Einfach ein schöner Ort: Die Gerlinger wussten, warum sie sich für die Solitude verkämpften. Foto: factum/Granville

Die Grenze geht mitten durch den Wald: Auf der einen Seite liegen die Kliniken – auf Markung Gerlingen. Auf der anderen das Schloss – auf Markung Stuttgart. Vor 75 Jahren hat Gerlingen den Teilort Solitude nach Stuttgart abgeben müssen.

Gerlingen - D ie Gerlinger lieben „ihre“ Solitude noch immer – auch wenn das Areal vom Schloss bis zum kleinen Prominentenfriedhof seit 75 Jahren den Stuttgartern gehört. Kaum ein Besucher, der nicht hier herauf geführt wird und dem man den herrlichen Blick übers Strohgäu bis Ludwigsburg zeigt. Seit 1853 gehörte die „Teilgemeinde Solitude“ zum Dorf Gerlingen. Das sollte sich mitten im Krieg ändern. Was weniger am Schloss und seinem Drumherum lag, als an dem Gebäude, das damals nur 700 Meter Luftlinie davon entstand. Darin sollte eine Gebietsführerschule für die Hitlerjugend entstehen. Die wurde aber nie fertig; in den Fünfzigern machte man daraus ein Lungensanatorium.

Geheimplan in Stuttgart

Die Umgemeindung wurde 1941/42 geheim geplant – als die Gerlinger davon erfuhren, ging der Bürgermeister Karl Mayer Anfang 1942 mit dem Gemeinderat Gänßle nach Stuttgart zur Reichsstatthalterei. Ihnen wurde beschieden, „dass der Herr Reichsstatthalter schon seit längerer Zeit die Eingemeindung der Solitude und nunmehr auch des Geländes mit dem Neubau der Gebietsführerschule nach Stuttgart wünsche“ – so ist aus einem Gemeinderatsprotokoll im Heimatblatt „Die Gerlinger und ihre Solitude“ zitiert. Umzustimmen gab es nichts, Protest war sinnlos, zum 1.4.1942 wurde der Verwaltungsakt vollzogen. Gleich nach dem Krieg begannen die Gerlinger damit, die Solitude zurückzuholen. Ein Antrag der Stadt auf „Rückgliederung“ wurde zunächst abgelehnt, daraufhin ein Prozess vorbereitet. Am 27. Juni 1951 gab es einen Vergleich: Schloss Solitude und Umgebung blieben bei der Stadt Stuttgart, diese gab 42 Hektar Wald und das Gelände der heutigen Kliniken zurück.

All dies ist sehr viel ausführlicher im Heimatblatt und anderen Publikationen geschildert. Eine gründliche wissenschaftliche Arbeit zum Thema hat die heutige Strohgäu-Extra-Redakteurin Franziska Kleiner 1997 veröffentlicht. Deren Titel: „Solitude und Gerlingen. Wechselwirkungen zwischen Dorf, Schloss und Domäne“; sie ist im Stadtarchiv einzusehen. Auch mit anderen Schriften hilft man dort gerne.

Gerlinger schildern ihre Erinnerungen

Was sie mit dem Areal hoch droben verbinden, haben uns einige Gerlinger geschildert. „Ich liebe die Solitude an einem frühen Sommer-Sonntagmorgen im Sonnenlicht oder dann, wenn die Kastanien blühen“, schreibt Ilca Fleig. „Mir kommt immer die winterliche Ski- und Schlittenfahrt in den Sinn, mit der Option, dies auch im Sommer auf Salz zu tun“, erinnert sich Erhard-Heinrich Müller – ebenso wie an den Schreibtisch von Herzog Carl Eugen mit dem Bauch-Ausschnitt. Hans Wörner hat die Solitude in Kindertagen in die Gegend von Engstingen auf der Reutlinger Alb verortet. Sein Vater sei damals Lehrer im Kriegsblindenlazarett auf der Solitude gewesen und die Familie habe in Engstingen gewohnt. „Wenn Vater nach Hause kam, erzählte er so anschaulich von der Solitude, vom Schloss, von Hausmeister Kerlers Hund und dass er von der Schlosskuppel aus bis zum Albrand sehen kann. Mir war klar, das kann nicht weit weg sein.“

Kommt man heute zur Solitude, trifft man beim Schloss häufig auf einen Fotografen, immer wieder auf ein Brautpaar und meist auf junge Leute. Des Herzogs Lusthaus, die Kapelle und der Ausblick sind beliebt, nicht nur bei Akademie-Studenten.