Stadtführerin Tamara Prinz neben der Wieland-Büste Foto: Burger

Selbst wer mit dem deutschen Klassiker und Zeitgenossen Goethes wenig am Hut hat, wird bei einer literarischen Stadtführung über Wieland und sein Leben in Biberach bestens unterhalten. Wieland, pietistischer Pfarrerssohn, war kein Heiliger.

Biberach - Tamara Prinz ist ein Tausendsassa. Am Vorabend trat sie als Barockdame auf, kostümiert und mit einem wohlplatzierten Schönheitsfleck im weiß gepuderten Gesicht, heute führt sie auf den Spuren Wielands durch die Stadt. So als hätte sie den Dichter persönlich gekannt, vor allem auch seine ehrgeizige Mutter, die seine Liebschaften boykottierte, wenn sie ihr nicht standesgemäß genug erschienen.

Der Vater Wielands war Pfarrer, zunächst Dorfpfarrer in Oberholzheim bei Biberach, wo der kleine Christoph Martin 1733 geboren wurde. Als er drei war, wurde der Vater nach Biberach versetzt, im heute vorbildlich renovierten Fachwerkhaus lebte der Junge bis zu seinem 14. Lebensjahr. So vermerkt es eine Tafel in der Waaghausstraße 3. Hier schrieb der Junge seine ersten Verse. Dann kam er ins pietistische Internat bei Magdeburg, begann nebenbei in Erfurt Philosophie zu studieren, um 1750 als Siebzehnjähriger nach Biberach zurückzukehren.

Im besten Sturm-und-Drang-Alter verliebte er sich in seine drei Jahre ältere Cousine Sophie Gutermann und verlobte sich mit ihr. Mutter Wieland war strikt gegen diese Verbindung und hintertrieb sie nach Kräften, manch ein Brief Wielands soll nicht bei Sophie angekommen sein, wie Tamara Prinz erzählt. Er schrieb zunächst aus Tübingen, wo er im Herbst 1750 ein Jurastudium begonnen hatte, halbherzig allerdings nur, um im Sommer 1752 nach Zürich zu ziehen.

Dort erreichte ihn dann die Nachricht, dass Sophie einen Ministerialbeamten geheiratet habe, Georg Michael Franck von La Roche. Stadtführerin Tamara Prinz kennt sich mit den Frauen Wielands bestens aus. Sophie beispielsweise wurde später ebenfalls Schriftstellerin, als Madame Sophie von La Roche wurde sie bekannt. Goethe verehrte sie, auch Schiller besuchte sie. Sie führte einen literarischen Salon, gilt als erste deutsche Reisejournalistin und gab ein eigenes Magazin heraus.

„Ausnehmend hässlich soll sie gewesen sein“

Die nächste Verbindung Wielands in Biberach war noch weniger opportun als seine erste Liebschaft: Denn die erwählte Christine Hagel war Katholikin! Und sie erwartete ein Kind von Wieland, dem pietistischen Pfarrerssohn. Welch Skandal in der kleinen Stadt. Wieland durfte die Beziehung nicht legalisieren, und das Kind starb bald nach der Geburt. Offenbar ließ sich seine Libido nicht zähmen, und so wurde Wieland von der Familie gedrängt, endlich eine ordentliche Tochter der richtigen Konfession zu heiraten: auf Anna Dorothea von Hillenbrand aus Augsburg fiel die Wahl.

„Ausnehmend hässlich soll sie gewesen sein“, berichtet Tamara Prinz. So gut wie nie wurde sie abgebildet, auf einem einzigen Gemälde sei seine Ehefrau und Mutter von 13 ehelichen Kindern zu sehen. Nun, Wieland selbst war, zumindest nach heutigen Maßstäben, auch keine Schönheit. Doch sein Bildungsroman, die „Geschichte des Agathon“, wurde zu seiner Zeit verschlungen. Er verschrieb sich der Aufklärung und begann, Shakespeare zu übersetzen.

In Biberach steht man verwundert vor dem kleinen Stadttheater mit dem hübschen Gemäldefries im ersten Stock, in dem die Komödie „Der Sturm“ von Shakespeare als erstes Werk des englischen Meisters auf deutschem Boden aufgeführt wurde. 1762 war die Premiere.

Im Foyer des Stadtmuseums stapeln sich riesige Bücherberge auf. Keine moderne Skulptur, sondern die Vorbereitung für den jährlichen Bücherbasar, bei dem Bücherfreunde Gelesenes bringen und Neues günstig erstehen können. Wer genau guckt, findet sogar Gesamtausgaben des Klassikers dabei, noch in der Originalkassette. So ganz up to date scheint die Lektüre Wielands nicht zu sein, man selbst tut sich auch etwas schwer mit dem Einstieg in den „Agathon“, den man pflichtschuldig in der Stadtbibliothek entliehen hat. Vielleicht hätte man auch mit der „Geschichte der Abderiten“ beginnen sollen, die Wieland im Rückblick auf Biberach in Weimar verfasst hat. Dort erzog er am Hof von Herzogin Anna Amalia, die ihn 1772 nach Weimar holte, die beiden Erbprinzen, dort trifft er Goethe, Herder und Schiller.

Im Sommer kann Wielands Gartenhäuschen besichtigt werden

Die „Geschichte der Abderiten“ behandelt ein ganz aktuelles Sujet: Den Streit um eine Glaubensfrage, hier dargestellt als des Esels Schatten. Wem gehört der Schatten? Dem Eseltreiber oder dem beleibten Zahnarzt, welcher das Reittier gemietet hat? Ein absurdes Spiel um die Macht der Deutung, ausgefochten von Advokaten. Die Diskussion spaltet die Bürgerschaft: „Bist du Esel oder bist du Schatten?“, fragte man, um die Einstellung des Gegenübers zu ergründen.

Die Stadt Biberach war zu Lebzeiten Wielands pikiert, die Einwohner fühlten sich vorgeführt. Ende des 20. Jahrhunderts herrschen liberalere Zeiten, und so setzte die Stadt dem Esel letztlich ein Denkmal, geschaffen von Peter Lenk, dem Künstler, der auch die Imperia auf dem Pegelhäuschen in Konstanz schuf. Der Esel drehte sich nach dem Wind, fünf Jahre lang. Dann setzte die Bürgerschaft dem Drehen ein Ende, er solle immer die gleiche Seite zur Schau stellen. Und so wurde der Esel 2005 festgesetzt.

Zu guter Letzt führt Tamara Prinz ihre Gäste zum Gartenhäuschen Wielands im Wieland-Park. Im Sommer kann es besichtigt werden. Auch als Standesamt können es die Bürger buchen. Eine hat das gerade getan, wie man nebenbei erfährt. Tamara Prinz heißt sie, und lange ist es noch nicht her. So lässt sich herzlich gratulieren – und man versteht, woher die Neigung zur Eheschließung kommt. Beim Studium des Dichters, beim Heiraten in seinem Museum.