Rathaus und Marienkirche bilden auf dem Stendaler Marktplatz ein stimmiges Ensemble. Foto: Eichler

Seit 750 Jahren ist die Familie des Reichskanzlers in der Altmark präsent. Das Jahr seines 200. Geburtstags ist ein perfekter Anlass zur Bestandsaufnahme.

Krevese - Extra scharf sollen sie sein - die Luxus-Rasierklingen in der Pappfaltschachtel mit dem „Eisernen Kanzler“ im Dreiviertelprofil. Extra stark schaut der Nussknacker aus mit dem ge-schnitzten Haupte des Reichsgründers. Extravagant sind ein paar jener delikaten Kiebitzeier, mit denen die „Getreuen von Jever“ dem Staatsmann jedes Jahr zum Geburtstag ergebenst gratulierten.

Und extra kitschig sind manche der Humpen und Ziergefäße, mit denen der Kult um den berühmtesten aller Bismarcks einst gar seltsame, bisweilen auch ergreifend hässliche Blüten trieb. Am 1. April vor 200 Jahren wurde Otto Eduard Leopold von Bismarck geboren, und speziell in der Altmark wird das gebührend gewürdigt. Etwa im Burgmuseum der Kaiser- und Hansestadt Tangermünde, wo Geschichtsforscher und Buchautor Hans-Joachim Mellies Teile seiner Privatsammlung ausstellt: Bismarck-Büsten, -Bilder, -Statuen, -Medaillen, -Postkarten, -Karikaturen, -Kuriositäten. Mit Otto als Politiker. Als Familienmensch. Als Werbeträger. Ottos Wiege stand nur wenige Kilometer entfernt in Schönhausen am Ostufer der Elbe.

Dort übernahm der „tolle Bismarck“, wie man den jungen Draufgänger seiner Eskapaden wegen nannte, zunächst das Amt des Deichhauptmannes, dort sammelte er als Abgeordneter erste praktische Erfahrungen. Über das Herrenhaus wusste er wenig Schmeichelhaftes zu berichten: „Hier sitze ich nun in diesem verwünschten Schlosse mit einigen 30 Zimmern, wovon zwei meubliert. Ratten in Masse. Camine, in denen der Wind heult. Und das Schlafzimmer mit Ausblick auf den Friedhof.“ Das alles sei geeignet, „einen tüchtigen Spleen zu unterhalten.“

Ein Herkules mit beschädigtem Hinterteil

Das geschmähte Haus gibt es nicht mehr; es wurde 1958 auf Anweisung Walter Ulbrichts gesprengt. Übrig blieb ein Gesindetrakt, in dem sich heute das kleine, aber feine Bismarck-Museum befindet. Unter anderem - und nur in diesem Jahr - mit zahlreichen Geschenken, die dem Reichsgründer von Kaisern, Königen, Diplomaten, Vereinen, Verbänden und Privatpersonen aus dem In- und Ausland überreicht wurden. Übrig blieb auch der barocke Schlosspark mit diversen Sandsteinfiguren. Darunter ein Herkules mit beschädigtem Hinterteil.

Diesem soll Teenager Otto eine Schrotladung verpasst haben, aus Wut über eine Jagd ohne Trefferglück. Schönhausens zweiter Trumpf und zugleich ein echtes Schmuckstück an der „Straße der Romanik“ ist die Patronatskirche nebenan. Eine spätromanische Backsteinbasilika, über deren uraltem Taufstein das christliche Leben des kleinen Otto begann. Wie das so vieler anderer Bismarcks zuvor. Über deren Leben und Tod berichtet Kirchen-Fachfrau Karin Froreck überaus amüsant und bedient sich dabei vor allem der vielen prachtvollen Epitaphien und Grabplatten als Anschauungsobjekte. Darunter die des Jobst von Bismarck und seiner Frau Emerenzia von Lützendorff als erste Besitzer von Schönhausen.

Das war Mitte des 16. Jahr-hunderts. Noch drei Jahrhunderte weiter lässt sich die Stammlinie der Bismarcks zurückverfolgen. Sie beginnt 1270 mit Herebord von Bismarck, Vorsteher der Gewandschneider-Gilde und Schultheiß in der stolzen Hansestadt Stendal. Der Tuchhandel brachte Wohlstand und Ansehen, und so stiegen die Bismarcks bald auf zum anerkannten Patriziergeschlecht, wurden in städtische Ämter gewählt und auch sozial aktiv. Nikolaus von Bismarck etwa stiftete das Gertraudenhospital in Stendal - das gibt es heute ebenso noch wie die mittelalterlichen Schauplätze im Rathaus und am Markt. Nur drei Generationen nach Herebord erklommen die Bismarcks dann die Beletage der gesellschaftlichen Karriereleiter; aufgrund ihrer Verdienste wurden sie 1345 durch allerhöchste Verfügung eine der acht „schlossgesessenen Adelsfamilien“ in der Altmark und fortan vom Kaiser als „Edle“ bezeichnet.

Aus dieser Zeit stammt auch der älteste Bismarck’sche Familienbesitz in der Altmark - in Döbbelin bei Stendal. Heute Eigentum von Alexander von Bismarck, einem Nachfahren in 19. Generation. Er konnte das Gut nebst kleinem Barockschloss nach der Wende problemlos wieder übernehmen, weil es 1945 kurioserweise vergessen worden war zu enteignen - die dort bis 1963 lebende Freifrau von Nordeck hatte niemand mit den Bismarcks in Verbindung gebracht. Heute ist das in Petersburger „Zarengelb“ gehaltene Schloss - ein Anklang an die Heimat von Alexanders Frau Irina - ein touristischer Dauerbrenner.

„Der Ort hat so viel Geist, so viel Geschichte, so viel Mythos, so viel Inspiration“

Zum einen, weil Schloss und Park als kulturelle Erlebnisstätte fungieren und als Kulisse für Lesungen und Konzerte dienen. Zum anderen, weil der aktuell wohl bekannteste Bismarck im Schlosskellergewölbe seine ganzjährig geöffnete Weihnachtswelt nebst eigenem Café betreibt - das allein zieht Gäste in Scharen nach Döbbelin. Auch im Dorf Krevese steht ein ehemaliges Bismarck’ sches Herrenhaus. Nebst preisgekröntem Park und spätromanischer Klosterkirche. Seit 2003 gehört es den Grafik-Designern Rainer Kranz und Ralf Engelkamp, die sich in das nach der Wende völlig verwahrloste Haus auf den ersten Blick verliebten, es seither nach und nach und unter großem Kraftaufwand restaurieren und seit zehn Jahren dort leben und arbeiten.

„Der Ort hat so viel Geist, so viel Geschichte, so viel Mythos, so viel Inspiration“, schwärmt Engelkamp und Kranz ergänzt: „Nicht wir haben das Haus gefunden, das Haus hat uns gefunden.“ Doch um einen exklusiven Wohnsitz geht es beiden gar nicht vordergründig. Sie sehen Krevese als umfassendes Lebensprojekt, und das zielt ab auf die Wiederbelebung des Ortes im Ganzen. Mit dem 400 Jahre alten Bismarck’schen Anwesen als gesellschaftlichem und kulturellem Zentrum. So wie früher. Auf diesem ambitionierten Weg sind sie inzwischen ein gutes Stück vorangekommen.

Der „Vier-Zeiten-Park“ ist ein wahres Kleinod der Landschaftsgestaltung. Und die Kirche zieht mit ihren Grabinschriften und -platten nicht nur Bismarck-Fans an. Hierher pilgern jedes Jahr sogar Glückselige aus aller Welt - zum „Kreveser Orgelsommer“. Dann erfüllt die originale Dorforgel von 1721 den Raum mit einem authentischen barocken Klangbild, das es so kaum mehr irgendwo gibt. Und das hat schon bei den Bismarcks die Ohren zum Klingen, die Augen zum Leuchten und den Geist zu Erhabenheit und Größe gebracht.

Infos zu Sachsen-Anhalt

Anreise
Die Altmark liegt im Norden Sachsen-Anhalts etwa auf halber Strecke zwischen Hannover und Berlin (Autobahn A2).

Unterkunft
Eine ideale Basis für Abstecher ins Bismarck-Land ist die Kaiser- und Hansestadt Tangermünde, von der man alle beschriebenen und etliche andere Bismarck-Orte schnell erreicht. In Tangermünde wiederum ist das Hotel „Exempel Schlafstuben“ das zweifellos originellste: DZ 85 Euro; www.exempel-schlafstuben.de ; das Schlosshotel das Nobelste: DZ ab 100 Euro; www.schloss-tangermuende.de

Bismarck-Orte
Tangermünde: www.tourismus-tangermuende.de
Schönhausen: www.bismarck-stiftung.de
Stendal: www.stendal.de
Döbbelin: www.bismarck-gmbh.de
Krevese: www.atelier-offen.de

Bismarck-Ausstellungen
„Familie im Wandel“ - Altmärkisches Museum, bis 21. Juli, museum.stendal.de „Familie“ und „Geschenkt“ - Museum Schönhausen, bis 31. Dezember, www.bismarck-stiftung.de

Privatsammlung im Tangermünder Burgmuseum, bis 31. Oktober, www.tangermuende.de

Führungen
Diverse Stadtführungen in Tangermünde und Stendal über die Tourismusbüros; Schönhausen: Kirchenführung nach Voranmeldung; Döbbelin: Schloss- und Parkführung ab 10 Personen auf Anfrage; Krevese: Gruppenführungen nach Voranmeldung; Bismarck-Broschüre: Das Heft „Bismarcks Land“ ist ein Reiseführer und erhältlich beim Tourismusverband Altmark, Tel. 03 93 22 / 34 60.

Allgemeine Informationen
www.altmarktourismus.de