Bis Ende Oktober lassen sich an der Müritz Tausende von Kranichen beobachten. Die Ankömmlinge fressen sich hier drei Wochen die nötige Energie zum Weiterflug an.

Federow - Der kleine Herr Professor aus Göppingen will es ganz genau wissen: „Warum brüten Kraniche in Mooren, wo es doch nass ist? Wie lange können sie eigentlich fliegen, ohne haltzumachen? Und suchen die Männer sich jedes Mal ein neues Weibchen, wenn sie im Februar aus Spanien zurückkommen?“ Tim ist zehn Jahre alt und der ganze Stolz seiner Eltern. Er trägt eine blaue Brille, die ihn ein bisschen altklug aussehen lässt, und fragt dem Führer Löcher in den Bauch. Detlef Drevs aber, der Ranger im Nationalpark Müritz, nimmt sich alle Zeit der Welt und erklärt dem Jungen beim Gehen, dass Kraniche bis zu 1700 Kilometer ohne Zwischenstopp zurücklegen können, dass sie ein Leben lang als Paar zusammenbleiben und in den feuchten Erlenbrüchen und Sümpfen Skandinaviens brüten, weil der Fuchs, ihr Hauptfeind, nur sehr, sehr ungern ins Wasser tapst.

Detlef Drevs mag Fragen. Grundsätzlich, aus pädagogischen Gründen - und immerhin sollen auch die zwei Kilometer Anmarsch vom Nationalpark-Service-Zentrum in Federow zum Rederangsee für die 15 Besucher unterhaltsam gestaltet werden. Immer wieder mal legt er eine Pause ein und erzählt: 300 000 Kraniche werden in den nächsten Wochen auf einer westlichen Route über Norddeutschland nach Spanien ziehen, weitere 100 000 über das Baltikum und Ungarn. 400 Paare brüten an der Müritz, rund 4000 in ganz Mecklenburg-Vorpommern - viermal so viele wie 1990. Allmählich setzt die Dämmerung ein.

Jede Störung kostet Kraft

Der kleine Herr Professor lässt die Gruppe wissen, dass er während der letzten zwei Tage schon einige Kraniche gesehen habe. Auf vielen Äckern stehen die aschgrauen, einen Meter hohen Vögel mit der eleganten schwarzen Schleppe herum und picken Körner. „Aber wenn man aus dem Auto steigt, hauen sie ab.“ Was wiederum nicht gut für sie sei, meint Ranger Drevs. Schließlich würden die Ankömmlinge aus Skandinavien sich während drei, vier Wochen die nötige Energie für den Weiterflug anfressen - und jede Störung koste Kraft. Wenn im Oktober das Wetter wechsle und stabile Ostwindlagen einträten, könne man beobachten, wie sich Einzelne von ihnen immer höher schraubten und die Strömungsverhältnisse prüften - und dann ginge alles ganz schnell: „Drei, vier Tage - und weg sind sie.“ Schließlich ist die Schutzhütte erreicht. Vor den Besuchern liegt still der See, dafür gellt der Lärm vom anderen Ufer umso intensiver. Ein Schreien, ein Krächzen, ein Fiepen und Tröten liegt in der Luft.

„Kraniche sind so laut, weil sie eine über einen Meter lange Luftröhre in einer Doppelschlinge haben, und die wirkt wie eine Resonanzkammer“, weiß der Ranger. Im Fernglas ist zu erkennen, dass sich schon Hunderte der grauen Vögel im flachen Wasser niedergelassen haben. Manche baden, andere trocknen sich. Vor dem goldbraunen Ufer ist die Schwarz-Weiß-Zeichnung der Hälse gut auszumachen, manchmal leuchtet auch der kahle, rote Punkt auf einem der Köpfe hervor. „Und warum stehen die jetzt so dicht zusammen?“, fragt Tim. „Wenn der Seeadler auftaucht, gehen die Schnäbel hoch. So wehren sie ihn ab“, sagt Herr Drevs. In geordneter V-Formation zieht ein Trupp von Neuankömmlingen herein und kündigt sich laut rufend an. Sie gehen in den Sinkflug, kreisen und fahren die Beine weit nach unten aus - wie Drachenflieger.

Endlich segeln sie herunter und finden irgendwo noch Platz im dichten Gewühl. „Die kommen vom Fressen“, teilt der kleine Herr Professor der Gruppe mit. Der See liegt jetzt da wie ein grau-silbernes Tablett. Ein halber Mond tritt heller und heller aus dem blassblauen Himmel, immer neue Trupps treffen aus allen Himmelsrichtungen ein. „Wie viele?“, flüstert der kleine Herr Professor. „So an die 2000“, antwortet der Ranger. Große Schwärme von Vögeln oder Herden von Tieren in freier Wildbahn zu beobachten - das, was für viele Menschen die Faszination Afrikas ausmacht, erleben die Besucher heute Abend quasi vor ihrer Haustür. „Und von Tag zu Tag werden es mehr“, sagt Detlef Drevs.

„Im vergangenen Jahr haben wir hier am 6. Oktober 8550 Exemplare gezählt.“ Allmählich färbt sich der Himmel bläulich-grau und pinselt ein paar rosa Wölkchen darauf. Der Zustrom nimmt langsam ab. Ein paar letzte Nachzügler von weit abgelegenen Futterplätzen fallen ein. Dann wird auch der Lärm weniger, nur noch vereinzelte, fast verschlafene Rufe dringen herüber. „Die träumen jetzt sicher schon von Spanien“, sagt der kleine Herr Professor und nickt wissend.

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Infos zur Mecklenburgischen Seenplatte

Anreise
Fahren Sie auf der A 81 nach Würzburg, wechseln auf die A 71 nach Erfurt und später auf die A 4/A 19 nach Berlin, dann A 20 Richtung Rostock. Schließlich nehmen Sie die Abfahrt 17 nach Waren.

Unterkunft
Edel: 210 Quadratmeter Wohnfläche auf zwei Ebenen, Sauna, Whirlpool, Kamin - das neue Penthouse im Wohnturm des Ferienparks Müritz lässt wenig Wünsche offen. Unschlagbar ist der Blick von der Dachterrasse auf die Müritz, ab 299 Euro pro Tag. Es gibt aber auch kleinere, weniger spektakuläre Apartments und Ferienhäuser ab 45 Euro pro Tag. Ferienpark Müritz, Am Hafendorf 1, 17248 Rechlin-Nord, Telefon 03 98 23 / 2 79 20,  www.ferienparkmueritz.de

Direkt am Hafen von Waren liegt das Hotel Kleines Meer. Der Service ist sehr freundlich und die Küche ausgezeichnet, Doppelzimmer ab 89 Euro. Zum Kranichzug gibt es eine Pauschale: zwei Übernachtungen mit Frühstück, Kranichwanderung, Drei-Gänge-Menü pro Person im Doppelzimmer 139 Euro, Tel. 0 39 91 / 64 80, www.kleinesmeer.com

Essen und Trinken
Beim Bauernhof Die bunte Kuh, direkt gegenüber vom Nationalpark-Service, kann man sich nach der Wanderung wunderbar satt essen, Telefon 0 39 91 / 67 00 38, www.diebuntekuh.com .

Lecker ist es auch in der Dorfschenke, Deutschlands größter Feldsteinscheune, Telefon 03 99 31 / 5 80 70, www.landhotel-zur-scheune.de

Kranichticket
Bis zum 19. Oktober veranstaltet der Nationalpark-Service Müritz in Federow täglich eine geführte, ca. dreistündige Wanderung zum Rederangsee. Gedeckte Kleidung und eine Anmeldung erforderlich, Tel. 0 39 91 / 66 88 49, www.nationalpark-service.de . Die weiße Flotte ( www.mueritzflotte.de ) fährt bis Ende Oktober einmal pro Woche, die Weiß-Blaue Flotte ( www.schiffahrt-mueritz.de ) jeden Mo., Mi., Fr. und Sa. von Waren zu den Kranichen, Kosten: 18 Euro.

Allgemeine Informationen
Tourist-Info Waren, Neuer Markt 21, 17192 Waren, Tel. 0 39 91 / 74 77 90, www.waren-mueritz.de