Bundestrainer Joachim Löw sieht dem Aufeinandertreffen mit Italien im Viertelfinale zuversichtlich entgegen. Foto: dpa

1:2 verloren, taktisch danebengelegen, heftig kritisiert: An das EM-Duell 2012 gegen Italien hat Joachim Löw schlechte Erinnerungen. Die Niederlage vor vier Jahren war seine bitterste. Nun geht es wieder gegen die Squadra azzurra, doch der Bundestrainer hat seine Lehren gezogen und ist zuversichtlich.

Evian - Wie üblich rührt der Bundestrainer in einem Espresso, brühwarm serviert im Pappbecher eines DFB-Sponsors, der eigentlich auf die Zubereitung von Hamburgern spezialisiert ist. Normalerweise nimmt Joachim Löw einen kleinen Schluck, ehe er auf Fragen antwortet, das gibt ihm ein bisschen Zeit, um nachzudenken. Diesmal jedoch ist das nicht nötig – es war schon vorher klar, um welches Thema es gehen würde: um Italien, den deutschen Angstgegner, den eine DFB-Auswahl bei großen Fußballturnieren noch nie bezwingen konnte. Also findet Löw auch ohne Bedenkzeit die passenden Worte: „Das ist kalter Kaffee. Frischer Espresso ist mir lieber – wir müssen schauen, dass er uns am Samstag schmeckt.“

Am Samstag (21 Uhr/ARD) findet in Bordeaux das bislang größte Spiel der Europameisterschaft in Frankreich statt: das Viertelfinalduell der beiden viermaligen Weltmeister, der ewige Klassiker, das vorweggenommene Endspiel, wie manche meinen. Es gebe „kein Italien-Trauma“, sagt Löw, er freue sich „wahnsinnig auf dieses Spiel“. Doch mag er nicht einstimmen „in den Chor derjenigen, die uns nach dem Polen-Spiel schon abgeschrieben haben und uns jetzt als großen Favoriten sehen“.

Kalter Kaffee

Bescheidenheit und Demut sei „das Gebot der Stunde“ – das weiß keiner besser als der Bundestrainer. Vor genau vier Jahren hat er rund um ein Italien-Spiel schon einmal miterlebt, wie sich die Stimmung über Nacht drehen kann, damals auf brutale Weise. Es hat in der Karriere von Joachim Löw nicht viele Spiele gegeben, die so prägend waren wie die 1:2-Niederlage bei der EM 2012. Und so wird der kalte Kaffee jetzt doch noch einmal aufgewärmt.

Es ist ein Donnerstagabend in Warschau, und es gibt keinen Zweifel, dass Deutschland gegen Italien gewinnen wird. Mit vier Siegen ist das Team durch Gruppenphase und Viertelfinale gestürmt, das Endspiel gegen Spanien wartet schon – wer soll die Deutschen stoppen? Und dann das: Mario Balotelli schießt zwei frühe Tore, Joachim Löw steht draußen an der Seitenlinie und kaut auf seinen Fingernägeln, vergeblich rennt seine Mannschaft dem Rückstand hinterher, auch als der Bundestrainer seine Taktik in der Pause korrigiert hat.

Er ist diesmal danebengelegen mit seiner Aufstellung und seiner Marschroute. 90 Minuten reichen, um die Arbeit von sechs Jahren in Frage zu stellen. Die öffentlichen Reaktionen sind vernichtend: Aus Jogi, dem unantastbaren Liebling der Nation, wird der Mann, sich im entscheidenden Moment verzockt und nicht in der Lage ist, die goldene Generation zu einem Titel zu führen. Es ist ein tiefer Fall, der den Bundestrainer verstört und verändert.

Ein langer Kampf mit den Dämonen von 2012

Er geht lange auf Tauchstation – und will nicht mehr der nette Herr Löw sein, als er sich beim nächsten Spiel mit einer 28-minütigen Brandrede zurückmeldet. „Ich bin es leid, dass man das, was vorher alles gut war, als Beleg dafür nimmt, warum es nicht klappt. Das trifft mich“, sagt Löw, macht sich auch in den folgenden zwei Jahren rar und legt sich ein Schutzschild an, das die Zweifel nicht mehr an ihn heranlassen soll. Die größtmögliche Befreiung folgt mit dem WM-Titel in Brasilien, als er die Dämonen von 2012 besiegt und alle Last von ihm abfällt.

Erst seither ist Löw bereit, einen tieferen Einblick in seine Gemütslage nach dem Scheitern in Warschau zu geben. Er habe das Spiel „lange verarbeiten müssen“, habe sich „hinterfragt und gezweifelt“, wollte „definitiv eine Zeit lang von Fußball nichts hören und sehen“, das erzählte er dem „Stern“ vor der EM in Frankreich. Und in Evian sagt er nun, was er bis zur WM in Brasilien nie gesagt hätte: „Es kann auch mal sein, dass man sich verzockt.“ Im Nachhinein habe die Niederlage geholfen, 2014 den Titel zu holen. „Ich habe daraus gelernt, es war für mich eine gute Lehre.“

Ein emotionales Endspiel

Löw hat gelernt, sich freizumachen von den extremen Ausschlägen in der öffentlichen Meinung. Und er hat gelernt, auf die eigenen Stärken zu vertrauen und sich nicht zu sehr am Gegner zu orientieren wie vor zwei Jahren, als die Strategie darin bestand, den italienischen Spielmacher Andrea Pirlo in Manndeckung zu nehmen. In Frankreich ist Pirlo nicht mehr dabei, doch nicht nur deshalb sagt Löw: „Wir haben großes Zutrauen in die eigene Leistungsfähigkeit. Wenn wir das abrufen, haben wir gute Chancen.“

In Bordeaux könnte sich der Kreis am Samstag schließen. Weltmeister ist Joachim Löw schon. jetzt bleibt ihm noch die Mission, gegen Italien zu gewinnen. Es ist nur das EM-Viertelfinale – und trotzdem ein emotionales Endspiel.