Mit interaktiver Grafik und Test - Viele Diabetiker unterschätzen die Wunden an ihren Füßen und verwenden zur Fußpflege die falschen Produkte. Experten klären auf, was bei Diabetes mellitus wichtig ist.

Diabetiker sollten auf die richtigen Schuhe achten

Stuttgart/Tübingen - 60 Muskeln, fast 30 Knochen und 240 Sehnen tragen den Menschen durch den Alltag. Füße sind mehr als ein Fortbewegungsmittel. Sie stützen den Körper und sind für das Gleichgewicht entscheidend. Umso wichtiger ist die richtige Pflege – doch daran hapert es bei vielen. „Füße bekommen nicht genug Beachtung und werden nicht ausreichend gepflegt“, sagt Regina Willems. Sie arbeitet seit 20 Jahren als Diabetesberaterin und ist immer wieder erstaunt, wie wenig viele Diabetiker über Fußpflege wissen.

Die Füße werden selten oder gar nicht eingecremt. „Es gibt Männer, die gehen in den Heimwerkerkeller und schneiden sich mit dem Seitenschneider die Fußnägel“, sagt sie. Dabei komme es oft zu Verletzungen. „Schnittwunden werden nicht ernst genommen. Nach dem Motto: Man hat doch schon Schlimmeres gehabt als eine Wunde am Fuß“, so Willems.

Nicht wenige Diabetiker mit Fußproblemen, dem Diabetischen Fußsyndrom, landen bei Ralf Lobmann in der Sprechstunde. Er ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie am Klinikum Stuttgart. „Diabetiker haben durch den erhöhten Blutzucker eine schlechtere Wundheilung“, sagt er – der Diabetes-Typ spielt dabei keine Rolle. Die Folge: Aus einer kleinen Wunde kann schnell ein großes medizinisches Problem werden. Durch den erhöhten Zuckerspiegel im Blut werden die Nerven und der Blutfluss geschädigt. Betroffen davon sind häufig Füße und Beine. Dadurch können Nerven beschädigt werden, die für Empfindungen wie Temperatur oder Schmerz verantwortlich sind. Ärzte sprechen von der sogenannten Neuropathie. „Eine kleine Wunde kann sich infizieren und auf den Knochen übergreifen, ohne dass der Patient etwas davon merkt“, sagt Lobmann. Daher würden viele Patienten die Verletzung ignorieren und erst zu spät zum Arzt gehen. „Dabei ist Zeit der entscheidende Faktor für eine erfolgreiche Behandlung“, sagt er.

Im Krankenhaus muss die Wunde gründlich gereinigt und bereits abgestorbenes Gewebe entfernt werden. Wenn Gefäße betroffen sind, spricht Lobmann mit dem Gefäßchirurgen und dem Radiologen. Zusätzlich gibt er den Patienten Antibiotika. Im Anschluss muss die Wunde regelmäßig gereinigt und kontrolliert werden, ob sie heilt. „Denn durch die schlechte Versorgung mit Nährstoffen und Sauerstoff ist der Heilungsprozess beeinträchtigt“, sagt Lobmann. Das Bein wird mit einem speziellen Schuh entlastet. In den Niederlanden gipst man den Patienten das Bein ein: „Dadurch wird auch für das Umfeld deutlich, dass eine ernsthafte Verletzung vorliegt.“ Bei dem Entlastungsschuh sei das nicht immer der Fall. „Auch den Patienten ist der Ernst der Lage oft nicht klar.“

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Wenn all diese Versuche nicht helfen und die Entzündung sich immer weiter ausbreitet, entscheidet sich Lobmann zu einer Amputation. „Eine Amputation ist aber nie das primäre Ziel.“ Bevor es soweit komme, bespreche er sich mit Kollegen. Denn wie eine Studie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft zeigt, lassen sich durch Zweitmeinungen Amputationen verhindern. 20 Prozent der Patienten, die ein Bein oder einen Fuß amputiert bekommen haben, sterben innerhalb des ersten Jahres. 40 000-mal müssen Ärzte in Deutschland ein Teil des Fußes oder des Beins amputieren. „Doch viele Amputationen lassen sich verhindern, wenn über das Thema Fußpflege mehr aufgeklärt wird“, sagt Lobmann.

Jeder Diabetes-Patient sollte eine Schulung bekommen, in der er lernt, wie man Füße richtig pflegt, sagt Regina Willems. Denn wenn noch keine Nervenstörung, die sogenannte Neuropathie, vorliegt, kann man die Füße leicht zu Hause pflegen.

„Um die Nägel zu kürzen, dürfen keine spitzen Scheren oder Knipser verwendet werden“, sagt sie. Hornhaut entferne man besten mit einer Sandpfeile. „Damit die Haut geschmeidig bleibt, ist eine Creme mit zehn Prozent Urea, also Harnstoff, am besten“, so Willems. Trockene Füße sind nämlich anfälliger für Verletzungen. Wenn Patienten schon Probleme mit ihren Füßen haben, empfiehlt die Diabetes-Beraterin, die Pflege zu intensivieren und Socken und Schuhe jeden Tag gründlich zu kontrollieren. Wer helle Socken trägt, sieht Blutflecken leichter. Schon ein kleiner Stein im Schuh kann gefährliche Folgen haben. Deswegen streicht man am besten mit der Hand durch den Schuh. „Mit einem Spiegel kann man die Füße kontrollieren, ob irgendwo kleine Wunden vorliegen“, sagt sie.

Schuhe kaufen Diabetiker am besten am Nachmittag. „Dann ist der Fuß etwas dicker als am Morgen, und man kauft Schuhe, die groß genug sind“, sagt Willems.

Ralf Lobmann versucht seinen Patienten zu erklären, dass sie ihre Krankheitsgeschichte mitschreiben. „Wer sich bewegt und die Ernährung ändert, hat gute Chancen, mit der Krankheit gut leben können“, sagt er. Rauchern rät er aufzuhören, denn jede Zigarette zerstöre Blutgefäße und verlangsame die Heilung.

Neben all den Erklärungen zur richtigen Pflege versucht die Diabetesberaterin auch, die Menschen zu ermuntern, an sich selbst zu denken. Gerade ältere Menschen hätten das nie gelernt. „Wenn man sich selbst ernst nimmt, tut man auch eine kleine Wunde am Fuß nicht mehr ab“, sagt sie. Dann werde ihren Patienten bewusst, wie wertvoll Füße sind.