Peter Auer. Foto: Frias/Uni Freiburg/dpa

Dialekte sterben aus? So weit ist es noch nicht. Sie wandeln sich nur – zum Dialekt light.

Freiburg - Ein „Braut“ beim Bäcker bestellt heute selbst in Oberschwaben kaum jemand mehr, und auch für das Partizip Perfekt von „sein“ greifen die meisten Schwaben inzwischen auf die hochdeutsche Form zurück: „gewesen“ statt „gsei“.

Der schwäbische Dialekt in all seinen Ausformungen – er stirbt nicht aus, aber er schleift sich ab. „Früher, also vor 100, aber auch noch vor 50 Jahren, hauniben die Menschen in Süddeutschland entweder ihren dörflichen Dialekt oder aber Hochdeutsch gesprochen“, sagt der Linguist Peter Auer. „Heute ist an die Stelle ein Sprachkontinuum getreten – abgeschwächte Formen von regionaler Prägung.“ Anders ausgedrückt: Dialekt light. Ob jemand aus Stuttgart oder Tübingen stammt, lässt sich heute sprachlich kaum mehr nachzeichnen.

Auer und sein linguistisches Forscherteam von der Uni Freiburg haben sich über viele Jahre mit den Dialekten in Baden-Württemberg befasst. Dazu haben sie über 40.000 Sprechproben auf Tonband aufgezeichnet. Anders als in der traditionellen Dialektforschung wurden den Probanden nicht einzelne Begriffe zum Vorsprechen vorgelegt, sondern eine ganz gewöhnliche Konversation geführt – zum Zwecke der „Sprachwirklichkeit“, wie Auer sagt.

„Musch“ und „kannscht“ sind nicht totzukriegen

Ergebnis: Urschwäbische Formen, etwa die Dopplung von Vokalen wie in „Braut (Brot)“ oder „dau (du)“, finden sich kaum noch. Genauso wie die Umdeutung von Vokalen („ich mon“ für „ich meine“). Großräumigere Merkmale wie das Sprechen von „sch“ statt „st“, („Musch“, „kannscht“) sind hingegen nicht so leicht totzukriegen. Zumindest so lange nicht, wie hochrangige Politiker wie Winfried Kretschmann in die Mikrofone schwäbeln – und damit bewusst ihre süddeutsche Identität herausstreichen.

Im Schwäbischen geht der Verlust besonders prägnanter Merkmale dabei schneller vonstatten als im Alemannischen oder im Bayrischen. In Bayern verlangsamt die stärkere Identifizierung mit Land und Sprache diese Entwicklung. „Bayern ist eine gewachsene Einheit“, begründet der Regensburger den Umstand, dass seine Landsleute noch häufig so sprechen, dass sie außerhalb ihrer Landesgrenzen auch ja nicht verstanden werden.

Generell sind Städte stärker von der Ent-Dialektisierung betroffen als ländliche Gebiete. In den urbanen Zentren treten mehr und mehr ethnische Varianten an die Stelle geografisch charakterisierter Sprachformen. Etwa das Multikulti-Deutsch vieler Jugendlicher, das unter anderem durch das Auslassen von Präpositionen gekennzeichnet ist („Ich geh’ Bahnhof“).

Diese Ausformungen sind nach Ansicht des Wissenschaftlers, der sein Forschungsgebiet mit Theorien zur Globalisierung und Urbanisierung verbunden hat, rein sprachwissenschaftlich betrachtet nichts anderes als ein Dialekt. Beide – Ethnolekt wie Dialekt – sind gekennzeichnet durch Verkürzung und Vereinfachung. Dabei sei das Ausländerdeutsch sogar näher am Hochdeutschen dran als so mancher Dialekt, wie Auer herausgefunden hat. „So viel wird da gar nicht weggelassen.“

Die Entwicklung vollzieht sich nach den Worten des 1954 geborenen Auer in ganz Europa. Die Schweiz und Norwegen bildeten eine Ausnahme; weniger wegen ihres Status als EU-Nichtmitglied als aufgrund ihrer besonderen sprachlichen Beziehungen zum Nachbarn Deutschland bzw. Dänemark. Ähnlich wie in Bayern bedingt die stärkere Identifizierung mit dem Land die Bewahrung eigener dialektaler Formen.

Alemannisch wird ausgerechnet von Schwäbisch verdrängt

Konservative Sprachräume hat Auer aber auch im Südwesten ausgemacht. Die südliche Rheinebene und dort vor allem der Hotzenwald – die Gegend um Waldshut – sei sprachlich sehr beständig, meint der Träger des Landesforschungspreis. Die Begründung liegt nahe: Als eine der strukturschwächsten Regionen gab es hier nur sehr wenig Zu- und Wegzug. Die Bevölkerung – und mit ihr die Sprache – blieb in ihrer Struktur weitgehend erhalten.

Eine interessante Beobachtung hat Auer am nördlichen Bodenseeufer gemacht. Dort, wo die Dialektgrenze zwischen Baden und Württemberg (nördlich von Meersburg) verläuft, wird das Alemannische nicht etwa durch Hochdeutsch zurückgedrängt, sondern ausgerechnet durch Schwäbisch. Statt „Zit“ sagen die Bewohner heute verstärkt „Zeit“ – aber nicht in seiner reinen, hochdeutschen Form, sondern schwäbisch-nasal. Die Erklärung, die der Linguist anstellt, ist rein sprachwissenschaftlicher Natur: Schwäbisch wird gesprochen, weil es fonetisch näher am Alemannischen dran ist als Hochdeutsch. Und nicht weil Badener die Sprache plötzlich besonders sexy fänden.

Zur Person Peter Auer:

1954 in Regensburg geboren

Studium der Sprachwissenschaft, Germanistik, Pädagogik, Psychologie und Soziologie.

Danach verschiedene Lehraufträge, seit 2008 stellvertretender Direktor der Sektion Language & Literature an der Uni Freiburg.

2012 erhält Auer den mit 100.000 Euro dotierten Landesforschungspreis – einen der renommiertesten Preise des Landes.

Er hat sein „Forschungsgebiet revolutioniert und ihm Aktualität verliehen“, heißt es in der Würdigung. Auer findet es selbst bemerkenswert, dass der Forschungspreis in diesem Jahr in einem nichttechnischen Fach vergeben wurde. Zweiter Preisträger ist der Karlsruher Informatiker Peter Sanders.