Der türkische Premierminister Yildirim will das Verhältnis zu Deutschland verbessern. Foto: AFP

Ankara ist um Schadensbegrenzung im deutsch-türkischen Verhältnis bemüht. Premierminister Yildirim kritisiert jedoch „Türkeifeindlichkeit in Deutschland“.

Ankara - Die Türkei will an dem Flüchtlingsabkommen mit der Europäischen Union festhalten – trotz des ungelösten Streits um die Visumfreiheit für türkische Staatsbürger in der EU. „Wir werden Europa nicht mit Flüchtlingen drohen“, versicherte der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim in Ankara vor deutschen Vertretern von Medien und der Zivilgesellschaft . Das Thema Visumfreiheit tritt nun offenbar in den Hintergrund. „Wir sind in dieser Frage nicht hartnäckig“, erklärte Yildirim. Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte, in der Flüchtlingskrise würden die Türkei und Deutschland bisher „ihrer Verantwortung gerecht“, dabei solle es bleiben. Beide Länder hätten „gemeinsame Verpflichtungen“ und müssten „Hand in Hand zusammenarbeiten“.

Die Wogen haben sich geglättet

Cavusoglu signalisierte, dass die Türkei auf die Wiedereinführung der Todesstrafe, die Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli ins Gespräch gebracht hatte, verzichten will. „Die Wogen haben sich geglättet“, sagte Cavusoglu. Beide Regierungspolitiker beklagten aber mangelnde Solidarität Europas nach dem Putschversuch. Der islamische Prediger Fethullah Gülen, den die Regierung als Drahtzieher des Umsturzversuchs beschuldigt, bekomme in den deutschen Medien „breiten Platz“. Das sei „Reklame für den niederträchtigen Mörder“, kritisierte Premier Yildirim.

Harsche Kritik an Deutschland

Außenminister Cavusoglu Foto: AP
Es war eine durchwachsene Botschaft, die der türkische Regierungschef und sein Außenminister vermittelten. Yildirim und Cavusoglu sparten nicht mit teils scharf formulierter Kritik, vor allem an deutschen Medien, betonten aber ihren Wunsch, die Risse im deutsch-türkischen Verhältnis zu kitten. Trotz aller aktuellen Differenzen stehe „die langfristige Freundschaft im Vordergrund“, sagte Yildirim. Cavusoglu unterstrich, er kenne „keinen Grund, warum die Beziehungen mit Deutschland schlecht sein sollten“.

Schadensbegrenzung ist angesagt

Arrangiert wurden die Treffen mit den deutschen Gästen von der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die Erdogans regierender AKP-Partei nahesteht. Immerhin fast zwei Stunden nahm sich jeder der beiden Spitzenpolitiker Zeit – ein Hinweis darauf, dass im deutsch-türkischen Verhältnis Schadensbegrenzung angesagt ist. Tatsächlich gibt es keinen Mangel an Konfliktpotenzial. Das reicht von der Affäre um das Erdogan-Schmähgedicht des Satirikers Jan Böhmermann über die Kontroverse um die Armenier-Resolution des Deutschen Bundestages und das daraufhin von Ankara verhängte   Besuchsverbots für Abgeordnete bei den Bundeswehrsoldaten auf dem südtürkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik bis hin zu deutschen Reaktionen auf den Putschversuch von Mitte Juli, die in der Türkei als verspätet und halbherzig empfunden wurden.

Streit über die Armenien-Resolution

Die Armenier-Resolution sei „eine große Enttäuschung“ gewesen, unterstrich Premier Yildirim und verwies auf die Mitverantwortung des Deutschen Reichs für die „damaligen Ereignisse“ – auf die allerdings in der Entschließung des Bundestages bereits ausdrücklich abgehoben wurde. Außenminister Cavusoglu lobte, die jüngste Erklärung der Bundesregierung, wonach die Entschließung des deutschen Parlaments nicht rechtsverbindlich sei, trage zur „Normalisierung“ der strapazierten Beziehungen bei. Der Außenminister unterstrich aber, mit der Resolution habe der Bundestag beim türkischen Volk „Wunden geschlagen, die nicht sofort verheilen – das braucht Zeit.“

Keine Fragen zur Pressefreiheit

Viel tiefer als die Verstimmung über die Resolution zum Völkermord an den Armeniern geht in der Türkei die Verletzung über die, so die Wahrnehmung, mangelnde Solidarität deutscher Medien und Politiker nach dem Putschversuch. Wie ein roter Faden zog sich dieses Thema durch alle Gespräche der deutschen Gäste in Ankara. So verbat sich der Generaldirektor des türkischen Staatsfernsehens TRT, Senol Göka, in barschem Oberlehrerton Fragen zur Pressefreiheit in seinem Land und forderte von den deutschen Journalisten zunächst eine glaubhafte Beileidsbekundung für die 241 Todesopfer der Putschnacht.

Tiefe Enttäuschung in Ankara

Außenminister Cavusoglu begrüßte zwar, dass die Bundesregierung den Putschversuch verurteilte, beklagte aber wortreich, welch breiter Raum in deutschen Medien dem mutmaßlichen Drahtzieher Gülen gewidmet werde. „Das hat uns tief enttäuscht“, sagte Cavusoglu. In deutschen Medien habe es „absurde Darstellungen“ gegeben, bis hin zu der Unterstellung, Erdogan habe den Putsch selbst inszeniert, um die Opposition zum Schweigen zu bringen. Einige Medien seien sogar „enttäuscht gewesen, dass der Putsch keinen Erfolg hatte“, kritisierte Cavusoglu und konstatierte: „Das ist die Anti-Türkei-Haltung!“

Die Türkei rudert zurück

In der Frage der Todesstrafe, deren Wiedereinführung Präsident Erdogan schon am Morgen nach dem Putschversuch propagierte, rudert die türkische Regierung unterdessen zurück – wohl wissend, dass dies ein Ende der EU-Beitrittsverhandlungen bedeuten würde. „Die Wogen haben sich geglättet“, sagte Außenminister Cavusoglu, „die Vernunft wird die Überhand gewinnen.“ Obwohl: Die Frage sei schwierig, weil viele Menschen in der Türkei die Hinrichtung der Putschisten forderten. Erdogan habe die Frage bekanntlich ans Parlament delegiert. Dort scheint das Thema aber im Sande zu verlaufen. Premierminister Yildirim sei gegen die Todesstrafe, und er selbst sowieso, versicherte Cavusoglu. Sogar seine Gattin, die ihm nach dem Putsch mit dem Ende ihrer 23-jährigen Ehe gedroht habe, wenn er nicht für die Todesstrafe eintrete, habe er „an einem kühlen Abend auf der Terrasse unseres Ferienhauses in Alanya inzwischen überzeugt“, berichtete der türkische Chefdiplomat lachend – „jedenfalls zu 80 Prozent“.