Hext seit 60 Jahren: Otfried Preußlers Kinderbuchklassiker ist am 1. September 1957 erschienen. Foto: dpa

Otfried Preußler hat sich für sein Buch „Die kleine Hexe“ eine Heldin ausgedacht, die schlecht zaubert, aber viel Gutes bewirkt – und die am 1. September 60 Jahre alt wird.

Stuttgart - Sechzig Jahre erst? So jung? Man hört sie prustend lachen, die Bande von Berg-, Wald-, Sumpf-, Knusper-, Kräuter-, Wetter- und Wasweißnochfür-Hexen, die sich jedes Jahr zur Walpurgisnacht auf dem Blocksberg versammeln. In Hexenkreisen müsste an die sechzig noch eine Null dran, um Eindruck zu machen.

Sechzig Jahre – so alt wird Otfried Preußlers Kinderbuch „Die kleine Hexe“ an diesem Freitag; am 1. September 1957 hat es der Stuttgarter Thienemann-Verlag erstmals veröffentlicht. Und weil heute der Markt, auch der für junge Leser, rasant schnelllebig ist, macht das für Hexen jugendliche Alter bei einem Buch doch Eindruck. Welche Neuerscheinung wird in sechzig Jahren das Zeug zum Klassiker der Kinderliteratur haben? Nicht nur der aktuell zu ehrenden Jubilarin, sondern dem ganzen literarischen Personal Otfried Preußlers vom „Kleinen Wassermann“ bis zu „Krabat“ glückte eine enorme Erfolgsgeschichte.

Einhundertsiebenundzwanzig Jahre alt ist die kleine Hexe zu Beginn einer Geschichte, an deren Ende eine scheinbar fest gefügte hierarchische Ordnung auf den Kopf gestellt ist. Nicht nur die wohltuend freche, die antiautoritäre Pädagogik vorwegnehmende Haltung der Titelheldin lässt die kleine Hexe bis heute ziemlich jung aussehen. In einer Zeit, die Sängerinnen und Schauspielerinnen für ihren Mut lobt, feministische Positionen zu beziehen, bleibt auch die kleine Hexe die Vorkämpferin, die sie schon immer war. Dieselbe Empathie, mit der sie der bedauernswerten Frau eines Trunkenbolds zur Seite steht, hat sie für alle, die Mitgefühl brauchen, ob mittellose Holzsammlerinnen und bedürftige Blumenverkäuferin, ob geschundene Kreatur und hilflose Kinder.

Zeitlose Fragestellungen: Was ist gut? Was ist böse?

Was ist gut? Was ist böse? Es ist diese zeitlose Fragestellung, die Otfried Preußlers Bestseller zu Grunde liegt – und ihn frisch hält. Junge Menschen wissen heute mehr denn je um die Widersprüche einer komplexen Zeit; sie sind täglich damit konfrontiert, dass zum Beispiel ein US-Präsident Trump die Frage nach dem richtigen Handeln anders beantworten würde als die deutsche Kanzlerin. Nicht moralinsauer, sondern mit viel Humor schickt Otfried Preußler seine Heldin und ihren altklugen Raben Abraxas ins Rennen gegen Ungerechtigkeiten aller Art. Als die kleine Hexe beim Walpurgis-Tanz erwischt wird, an dem sie wegen ihres jugendlichen Alters eigentlich gar nicht hätte teilnehmen dürfen, muss sie versprechen, bis zum nächsten Jahre „eine gute Hexe zu werden“. Was die kleine Hexe nicht weiß: „Gut“ bedeutet für den Hexenrat maximale Gemeinheit. „Nur Hexen, die immer und allezeit Böses hexen, sind gute Hexen“!, stellt die Oberhexe beim Schlusstribunal klar.