Gleichgeschlechtliche Paare auf Hochzeitstorten: Foto: dpa

Am 1. Oktober tritt die von einer Mehrheit im Bundestag beschlossene Ehe für alle in Kraft, ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung von Homosexuellen. Oder werden Verfassungsrichter den Beschluss zunichtemachen?

Stuttgart - Der 1. Oktober ist für viele Homosexuelle ein Tag zum Feiern – eigentlich, denn dann tritt das im Juni im Bundestag beschlossene Gesetz der Ehe für alle in Kraft: Schwule und Lesben können fortan standesamtlich heiraten wie heterosexuelle Paare auch. Der Bundestag hat am 30. Juni mit deutlicher Mehrheit (393 Jastimmen gegen 226 Neinstimmen) beschlossen, dass die Eheschließung in Deutschland kein Privileg zwischen Männern und Frauen ist. Da steuerliche Vorteile für Homosexuelle in eingetragenen Lebenspartnerschaften ohnehin geltend gemacht werden konnten, hat der Beschluss vor allem Symbolwert. Konkret wird es für gleichgeschlechtliche Paare jetzt leichter sein, Kinder zu adoptieren. Doch der Stichtag ist vom Ausgang der Bundestagswahl überschattet – genauer gesagt, vom Einzug der AfD in den Reichstag. Die Rechtspopulisten zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Gesetzentwurfs und hatten angekündigt, ihren neuen Fraktionsstatus für eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu nutzen.

Die schul-lesbische Community stellt sich auf Debatten ein

Auch Politiker anderer Parteien wie Thomas de Maizière und Volker Kauder (beide CDU) hatten den Gesetzentwurf als rechtlich unausgegoren bezeichnet. De Maizière beispielsweise räumte einer Verfassungsklage Erfolgschancen ein, da aus seiner Sicht für die Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare eine Änderung des Grundgesetzes nötig sei. In der schwul-lesbischen Community stellt man sich deshalb weiterhin auf hitzige Debatten ein. „Es geht jetzt darum, die Gegner argumentativ zu stellen“, sagt Christoph Michl, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Christopher Street Day (CSD) Stuttgart. „Die AfD wird versuchen, unsere über lange Jahre hart erkämpften Erfolge zurückzudrehen oder zumindest unsägliche Debatten auf großer Bühne loszutreten“, befürchtet Michl.

Die Heiratswilligkeit von Homosexuellen hält sich bis jetzt in Grenzen. Das belegen auch die Zahlen des Stuttgarter Standesamtes. „Es sind 35 Termine bis Ende des Jahres vereinbart“, sagt Martin Thronberens, Sprecher der Stadt. Acht davon seien neue Eheschließungen und 27 Umwandlungen bereits bestehender eingetragener Lebenspartnerschaften. Das erste Stuttgarter Paar werde an diesem Montag getraut. Landesweite oder gar bundesweite Erhebungen gibt es noch nicht. Aktuellen Zahlen zufolge leben in Stuttgart 1618 Homosexuelle in eingetragenen Lebenspartnerschaften, zwei Drittel davon Männer. Im selben Verhältnis sind jetzt auch die Eheschließungen angemeldet.

Ehe für alle schaffe „Wertebeliebigkeit“, meint die AfD

Auf einen gewaltigen Andrang werden sich die Standesämter auch künftig nicht gefasst machen müssen, glaubt Christoph Michl vom Stuttgarter CSD: „Die Freude, dass es diese Möglichkeit nun endlich gibt, ist dennoch riesengroß.“ Prognosen darüber abgeben, zu wie vielen Eheschließungen homosexueller Paare es mittelfristig kommen wird, will er nicht: „Das wäre Kaffeesatzleserei.“ Unabhängig davon, wie es sich letztlich entwickelt, bezeichnet Michl die Ehe für alle als „Meilenstein“ auf dem Weg zur gesellschaftlichen Gleichstellung sexueller Minderheiten.

Die AfD bewertet den Bundestagsbeschluss ganz anders. Aus der Sicht des Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland schafft die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Menschen eine „Wertebeliebigkeit“, die der Gesellschaft schade. Auch wenn die AfD für den Antrag, eine Verfassungsklage gegen die Ehe für alle zu prüfen, Schützenhilfe bräuchte, weil mindestens ein Viertel des Bundestags dafür stimmen müsste: Unmöglich wäre das mit einigen konservativen Köpfen aus CDU und CSU, die ohnehin gegen die sogenannte „Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ gestimmt hatten, zumindest rein theoretisch nicht. Zu den prominenten Gegnern gehört auch Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Homosexuelle haben lange für Gleichberechtigung gekämpft. Der Umgang mit der Minderheit gehört zu den dunkelsten Kapiteln der deutschen Nachkriegsgeschichte. Bis 1969 standen homosexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe. Wiederholungstätern drohte wegen „widernatürlicher Unzucht“, wie das in dem Paragrafen genannt wurde, sogar Gefängnis. Das Justizministerium will die 140 000 Opfer der aus heutiger Sicht widerrechtlichen Strafverfolgung durch den sogenannten Schwulenparagrafen 175 entschädigen. Historiker haben jetzt in den Archiven der Stadt Tübingen Dokumente gefunden, die belegen, dass homosexuelle Häftlinge im Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg wegen des Auslebens ihrer Sexualität bis in die späten 60er zur „freiwilligen Selbstentmannung“ getrieben wurden, sprich: zur Kastration. Die Auswertungen des Landesarchivs, die das ganze Ausmaß dieser Praxis in Baden-Württemberg enthüllen soll, dauern noch an.

Subtile Formen der Diskriminierung sind noch verbreitet

Nach der Straffreiheit folgte die schrittweise Gleichstellung Homosexueller in fast allen Lebensbereichen. Dies bedeutet aber nicht das Ende gesellschaftlicher Diskriminierung. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes erklärte 2017 zum Themenjahr für sexuelle Vielfalt. In einer Umfrage fand sie unter anderem heraus, dass fast ein Fünftel der Befragten Homosexualität unnatürlich findet. Mehr als ein Viertel will mit dem Thema möglichst wenig in Berührung kommen. Rund 40 Prozent fänden es unangenehm, wenn das eigene Kind lesbisch oder schwul ist. Verbreitet seien subtile Formen der Diskriminierung, hieß es. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ermittelte jüngst, dass der Stundenlohn bei homo- und bisexuellen Männern niedriger ist als bei gleichqualifizierten Heterosexuellen in vergleichbarer beruflicher Stellung. Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland fordert, Homophobie solle ausdrücklich im Strafgesetzbuch als Motiv für Hasskriminalität genannt werden.

Wie dem Lobbyverband ist es auch dem CSD-Geschäftsführer Christoph Michl ein Anliegen, dass der Artikel 3 des Grundgesetzes, dass niemand „wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen“ benachteiligt oder bevorzugt werden dürfe, um den Zusatz „sexuelle Orientierung“ ergänzt werden soll – und dass Schwule Blut spenden dürfen, ohne glaubhaft versichern zu müssen, dass sie ein Jahr lang keinen Geschlechtsverkehr gehabt haben.