„The Name: Face 3“, ein Bild der syrischen Künstlerin Rasha Deeb Foto: Rasha Deeb

Auf gefährlichen Wegen gelang der syrischen Künstlerin Rasha Deeb die Flucht nach Tübingen. Nun versucht sie, ein neues Leben aufzubauen – ein Leben, das nicht nur aus Fluchtgeschichten besteht.

Stuttgart - Rasha Deebs Wohnzimmer ist hell eingerichtet. Die Möbel sind überwiegend von einer schwedischen Möbelkette. Das Zimmer und seine Einrichtung ähneln den unzähligen Studentenzimmern in Tübingen. Auch Deebs Aussehen, die mittellangen, leicht rötlichen Haare sind ganz sicher nicht irgendwie auffällig. Von den vielen Studenten, die sich abends auf den Treppen der Stiftskirche aufhalten, ist die 28-jährige kaum zu unterscheiden. Doch die junge Frau sagt, dass sie trotzdem nicht dazugehören kann. Denn viele Leute sehen in ihr nicht Rasha, sondern eine Geflüchtete.

Als in Syrien 2011 der Krieg begann, arbeitete Rasha Deeb dort als Künstlerin. Sie studierte und schloss ihr Studium der Bildhauerei ab. Nebenher unterrichtete sie Kunst. Als Malerin und Bildhauerin konnte sie gut leben, hatte mehrere Ausstellungen in Syrien, Libanon und der Türkei. Damaskus war noch bunt und vielfältig. Es gab nicht nur viele Künstler, die verschiedenen Religionen und Kulturen lebten relativ entspannt nebeneinander. Immer, wenn Rasha heute von Damaskus erzählt, wechselt Sie vom Englischen ins Deutsche und beginnt Sätze mit „Kuck!“. Dann zeigt sie mit Teetassen, wie weit ein Viertel vom anderen entfernt liegt. „Mein Deutsch ist noch so ein bisschen-bisschen. Für den Bäcker und Supermarkt reicht es. Für ein fehlerfreies Interview muss ich noch üben.“

Einzig das Malen ist für die Künstlerin ein Stück Normalität. Gerade waren ihre Bilder im Stuttgarter Theaterhaus zu sehen, im Rahmen der Aktion „Heimat: X“. Der Autor und Dramaturg Thomas Richhardt will in dieser Reihe geflüchteten Künstlern eine Chance geben, sich in ihrem neuen Heimatland vorzustellen. Neben Kunstausstellungen gab es schon Konzerte und Tanzveranstaltungen. Die Idee kam Richhardt, als er sich überlegte, was er selbst als Geflüchteter in einem anderen Kulturkreis machen würde: „Natürlich würde ich versuchen, weiter als Autor zu arbeiten“. So entstand die Reihe „Heimat: X“; das X stehe für das Unbekannte. Man müsse sich erst kennenlernen, dann könnte man auch voneinander lernen, so Richhardt. Die Resonanz ist positiv. „Arbeit schafft auch Heimat“, erklärt Richhardt. Einige Künstler kommen durch das Projekt mit anderen Kulturinstitutionen in Kontakt. Und allen Künstlern sei es gelungen, Teile ihrer Kultur einem heimischen Publikum zu vermitteln und das Fremde vertrauter zu machen.

Auf der Balkanroute wurde die Kunst zur Medizin

„Das Dorf meiner Familie war nicht direkt vom Krieg betroffen“, erzählt die Künstlerin Rasha Deeb. Aber ihre Familie hatte Angst vor dem IS, da sie Christen sind. Deeb versuchte zunächst, mit Hilfe eines Künstler-Stipendiums zu fliehen. Sie hatte schon einen Platz, doch dann verhinderten die Kriegswirren die Reise. Deshalb sei ihr nur der Weg übers Meer geblieben.

Auf dem Weg Richtung Deutschland, der Deeb über die Türkei und die Balkanroute führte, war die Kunst oft wie eine Medizin. „Unter den hunderten, oder tausenden Menschen habe ich versucht zu zeichnen und so den schrecklichen Bildern zu entfliehen.“ In Kroatien waren bis zu 4000 Flüchtlinge in einem Camp. „In manchen Ländern gab es Registrierungen und ein System, da lief die Durchreise fast reibungslos ab. In anderen Ländern wurden Menschen wie Tiere behandelt.“ In den Ländern ohne Organisation sei es immer wieder auch zu Gewalt gekommen.

Oft wurde die Künstlerin gefragt, was sie denn da mit Block und Stift machen würde. Besonders die Polizisten waren am Anfang misstrauisch. Im Gespräch wurde sie dann oft nach dem Islam gefragt und warum sie kein Kopftuch trage. Sie antwortete, dass sie Christin sei. „Das hat viele Leute überrascht“.

Entscheidend ist, ob man Muslima ist oder Christin

Solche Situationen kommen auch jetzt noch vor: „Menschen fragen mich, ob ich Flüchtling bin. Wenn ich erzähle, dass ich Künstlerin und Christin bin, merkt man den Leuten die Überraschung an“, sagt Deeb. Es sei absurd, wie wichtig solche Details für das Urteil der Menschen wären. „Es fühlt sich so an, als hätte eine Mutter ein Lieblingskind“, meint Deeb. Zuerst sei man das normale Kind, ein gewöhnlicher Flüchtling. Wenn die Leute dann herausfinden, dass sie Christin sei, würden die Gesprächspartner sie plötzlich behandeln „wie das Lieblingskind“. Dann aber muss Deeb irgendwann zugeben, dass sie weder an den christlichen Gott glaubt noch allgemein religiös ist. Das sei vielen Gesprächspartnern aber völlig egal.

Mehrere Monate nach ihrer Flucht lebt Rasha Deeb in Tübingen und besucht einen Deutschkurs. Die Künstlerin versucht, ein normales Leben zu führen. Sie fühlt sich in Deutschland sicher. „Sobald ich aber auf mein Handy schaue, die Bilder des Krieges auf Facebook sehe, dann fühlt man sich wieder wie im Krieg“, erklärt Deeb die Suche nach dem Alltag.

Als der Film vom Krieg läuft, fangen die Beine zu zittern an

Deeb konnte schon mehrmals ihre Werke der Öffentlichkeit präsentieren. Dabei steht aber nicht der kommerzielle Aspekt im Vordergrund. „Ich will mit meiner Kunst eine Botschaft vermitteln“, sagt sie. Wenn sie malt, dann seien natürlich die Schrecken des Krieges immer ein Teil von ihr und ihrer Kunst. Damit will sie Aufmerksamkeit schaffen. „Ein Teil von mir ist in Syrien gestorben.“ In Deutschland fühle sie sich wiedergeboren, die Erinnerung sei dennoch geblieben. Deeb kämpft gegen den Krieg. Ihr Projekt „Human“ setzt sich mit Adam und Eva auseinander. Adam steht für den Mann, der trotz Wohlstands Krieg treibt. Eva ist die Verkörperung eines nach Frieden strebenden Wesens. „New baby for a new war“ soll die verzehrende Kraft des Krieges zum Ausdruck bringen. Die Werke verbinden alle die Schrecken des Krieges.

Die Erinnerung an Krieg und Zerstörung sitzen noch tief. Im Deutschkurs sah Deeb kürzlich einen Film über den zweiten Weltkrieg. „Unsere Beine fingen an zu zittern, als wir die Geräusche der Bomben hörten“. Ähnliche Erlebnisse hatten viele Geflüchtete, als sie in einer Ausstellung das Bild eines Schlepperbootes sahen. Viele weinten oder standen minutenlang schweigend vor dem Bild. Aber nicht nur Flüchtlinge, auch ältere Deutsche würden den Krieg in den Bildern wiedererkennen. „Wer einen selbst Krieg gelebt hat, der ist anders als der, der ihn nur in den Medien gesehen hat“.

„Ich will nicht ewig nur die Geflüchtete sein“

Außerdem will die Künstlerin ein modernes Bild von Syrien vermitteln und genau jene Klischees abbauen, denen sie selbst im Alltag begegnet. „Viele Leute denken nur an den Islam und den Hidschab, wenn sie an Syrien denken“. Doch das eintönige, fundamentalistische Bild von Syrien sei schlichtweg falsch.

Ihre Aufenthaltserlaubnis gilt noch für zwei Jahre. Nach dem Deutschkurs hofft sie, auch weiterhin als Künstlerin arbeiten zu können. Da das in Deutschland wirtschaftlich schwierig sei, kann sie sich auch eine Arbeit als Restauratorin oder in der Lehre vorstellen. „Aber egal, was es später mal sein wird“, sagt Rasha Deeb, „ich will nicht ewig nur die Geflüchtete sein.“