Ruben Neugebauer hat den Pilotenschein gemacht, um Menschen in Seenot zu helfen. Er will aus der Vogelperspektive Flüchtlingsboote vor der libyschen Küste orten. Foto: imago

Ruben Neugebauer will für Sea-Watch übers Mittelmeer fliegen und Flüchtlinge retten. Sein Ziel ist es, die Luftaufklärung voranzutreiben – und zwar im Schulterschluss mit anderen zivilen Hilfsorganisationen.

Reutlingen - Für einen Getriebenen ist Ruben Neugebauer erstaunlich entspannt. Der Umweltaktivist, der schon Atomkraftwerke erklettert und Greenpeace-Schnellboote auf hoher See gesteuert hat, bringt reichlich Zeit mit beim Treffen in einem Reutlinger Café. Dabei müssten die Tage für ihn verlängert werden – bei all seinen Projekten und Ideen. Am liebsten würde der 27-Jährige mal kurz die Welt umkrempeln. Neugebauer ist zu Besuch in Reutlingen, seiner Heimat, wo er aufgewachsen ist, wo er als Jugendgemeinderat seine ersten Vereine gegründet und Protestaktionen vorangetrieben hat. Mal um Konzerte für junge Menschen in die Stadt zu bringen, mal um ein Zeichen zu setzen gegen eine Änderung des Versammlungsrechts, die er für undemokratisch hielt.

Er ist immer auf der Durchreise, so scheint es, den Laptop im Rucksack, das Telefon am Dauerklingeln. Tags zuvor war Ruben Neugebauer in Hamburg, wo er anderen Aktivisten eine neu entwickelte App zur Seenotrettung vorstellte – sie soll auf Schiffscomputern installiert werden. Tags drauf geht es mit dem Zug in die Schweiz zur Humanitarian-Pilot-Initiative, um Pläne für ein Konzept zu schmieden, mit dem Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem Ertrinken bewahrt werden sollen.

Den Helfern fehlte der Überblick

Als Mitgründer von Sea-Watch, der Initiative um Harald Höppner, die Schiffbrüchige mit privaten Booten rettet, setzt Neugebauer alles daran, dass weniger Menschen sterben. „Jedes einzelne Leben zählt“, sagt er. Er hat sich in den Kopf gesetzt, von einem Flugzeug aus das Mittelmeer und die Katastrophen, die sich darauf abspielen, zu beobachten und dadurch besser eingreifen zu können. „Wir brauchen eine Luftaufklärung bei der Rettung von Bootsflüchtlingen“, sagt Neugebauer und erzählt vom 27. August 2015. Von jenem Tag, als die Sea-Watch vor der libyschen Küste auf ein Schlauchboot stieß mit zwei Toten darin. „Die waren nicht ertrunken, sondern dehydriert“, sagt Neugebauer und kann es bis heute kaum fassen, dass fünf große Rettungsboote von unterschiedlichen Hilfsorganisationen tagelang vergeblich gesucht hatten. Sie waren den Sterbenden so nah und hätten sie binnen Minuten erreichen können, aber ihnen fehlte der Überblick. „Für uns war das der Wendepunkt“, sagt Neugebauer, der seither vor allem eine Mission hat. Neugebauer will in die Luft. Er will von oben sehen, wo und wie am besten Leben gerettet werden können. Denn die Zahl der Toten ist hoch: Mehr als 5079 Menschen starben im vergangenen Jahr bei ihrer Flucht über das Mittelmeer, so die Angaben der Internationalen Organisation für Migration.

Neugebauer durfte von Tunesien aus nicht abheben

Der geübte Gleitschirmflieger Neugebauer machte einen Pilotenschein. Sea-Watch kaufte für 42 000 Euro ein Ultraleichtflugzeug und rüstete es mit einem Zusatztank und Schwimmkörpern an den Kufen aus, um damit vor der libyschen Küste einen Suchstreifen abzufliegen. Doch starten durfte Neugebauer nicht. Wochenlang versuchte er im vergangenen Sommer, die Genehmigung der tunesischen Behörden zu bekommen, um von Djerba aus in Richtung libysches Mittelmeer abzuheben. Ein vergebliches Unterfangen. Trotz anfänglicher Zusage musste die Ikarus C 42 am Boden bleiben und Neugebauer seinen Einsatz abbrechen. Das Militär hatte sich in die Angelegenheit eingemischt.

Mit Frustrationen kennt sich der Aktivist aus, davon abschrecken lässt er sich nicht. Mittlerweile hätten sie mehr als nur einen Plan B in der Schublade. „Wir werden irgendwann Drohnen einsetzen“, sagt Neugebauer, „frühestens in einem Jahr haben wir eine belastbare Technik am Start.“ Noch sind die Modelle zu teuer, und ihre Reichweite ist zu gering. Vielversprechender sei das Vorhaben, ein etwas größeres Flugzeug zu chartern, im vorigen Jahr sei dieser Plan am Geld und an den Bedenken der Charterfirmen gescheitert. 2017 könnte es gelingen, da sich die zivile Rettungsflotte im Schulterschluss übt. Gemeinsam können die Hilfsorganisationen mehr erreichen. Etliche seien bereits mit im Boot, versichert Neugebauer – von Ärzte ohne Grenzen über Jugend rettet bis zu SOS Mediterranée. „Letztes Jahr waren 13 zivile Schiffe von zehn NGOs im Einsatz“, rechnet Neugebauer zusammen, „und alle sagen, wir brauchen eine Luftüberwachung.“

Die letzte Option ist ein fliegendes Schlauchboot

Sollte weder die Idee mit den Drohnen noch die mit dem Charterflieger klappen, gibt Neugebauer noch lange nicht auf. „Wir haben noch eine letzte Option“, verrät er und klappt den silbernen Laptop auf. „Das ist die experimentelle Methode.“ Er zeigt das Foto eines fliegenden Schlauchboots. Ein lustiges Gefährt, das aussieht wie die Tüftelei eines Hobbybastlers – halb Boot, halb Drachen, ein Schubpropeller lässt es abheben. Mit einem Kran wird es vom Schiff ins Wasser gehievt. Maximal fünf Stunden kann es in der Luft bleiben und schafft bis zu 70 Kilometer pro Stunde. Für Neugebauer steht fest: „Falls alles nichts wird, würde ich auch das fliegen.“