Dekra-Auto-Chef Clemens Klinke Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Die Autos, die VW mit manipulierter Software auf den Markt brachte, hatten alle eine Zulassung, wenn auch nicht von der Dekra. Der Stuttgarter Konzern sieht im VW-Skandal dennoch einen Grund für gesetzliche Konsequenzen.

Herr Klinke, der Volkswagen-Konzern hat jahrelang Abgasmessungen für seine neuen Modelle manipuliert. Hätte das den Prüforganisationen nicht auffallen müssen?
Für die Prüfung neuer Fahrzeugmodelle gibt es genaue Regeln, die detailliert beschreiben, was wie geprüft wird – und was nicht. Der Prüfzyklus ist bis ins Detail definiert und für alle Prüfer gleichermaßen verbindlich.
Selbst diese genauen Vorschriften haben aber nicht ausgereicht, um die Schummeleien bei VW zu erkennen.
Das ist leider richtig. Heute ist klar: Die Vorschriften und die Prüfumfänge müssen verbessert werden, gerade angesichts der steigenden Bedeutung der Elektronik im Fahrzeug. Zumal ein Prüfer nicht einfach sagen kann: Nach den Vorschriften hat dieses Fahrzeug zwar bestanden, aber ich prüfe einfach mal weiter.
Müsste aber nicht genau das geschehen, um Betrug zu erschweren?
Wenn man auf eigene Faust weiterprüfen würde, würde das kein Kunde bezahlen. Das wäre so ähnlich, als würden wir bei der Hauptuntersuchung einfach Dinge prüfen, die gesetzlich überhaupt nicht verlangt sind. Hinzu kommt, dass der Hersteller die Wahl hat, welche Organisation das Auto prüft, das er auf den Markt bringen will. Er kann sich seinen Prüfer in der gesamten EU aussuchen.
Wo liegt dann der Fehler im System, der zum VW-Skandal geführt hat?
Ich würde nicht von einem grundsätzlichen Fehler im System sprechen, aber die Vorschriften haben nicht mit der Technik Schritt gehalten. Da schließt die neue Gesetzgebung, die schon lange vor dem Skandal vorbereitet wurde, jetzt viele Lücken. Abgesehen davon muss man wissen: Eine Typgenehmigung läuft anders, als wenn Sie zum Beispiel für Ihr Auto einen Anhänger basteln würden. Den müssten Sie einem Gutachter vorführen, der jedes Einzelteil genau überprüft und dann über die Vorschriftsmäßigkeit genau dieses einzelnen Fahrzeugs, also dieses Anhängers, entscheidet. Bei großen Serien sieht das naturgemäß anders aus.
Wird ein Automobilhersteller besser behandelt als ein Bastler?
Die Automobilhersteller werden anders behandelt. Ihnen wird zu Recht eine größere Verantwortung übertragen, da sie für die Typprüfung alle Vorschriften ohne Ausnahmen erfüllen müssen. Ein großer Hersteller verantwortet nach der Genehmigung selbst – und bestätigt das auch –, dass alle Autos, die er baut, dem Fahrzeug entsprechen, für das er einmal eine EG-Typgenehmigung bekommen hat.
Auch die Legalität der Software kann sich der Hersteller selbst bescheinigen?
Die Prüfung der Software selbst ist im definierten Zyklus bisher nicht enthalten. Geprüft werden Funktionalitäten, also das Ergebnis oder die Wirkung einer Steuersoftware.
Der Prüfer muss also etwas zertifizieren, was er gar nicht geprüft hat.
Die Software selbst wird nicht zertifiziert. Der Hersteller bestätigt, dass das Fahrzeug und seine Messwerte die Vorschriften erfüllten.
Könnte eine Software überhaupt geprüft werden?
Die Programme sind heute extrem umfangreich, und es ist nur schwer zu erkennen, wenn irgendwo eine Programmzeile mit einer verbotenen Funktion versteckt ist. Wenn man dann noch in Betracht zieht, wie viele Modelle neu auf den Markt kommen und geprüft werden müssen, ist eine solche Prüfung sehr anspruchsvoll.
Bei VW hat die Software erkannt, dass das Auto getestet wird, und dann die Abgaswerte gesenkt. Gibt es eine solche Software nur bei VW?
Einen Testmodus braucht jedes Auto, denn sonst wäre eine Fahrzeugprüfung gar nicht möglich. Moderne Fahrzeuge sind mit so vielen Sensoren ausgestattet, dass sie sofort bemerken, wenn sie auf einem Prüfstand sind. Denn dort drehen sich beispielsweise bei einem frontgetriebenen Fahrzeug zwar die Vorderräder, nicht aber die Hinterräder. Und während sich die Räder immer schneller drehen, registrieren die Beschleunigungssensoren, dass das Fahrzeug sich nicht bewegt. Ein Testmodus verhindert, dass die Elektronik in einem solch ungewöhnlichen Fahrzustand versucht gegenzusteuern.
Was ist dann der Unterschied zwischen einer Test- und einer Schummel-Software?
Die legale Software sagt dem Auto, dass es wegen der ungewohnten Fahrsituation nicht gegensteuern soll. Eine Schummel-Software nutzt diese notwendige Funktion, um gezielt die Abgaswerte zu beeinflussen. Bei VW wurde auf dem Prüfstand die Abgasreinigung eingeschaltet, die ansonsten nicht oder nicht vollständig arbeitet. Das ist verboten.
Die Deutsche Umwelthilfe wirft nun Mercedes vor, ebenfalls mit unlauteren Methoden zu messen. In der Tat liegt der Ausstoß von Stickoxiden in der Realität um bis zu 25-mal höher als auf dem Prüfstand. Ist der Vorwurf berechtigt?
Mercedes begründet das mit dem Bauteilschutz. Dieser erlaubt es, die Funktion der Abgasreinigung in bestimmten Situationen herunterzufahren, um Beschädigungen zu verhindern. Ist es zu kalt, lagert sich zum Beispiel Harnstoff, der zur Reinigung in die Abgase eingespritzt wird, in der Abgasanlage ab. Das kann dazu führen, dass die Abgasreinigung nicht mehr funktioniert und Bauteile in der Werkstatt ersetzt werden müssen.
Ist es somit legal, was Mercedes gemacht hat?
Abweichungen bei der Funktion der Abgasreinigung sind unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Ob die Software bei Mercedes diesen Regeln entspricht, kann ich nicht beurteilen.
Solche riesigen Abweichungen können aber doch nur vorkommen, weil die Tests so weit weg sind von der Realität.
Fahrzeuge wurden bisher darauf optimiert, die Tests zu bestehen. Das ist nicht illegal. Das Auto kann – durch diese Ausrichtung auf die Tests – im normalen Verkehr, der vom Testzyklus abweicht, schlechter sein. Die Prüfstandsverfahren liefern reproduzierbare und vergleichbare Ergebnisse, die aber oft erheblich vom individuellen realen Fahrbetrieb abweichen.
Das kann ja nicht so bleiben.
Das wird auch nicht so bleiben. Die geplanten neuen Testverfahren sind da sehr hilfreich. Der künftige Prüfzyklus WLTP (Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicle Testing Procedure) wird dazu führen, dass schon auf dem Teststand realistischere Bedingungen herrschen und auch höhere Geschwindigkeiten erreicht werden. Das Ganze wird überdies kombiniert mit einem Test, bei dem im realen Verkehr gefahren und gemessen wird. Die Ergebnisse kommen der Realität dann sicher viel näher, auch wenn die persönliche Fahrweise weiterhin einen großen Unterschied machen wird. Zudem wird Manipulation schwieriger, wenn sich die Unterschiede zwischen Test- und Realbetrieb verringern.
Zu den Merkwürdigkeiten der heutigen Testverfahren zählt ja auch, dass die Fahrzeuge geradezu präpariert werden. Fugen werden abgeklebt und Stromverbraucher ausgeschaltet. Ist das nicht ebenfalls grenzwertig?
Kein Mensch fährt im realen Verkehr mit abgeklebten Fugen. Es kann eigentlich nicht sein, dass bei der Typprüfung so gefahren wird. Mal abgesehen davon, ob solche Einzelmaßnahmen überhaupt etwas bringen: Da war der Spielraum früher zu großzügig, er wurde aber schon vor dem Abgasskandal teilweise eingeengt. Die neue, vom EU-Parlament beschlossene Gesetzgebung hat nicht nur die Prozedur angepasst, sondern engt auch diesen Spielraum weiter ein.
Millionen Autos müssen ja in regelmäßigen Abständen zur Hauptuntersuchung. Warum hat man überhöhte Abgaswerte nicht längst bei diesen vielen Prüfungen festgestellt?
Weil die Abgase bei modernen Fahrzeugen nicht mehr gemessen werden, sondern man nur noch die Daten der On-Board-Diagnose auswertet. Man verlässt sich auf die Werte, die die Software des Autos liefert. Doch der Fall VW dürfte hinlänglich gezeigt haben, warum das Auslesen von Daten allein nicht ausreicht. Die Software schließt aus der Funktion der Systeme, dass das Abgas sauber sein müsste. Das muss aber nicht zwingend stimmen. Deshalb sollte bei Hauptuntersuchungen künftig wieder der tatsächliche Abgasausstoß gemessen werden – mit einer Sonde im Auspuff. Denn am Ende zählt doch, was hinten rauskommt.
Die Abgase gelten auch als wichtige Ursache der hohen Feinstaub-Belastung in Stuttgart. Sind Fahrverbote das richtige Rezept?
Am Neckartor ist die Luft in der Tat stark belastet. Ich wundere mich manchmal, dass wir über flächendeckende Fahrverbote reden, ohne vorher ganz einfache Möglichkeiten ausprobiert zu haben. Wenn es regnet, ist die Belastung weg – und in Tunneln ebenso, denn dort wird der Feinstaub einfach abgesogen. Doch wenn sich Feinstaub absaugen und auswaschen lässt – warum versucht man es dann nicht erst einmal damit, die Strecke mit einer Kehr- und Absauganlage regelmäßig zu reinigen? Dann wird der Feinstaub mit Wasser gebunden und weggefegt. Ein Reinigungsfahrzeug so umzubauen wäre sicher kein Hexenwerk. Ich finde, das könnte einen Versuch wert sein.
Bliebe noch der Feinstaub aus Industrie und Heizungen . . .
. . . gegen den Fahrverbote allerdings nichts ausrichten können.
Deutschland diskutiert über die Förderung des Elektroautos. Kann es dabei helfen, schon die Entstehung von Feinstaub zu verringern?
Der Motor selbst stößt beim E-Auto zwar keine Schadstoffe aus. Aber ein Teil der Emissionen kommt auch vom Reifenabrieb und den Bremsen, die Aufwirbelung kommt noch hinzu. Somit produziert auch ein Elektroauto Feinstaub. Und ganz abgesehen davon: Weil Benziner zunehmend eine Direkteinspritzung haben, wird Feinstaub auch beim Ottomotor zum Thema. Da wird man um Partikelfilter nicht herumkommen.
Bisher steht vor allem der Diesel im Ruf, den Feinstaub zu verursachen.
Der Diesel mit moderner Abgasreinigung ist weit besser als sein Ruf.
Um einen neuerlichen Diesel-Skandal zu vermeiden, schlägt Bundesverkehrsminister Dobrindt vor, dass die Hersteller ihre Fahrzeuge von regelmäßig wechselnden Prüforganisationen zertifizieren lassen müssen. Sind die Prüforganisationen zu nah dran an den Herstellern?
Unabhängigkeit ist ein ganz wichtiger Baustein unserer DNA. Deshalb begrüßen wir diesen Vorschlag, denn er sorgt dafür, dass gar nicht erst der Anschein entstehen kann, den Prüfern fehle es an Unabhängigkeit. Bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gibt es das Rotationsprinzip ja schon.