Deutsche U21: Nach dem Elfmeterschießen gegen England im EM-Halbfinale. Foto: dpa-Zentralbild

Die Liga dreht immer aggressiver an der Kommerzschraube und der Kunde zahlt den Preis. „Immer mehr Pay-TV-Sender, immer zerpflücktere Spieltage“, ärgert sich unser StN-Autor.

Stuttgart - Noch ist nicht klar, mit wie viel Empfangsgeräten die Zielgruppe des Welt-Unternehmens Bundesliga in Zukunft zu rechnen hat. Weil die Firma ihr Produkt aber immer aggressiver vermarktet, müssen die Käufer mit steigenden Kosten rechnen. Sky ist Pflicht, der Eurosport-Player unverzichtbar und wer mitreden will, sollte sich noch den Streamingdienst von Dazn leisten. Ein Smart TV, so groß wie eine Schultafel, gilt als besonders hilfreich. Ein leistungsstarker Internet-Anschluss mit einem Lastwagen voll Mbit könnte auch nicht schaden. Und ob ein Spieler nur niest oder tatsächlich auf den Platz rotzt, vermag nur zweifelsfrei zu entscheiden, wer das Geschehen gestochen scharf in neuester HD-Technik verfolgt. Die Kirschen auf der Sahnetorte sind jedoch eine verlässliche Terminplanung und die umfassende Information zu jeder Tages- und Nachtzeit. Der VfB Stuttgart könnte ja mal am Freitag, Samstag, Sonntag oder auch am Montag spielen. Noch dazu zu unterschiedlichen Anstoßzeiten und in veränderter Formation. Wer soll da noch ohne Breaking-News und die Erinnerungsfunktion im Smartphone-Kalender den Überblick behalten?

VfB hat bisher wenig zu bieten

Weltverbesserer und Berufspessimisten warnen seit Jahren vor dem Umstand, den jeder Handwerker beherzigt, der an einer Schraube dreht: nach fest kommt ab. Man darf die Causa eben nicht übertreiben. Aber das Geschäft mit der Emotion boomt. Und wo Gefühle ins Spiel kommen, hat es der Verstand nicht leicht. Der VfB Stuttgart hat bisher kaum mehr zu bieten als eine leidig konkurrenzfähige Mannschaft. Und den einzigen Spieler, der ohne Zuhilfenahme eines Orthopäden den Übersteiger beherrscht, lassen sie zu einem Konkurrenten im Kampf um den Klassenverbleib ziehen: Alexandru Maxim, Mainz 05. Aber die Fans stehen sich im Verlangen nach einer Dauerkarte die Beine in den Bauch. Das Stehplatzticket gibt es für 198 Euro, das Doppelte bis Dreifache kosten die Sitzplätze auf der Haupttribüne. Als Gegenleistung liefert die Bundesliga ein Kräftemessen mit den Aktiengesellschaften aus München, Hamburg, Dortmund, Wolfsburg oder Leverkusen. Besetzt mit tatsächlichen und vermeintlichen Stars, die just von denen dazu gemacht werden, die sich vom Geschäft mit dem Kick die höchsten Renditen versprechen.

Botox-Opfer auf dem Bonzensteg

Es ist vermutlich kein Fehler darauf hinzuweisen, dass der Fußball-Betrieb einmal damit begann, dass sich schwer arbeitende Kerle am Samstagnachmittag im Feinripp und mit der Bierflasche in der Hand auf den Weg ins Stadion machten. Mütter zerrten ihre Kinder von der Straße. Das war, als der Fußball noch etwas Urwüchsiges, Abenteuerliches und Unbändiges hatte, ein gelebter Ausdruck gegen die Konvention und Angepasstheit. Heute stöckeln in schwere Parfumwolken gehüllte Botox-Mumien vom Vip-Parkplatz über den Bonzensteg auf ihre beheizte Sitzchen und schicken Kaskaden von Selfies in ihre gut vernetzte Umwelt. Natürlich ist das Leben kein Zustand, sondern ein Prozess. Trotzdem ist es gut zu wissen, dass es schon mal anders war.

Die Angst der Engländer vor dem Elfmeter

So betrachtet hat es fast etwas Rührendes, wenn uns die Krawatten vom Weltfußballverband (Fifa) derzeit mit dem Konfed-Cup quälen, der seine Daseinsberechtigung vermutlich aus dem Umstand bezieht, dass er einen Tick unterhaltsamer ist, als die ständigen Wiederholungen im Fernseh-Sommerprogramm. Es gibt jetzt den Videobeweis, der vorwiegend der Gerechtigkeit dient – und der Erkenntnis, dass auch Schiedsrichter im Umgang mit neuen Techniken irrlichtern können. Und es gibt die U-21-EM, die im Halbfinale zwischen England und Deutschland eine Tradition festigte, die geeignet ist, den Groll über den nur noch nervenden Kommerzfußball zu lindern. Die Tommies verlieren immer im Elfmeterschießen.

gunter.barner@stuttgarter-nachrichten.de