffe, dass ich meine Chance bekomme“, sagt er.

Diese Sorgen hat Emanuel Buchmann nicht. Der junge Mann von Bodensee fährt bei Bora Argon 18, einem nicht nur auf dem Papier deutschen Team. Die Mannschaft aus dem bayerischen Rosenheim setzt auf die 23-jährige Rundfahrhoffnung. „Emu“ zeigte 2015 in den Pyrenäen mit einem dritten Platz auf einer Etappe über den Tourmalet sein Potenzial. Der Teamchef Ralph Denk traut ihm einen Platz unter den besten 20 zu. Und er hofft, dass seiner Equipe bei ihrer dritten Teilnahme (immer mit Wildcard) der erste Etappensieg gelingt.

Das wäre auch ein wichtiger Schritt auf dem geplanten Weg von Bora zu einem erstklassigen World-Tour-Team. Die Bayern wollen 2017 aufsteigen und haben bei der Suche nach Geldgebern einen dicken Fisch geangelt. Der Armaturenhersteller Hansgrohe Deutschland aus dem Schwarzwald wird künftig neben Bora Hauptsponsor des Teams. Am Freitag wurde der Deal in Saint-Lô verkündet, Teamchef Denk kann jetzt Verstärkungen für seine junge Mannschaft suchen. Jetzt ist aber für die Allemands erst einmal Rennen angesagt.