Die Tandem-Teams der Mut-Tour bei der Ankunft in Stuttgart Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Vor einer Woche haben sie sich in Hessen zur sogenannten Mut-Tour aufgemacht. Jetzt sind die Radler im Rahmen des „Aktionsprogramms auf Rädern zur Entstigmatisierung der Depression als Erkrankung“ in Stuttgart angekommen.

Stuttgart - Aufgefallen sind sie mit ihren drei vollgepackten Tandems am späten Dienstagnachmittag wohl kaum jemandem. Dabei hätten die, die auf den Fahrrädern sitzen, bei ihrer Ankunft auf dem Stuttgarter Marktplatz am liebsten die ganze Welt umarmt. „Ich hab geschafft, was ich mir vor einiger Zeit niemals zugetraut hätte“, strahlt Claudia übers ganze Gesicht. Körperlich geschlaucht, aber glücklich hat die 48-Jährige aus Heidelberg mit dem sechsköpfigen Team 200 Kilometer an vier Tagen bewältigt, die „Mut-Tour“ damit erfolgreich absolviert.

Wie Christoph aus Hamburg und Michael aus Bremen leidet auch Claudia an Depressionen. Seit 20 Jahren wird sie von schizophrenen und manisch-depressiven Phasen heimgesucht. „Erst seit zehn Jahren kann ich mit der Krankheit umgehen“, erzählt Claudia. Vor einer Woche hat sie weder Christoph noch Michael und auch nicht Sebastian Burger persönlich gekannt. Über soziale Netzwerke und schließlich über die Internetplattform www.mut-tour.de haben sie zusammengefunden. „Aber wirklich getroffen haben wir uns tatsächlich erst zum Tourstart“, sagt Burger, der 2012 dieses erste „Aktionsprogramm auf Rädern zur Entstigmatisierung der Depression als Erkrankung“ ins Leben rief.

Zusammen mit der Deutschen Depressionsliga organisierte Burger Radtouren. Inzwischen sind 82 depressionserfahrene und unerfahrene Menschen mitgeradelt. „Es tut gut, in Bewegung zu sein, in einer Gruppe etwas zu unternehmen“, fühlt sich Christoph bei der Mut-Tour pudelwohl und ganz weit weg von Suizidgedanken, wie sie den 53-Jährigen vor Jahren plagten.

Am Samstag sind sie im hessischen Bensheim aufgebrochen. Über Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim und Marbach ging die Tour über Ludwigsburg bis zur Endstation in der Landeshauptstadt. „Bei unseren Zwischenhalten suchen wir auch immer das Gespräch mit Medienvertretern und der Bevölkerung, um Vorurteile abzubauen“, praktiziert Sebastian Burger offensive Öffentlichkeitsarbeit. Gerade erst hat der von einem Co-Piloten herbeigeführte Flugzeugabsturz mit 150 Toten in der öffentlichen Wahrnehmung den Eindruck erweckt, dass von psychisch erkrankten Menschen eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht.

Ihre letzte Übernachtung vor der Heimreise kann die Mut-Tour-Truppe 2015 bei einer „informellen Freundin unseres Projekts“ (Burger) genießen. Veronika Kienzle, Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Mitte, stellt zum dritten Mal ihr kleines Gartenhäuschen am Relenberg zur Verfügung. „Ich finde die Aktion total wichtig und leiste auf diese Art unkonventionelle Hilfe von Mensch zu Mensch“, sagt Kienzle.