Eine große Lebenskunst: Optimist zu bleiben Foto: fotolia

„German Angst“ ist im Angelsächsischen ein geflügeltes Wort. Sind die Deutschen wirklich solche Pessimisten, wie immer wieder Umfragen nahelegen? Eine Spurensuche.

Stuttgart - Krisen, wohin das Auge schaut: Ukraine-Krise, Finanz- und Währungskrise, Umwelt-Krise, Grexit-Krise, Job-Krise . . . Überall scheint es nur noch den Bach runterzugehen. Ein Blick in die Zeitungen und Fernsehnachrichten – schon wird’s einem mulmig in der Magengegend.

Ach herrje! Noch nie waren die Zeiten so schwer wie heute. Vor allem für uns Deutsche. Während die Griechen allen Grund zum Klagen haben, sehen selbst sie der Zukunft frohgemuter entgegen. Und hierzulande? Tristesse und Trübsal allerorten.

Viele Deutsche sehen schwarz für die Zukunft

Aktuelle Umfragen scheinen dies zu belegen: Da sehen dem Meinungsforschungsinstitut Forsa zufolge die Chefs deutscher Kliniken pessimistisch in die Zukunft. Der Mittelstand ist verunsichert und fürchtet eine „Megakrise“. Nicht viel besser ist es um die Gemütslage vieler Bürger bestimmt.

Laut Emnid sehen 52 Prozent von ihnen pessimistisch in die Zukunft und erwarten, dass sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland in diesem Jahr verschlechtern wird. Ein Lichtblick: 32 Prozent der Befragten lassen sich ihren Optimismus trotz aller Hiobsbotschaften nicht nehmen.

Im angelsächsischen Sprachraum hat man für diese kollektive Verunsicherung das Schlagwort „German Angst“ geprägt. Angst vor den Risiken der Kernkraft, vor Grippeepidemien, vor einer neuen Finanzkrise – und überhaupt vor dem Weltuntergang durch Atomkrieg oder Klimakatastrophe.

„German Angst“ – ein geflügeltes Wort

Für den Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer – dessen neues Buch „Die deutsche Ehe. Liebe im Schatten der Geschichte“ im März erscheint – ist „German Angst“ kein Hirngespinst. „Durch die unglaubliche Destruktivität des Nationalsozialismus und den organisierten Völkermord hat das deutsche Selbstgefühl einen bleibenden Schaden erlitten, der unbewusst gespeichert ist. Daher kommt auch die Mentalität der Deutschen: Noch geht es uns gut, aber irgendwann kommt das böse Ende.“

Bedenkenträger, Schwarzseher, Skeptiker, Unheilsprophet, Unkenrufer – die deutsche Sprache kennt eine Vielzahl von Synonymen für den Pessimisten in uns. „Jedem denkenden Menschen ist doch klar, dass das Leben schlecht ausgeht“, betont Psychologe Schmidbauer. „Erst werden wir älter, dann kränker, verlieren liebe Menschen, und am Schluss sterben wir selber.“

Der Optimist habe die Fähigkeit, den schlechten Ausgang ignorieren zu können, der Pessimist dagegen sei näher an der Realität. „Aber der Optimist fühlt sich wohler, es geht ihm besser.“ Der Optimist ein Meister der Verdrängung, der Pessimist ein Trauerkloß, und irgendwo dazwischen verortet sich der Realist, der von sich meint, über allem zu stehen und besonders gewieft zu sein.

Optimismus – nichts anderes als „verkappter Fatalismus"?

Optimismus ist für Schmidbauer „verkappter Fatalismus“. Nach dem Motto: „Ich beschäftige mich erst dann mit den schlechten Dingen, wenn sie nicht mehr zu leugnen sind. Bis dahin ich davon aus, dass schon alles gut geht.“ Eine solche Haltung sei zwar naiv, bestimme aber nachhaltig das Bewusstsein vieler Menschen.

Auch die gegenteilige Einstellung beobachtet Schmidbauer immer wieder: Nach außen präsentiere man sich als perfekte Familie oder perfektes Paar. Weil aber niemand allen alles recht machen könne, mache man sich selbst und gegenseitig Vorwürfe. „Viele Kinder haben bereits das Gefühl, auf dünnem Eis zu gehen. Noch geht es gut, aber so kann es nicht bleiben.“

Ein Narr, wer keine Angst kennt. Angst ist eine lebenswichtige Kraft – für Optimisten, Pessimisten und Realisten gleichermaßen. Die Amygdala (auch Mandelkern genannt) ist ein Kerngebiet des Gehirns und Teil des Limbischen Systems, das der Verarbeitung von Emotionen und der Entstehung des Triebverhaltens dient. Sie ist ein wichtiges Steuerungszentrum für Angst und Panik, ohne das man Situationen emotional nicht bewerten und Gefahren einschätzen könnte.

„Wir brauchen unser Angstzentrum. Ohne es würden wir einen Unfall nach dem anderen erleiden“, schreibt die irische Neurologin Elaine Fox in ihrem Buch „In jedem steckt ein Optimist. Wie wir lernen können, eine positive Lebenseinstellung zu gewinnen“ (2014). Wenn sich dieses Alarmsystem verselbstständige, „kann der Betreffende von Gefühlen der Angst und der Verzweiflung überwältigt werden“.

Die Last der Vergangenheit

In einer Gesellschaft wie der deutschen, die im internationalen Vergleich zu den politisch und wirtschaftlich stabilsten gehört, sei die Angst vor allem narzisstischer Natur, erklärt Schmidbauer. Sie äußere sich vor allem als Angst vor dem Verlust des mühsam Erreichten. „Es ist evident: Je mehr eine Gesellschaft oder ein Individuum besitzt, desto größer ist auch die Angst, es zu verlieren.“

Fast jeder dritte Erwachsene leidet mittlerweile an einer psychischen Störung. Die Krankenkassen und Rentenversicherungen verzeichneten in den vergangenen Jahren eine kontinuierliche Zunahme der Krankschreibungen und Frühverrentungen wegen psychischer Erkrankungen. Psychische Krankheiten und Befindlichkeitsstörungen werden heute sehr viel häufiger diagnostiziert als noch vor einigen Jahren.

Dabei sind die Menschen nicht anfälliger für Psycho-Leiden als früher. Eine Studie der Universität Münster hat gezeigt: Psychische Störungen wie Depression oder Psychose haben nicht dramatisch zugenommen. Wohl aber fühlen sich viele angesichts stärkerer beruflicher oder familiärer Belastungen immer kränker.

Der Optimist ist zufriedener mit sich und der Welt

Depressionen hängen Schmidbauer zufolge auch mit einem zerbrochenen optimistischen Weltbild zusammen. „Jemand hat sich überschätzt und kann diese Überschätzung nicht mehr aufrechterhalten.“ Der Optimist sei zwar zufriedener und gesellschaftlich respektierter als der Pessimist – wohl auch, weil er nicht dauernd mit dem Schlimmsten rechnet und die anderen mit seiner Schwarzmalerei nicht unentwegt nervt.

Doch für das eigene Glück sei es wichtig, beide Tendenzen zu „domestizieren“. „Weder sollte man den Optimismus so weit treiben, dass man Rückschläge leugnet, noch zu viel Angst haben, die lähmt. Wer die ganze Zeit nur an seine Gesundheit denkt und daran, dass er krank werden könnte, vergisst den Spaß. Und das ist letztlich auch gesundheitsschädlich.“

Die entscheidende Frage ist: Welche Weltsicht bringt den Menschen weiter? Optimismus? Pessimismus? Oder beides? Das Zauberwort heißt: Dialog. Schmidbauer: „Wer sozial eingebunden ist und sich mit dem Partner, mit Eltern, Kindern oder Freunden über seine Gefühlszustände austauschen kann, hat ein Korrektiv. So kann sich ein ausgewogenes und gesundes Verhältnis von Optimismus und Pessimismus entwickeln.“

Nur durch Dialog zur Zufriedenheit

Nur durch Beziehung und Dialog kann entstehen, was Psychologen Resilienz nennen: die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und als Anlass für Entwicklungen zu nutzen, um durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu reifen.

Auch der Hamburger Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski beschäftigt sich seit langem mit der Befindlichkeit der Deutschen. Die „No-Future-Generation“ ist für ihn Geschichte. Er hat die „Generation Z(ukunft)“ im Blick.

„Der Anteil der Optimisten nimmt permanent zu“, sagt Opaschowski. Er beruft sich dabei auf Umfragen, die er zusammen mi dem Marktforschungsinstitut Ipsos erhoben hat. Danach schauen 71 Prozent der Bundesbürger optimistisch in die eigene Zukunft. „Die Menschen sind nicht blauäugig naiv. Sie wissen, dass sie von Krisen umgeben sind, wollen aber das Beste aus ihrem Leben machen.“

Persönlich ein Optimist, gesellschaftlich ein Pessimist

Auch wenn ein persönlicher Zukunftsoptimismus zunehmend um sich greift, sind die Deutschen keineswegs sorgenfrei. So erwarteten sie weitere Währungskrisen, eine Verschärfung der Flüchtlingsproblematik und wachsende Spannungen zwischen Christen und Muslimen, so Opaschowski. „Die Politik sagt immer, was nicht geht. Die Bürger wollen aber wissen, wohin die Reise geht. Für sich selbst haben sie die Ziele klar formuliert. Sie wünschen sich aber auch Visionen für Gesellschaft und Politik.“

Wie wir die Welt sehen, hängt ganz entscheidend vom Medienkonsum ab. Im Durchschnitt nutzen die Bundesbürger Medien zehn Stunden am Tag, davon achteinhalb Stunden aktuelle Medien wie Zeitung, TV, Radio und Internet. Wer stundenlang vor der Glotze hockt, sieht die Realität schließlich so, wie sie im Fernsehen vermittelt wird. Kultivierungshypothese nennen Kommunikationswissenschaftler dieses Phänomen, das beim Konsumenten verzerrte Vorstellungen der Wirklichkeit hervorruft.

Auf jeden Fall erhöhen schlechte Nachrichten die Aufmerksamkeit. So wird aus einer harmlosen Grippe eine globale Pandemie-Gefahr und aus einem regionalen Konflikt ein Risiko für den gesamten Weltfrieden. Angesichts der aktuellen Nachrichtenlage verwundert es kaum, dass sich viele Bürger Sorgen um ihr Erspartes machen und mancher schon einen russischen Durchmarsch bis zur Elbe befürchtet.