Mit viel Liebe zum Detail schnitzt Martin Gobsch seine Figuren. Foto: Matthias Pieren

Auf der Krämerbrücke in Erfurt haben finanzstarke Filialisten keine Chance. Hier werkeln wie zu Urzeiten Kunsthandwerker wie der Puppenschnitzer Martin Gobsch.

Am Schaufenster der Holzwerkstatt des Puppenmachers Martin Gobsch drücken sich nicht nur Kinder die Nasen platt. Vor dem gedrungenen Haus mit der Adresse Krämerbrücke 2 hat sich eine Menschentraube gebildet. „Theatrum Mundi“ steht in Frakturschrift über dem geheimnisvollen Schaufenster geschrieben. Hier haucht Gobsch seinen Marionetten Leben ein und lässt sie erstmals tanzen. Irgendjemand zückt sein Portemonnaie und wirft einen Euro in den Schlitz. Jetzt fällt der Vorhang und gibt den Blick auf eine märchenhafte Kulisse frei. Untermalt von Musikklängen gehen die sieben Zwerge ihrem Handwerk nach. Eine finster dreinblickende Alte lockt Schneewittchen hinterhältig mit einem rotwangigen Apfel. Nicht weit entfernt wartet bereits der gläserne Sarg. Die Eingangstür steht offen. Jeder, der möchte, kann Martin Gobsch bei der Arbeit beobachten. Der 33-jährige Puppenschnitzer steht an einer Drechselbank in seiner Schauwerkstatt und arbeitet an einem neuen Charakterkopf aus Holz. Fingerspitzengefühl und Liebe zum Detail sind gefragt, wenn der gebürtige Erfurter Zwerge, Prinzessinnen und andere Märchenfiguren aus Holz schnitzt. Die Zuschauer - egal ob jung oder alt - können sich gar nicht sattsehen. In der 21 Quadratmeter kleinen Werkstatt bezaubert nicht nur der Holzgeruch. Man fühlt sich sofort - und keinesfalls nur wegen der märchenhaften Werkstücke - in eine andere Welt versetzt.

Professionelle Puppenspieler aus ganz Deutschland geben sich bei Puppenbauer Gobsch dauernd die Klinke in die Hand. Heute schnitzt er für die Lindauer Marionettenoper sämtliche Figuren für Rossinis komische Oper „Der Barbier von Sevilla“. Draußen auf der Krämerbrücke strömen die Touristen über das Pflaster. Mit ihren 32 Häusern ist die Krämerbrücke die einzige beidseitig bebaute und zugleich bewohnte Brücke nördlich der Alpen. Es ist wie ein Zeitsprung: Die Auslagen der kleinen Läden, Werkstätten und die kleinen Cafés versetzen die Besucher Erfurts in die Zeit der Krämer im ausgehenden Mittelalter. Der Mietvertrag von Martin Gobsch mit der Stiftung Krämerbrücke schreibt eine Schauwerkstatt vor, versucht die Stiftung in Abstimmung mit der Stadt Erfurt den ursprünglichen Charakter des Kulturdenkmals mit seinen 32 Brückenhäusern durch eine entsprechende Nutzung zu erhalten. Gleich nach der Wiedervereinigung sah das noch ganz anders aus: Eine Handelskette wollte Ladenfläche auf der Krämerbrücke erwerben. Dem besonderen Charakter der beidseitig bebauten Brücke drohte das Aus. Andere Filialisten wären gefolgt und hätten in Windeseile auch der Krämerbrücke das gleiche Einheitsgesicht verpasst, wie man es von allen deutschen Fußgängerzonen kennt. Die Rettung kam in Gestalt der 1996 gegründeten Stiftung Krämerbrücke. Sie hat erreicht, dass die kleinen Ladenflächen auf der Brücke nur an heimische Galeristen, Kunsthandwerker, Antiquitätenhändler sowie an Krimskramshändler vermietet werden dürfen. Finanzstarke Filialisten haben keine Chance.