Beata Szydlo ist Polens Regierungschefin, doch der wirklich starke Mann ist Jaroslaw Kaczynski. Foto: PAP

Formal hat er kaum Macht, doch tatsächlich gibt Jaroslaw Kaczynski in Polen den Ton an. Die Opposition hat darauf noch keine Antwort.

Warschau - Es gibt Momente, in denen die Existenz Jaroslaw Kaczynskis angezweifelt werden könnte. Nicht etwa, weil er von der Bildfläche verschwunden ist. Im Gegenteil: Kaczynski ist überall. Sein Name beherrscht den politischen Alltag im Parlament, die Diskussionen im TV, die Kommentarspalten in den Zeitungen und die Gespräche in der Warteschlange am Kiosk oder am Kaffeehaustisch. Das ist erstaunlich, da es sich bei Kaczynski um einen einfachen Abgeordneten des polnischen Sejm handelt. Zugegeben, er ist Fraktionsvorsitzender der nationalkonservativen Partei PiS, die den Präsidenten und die Regierungschefin stellt. Formal aber hat Kaczynski keine Macht – und doch scheint er das ganze Land zu beherrschen. Seine Anhänger huldigen ihm und hoffen, dass er wieder Ordnung in die ihrer Meinung nach von der Modernisierung und Globalisierung entfesselte Gesellschaft bringt. Seine Kritiker warnen, dass Kaczynski im Begriff sei, in dem Land eine Art „weiche Diktatur“ zu etablieren. Zwischen diesen beiden Polen scheint es nichts zu geben. Der Eifer, mit dem die verbalen Schlachten geschlagen werden, lässt keinen Raum für Zwischentöne.

Das Paradebeispiel der Gegner Kaczynskis ist der Streit um das Verfassungsgericht. Staatspräsident Andrzej Duda hatte sich geweigert, fünf noch von der alten Regierung bestellte Verfassungsrichter zu vereidigen, was bis dahin eine reine Formalität war. Stattdessen wurden diese Richter durch neue, offensichtlich loyalere ersetzt. Jerzy Stepien, ein ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichtshofes, sprach daraufhin von einem Staatsstreich. Nach dieser Warnung formierte sich der Widerstand – zuerst im Internet, dann im realen Leben. Inzwischen gehen fast jedes Wochenende Tausende Menschen gegen die Reformen der Regierung auf die Straße. Gegenüber dem Sitz der Premierministerin wurden Zelte aufgebaut, eine Mahnwache soll dort die Demokratie verteidigen.

Nur Missverständnisse mit der EU und Deutschland?

„Ohne die Angriffe auf das Verfassungsgericht würde es die Proteste nicht geben“, sagt Michal Sutowski. Dieser Schritt habe die Gesellschaft polarisiert. Der Redakteur der Zeitschrift „Krytyka Politiczna“ glaubt, dass „die meisten Polen zuvor wahrscheinlich noch nie etwas von dem Gericht gehört haben.“ Wie die meisten Intellektuellen rätselt auch er, welche Ziele Jaroslaw Kaczynski verfolgt. Sutowski vermutet, dass der Chef der nationalkonservativen Partei keine Ideologie in sich trage, sondern nur daran arbeite, seine Macht auf Jahre hinaus zu zementieren.

Die Frage nach dem Ziel der Regierungspolitik könnte ein Vertreter der PiS am besten selbst beantworten. Doch sind die Politiker aus den Reihen der Kaczynski-Partei eher zurückhaltend, was Anfragen von Journalisten angeht. Der stellvertretende Außenminister Konrad Sczymanski erklärt sich schließlich zu einem Gespräch bereit. „Natürlich kann ich die Bedenken aus dem Ausland verstehen“, beginnt er seine Erklärungen. „Schließlich herrscht in Polen eine außergewöhnliche politische Situation, da eine einzige Partei den Präsidenten und die Premierministerin stellt.“ Er sieht darin aber kein Problem. Im Ausland sei man nur besorgt, glaubt der Minister, weil es in letzter Zeit viele Missverständnisse gegeben habe, was man aber relativ schnell klären könne. Im selben Atemzug versichert er die Solidarität Polens mit der Europäischen Union und natürlich mit dem großen Nachbarn Deutschland. Allerdings, schränkt er ein, habe die Flüchtlingspolitik das Klima ziemlich belastet.

Parteiübergreifend Einigkeit beim Nein zu Flüchtlingen

Das Flüchtlingsthema hat zu einem Schulterschluss über Parteigrenzen hinweg geführt. Die deutsche Willkommenskultur wird von sehr vielen Polen mit völligem Unverständnis quittiert. Die Politik der EU wird aber noch deutlicher als Angriff auf die staatliche Souveränität kommentiert. Die Opposition im Sejm kritisiert zwar die brüsk ablehnende Haltung der eigenen Regierung, doch mit Forderungen zur Aufnahme von Flüchtlingen hält sie sich auffallend zurück. „Das ist kein Thema, das bei den Wählern ankommt“, gibt Ryszard Petru offen zu, „aus diesem Grund greifen wir es nicht auf.“ Der Chef der liberalen Partei Nowoczesna (Moderne) weiß, dass er in den Umfragen als zweitstärkste Kraft hinter Kaczynskis PiS rangiert. Diese Position möchte er nicht durch unpopuläre Äußerungen gefährden. Schließlich wisse man nie, ob es zu vorgezogenen Neuwahlen komme, orakelt der Stratege der Macht. Was er damit meint, sagt er lieber nicht.

Die Vertreter der Opposition sind allgemein eher einsilbig oder verlieren sich im Allgemeinen. Offensichtlich sind sie noch zu beeindruckt vom politischen Kantersieg der nationalkonservativen PiS, die die ehemals regierende Bürgerplattform PO nach acht Jahren an der Macht förmlich hinweggefegt hat. Die Parteien warten jetzt nach eigenen Aussagen erst einmal ab, ob Kaczynski tatsächlich beginnt, seine Wahlversprechen einzulösen.