Gert Hager (SPD) strebt im nächsten Jahr eine weitere Amtszeit als Pforzheimer Stadtoberhaupt an. Foto: dpa

Die Stadt Pforzheim hat ein Defizit von 50 Millionen Euro. Fast die Hälfte davon sei durch die vielen Zuwanderer entstanden, klagt der Oberbürgermeister Gert Hager (SPD) im Interview. Wenn die Kosten nicht anders verteilt würden, treibe dies vor allem die größeren Städte in eine Finanzkrise.

Pforzheim - Pforzheim kommt laut dem Rathauschef Gerd Hager (SPD) gut mit den zugewiesenen Flüchtlingen zurecht: Und als einzige Stadt in Baden-Württemberg musste man noch keine Turnhalle belegen. Die Kosten aber könne man kaum noch schultern. Hager fordert ein klares Konzept vom Bund.

Herr Hager, Sie sind ein OB, der sehr offen mit dem Thema Zuwanderung umgeht, gerade was die Kosten anbetrifft: 22 von 50 Millionen Euro des Pforzheimer Defizits beruhen auf gestiegenen Sozialkosten für Zuwanderer. Warum gehen Sie in die Offensive?
Die Bürger sind besorgt über die Entwicklung der Finanzen Pforzheims. Wir hatten 2012 noch Überschüsse im Haushalt und sind jetzt bei einem Defizit von 50 Millionen Euro angelangt. Pro Jahr. Die Bürgerschaft hat nicht nur ein Recht darauf, die Gründe für das Defizit zu kennen, sie muss sie auch kennen. Das hat nichts damit zu tun, dass ich auf jemanden mit dem Finger zeigen will. Die Menschen, die jetzt in die Sozialsysteme zugezogen sind, das sind zum großen Teil EU-Bürger aus Rumänien und Bulgarien; diese Personen haben alle die freie Wohnortwahl. Dazu kommen knapp 3000 Jesiden aus dem Irak. Also müssen wir mit der Situation umgehen.
Wie viel Geld gibt Pforzheim zusätzlich für die Flüchtlinge aus?
Das können wir noch nicht beziffern, weil die Asylverfahren unheimlich schleppend verlaufen. Auch ziehen immer wieder Menschen zu oder weg. So können wir nicht schätzen, wie viele anerkannte Asylbewerber in zwei oder drei Jahren in Pforzheim leben werden. Das wäre Kaffeesatzleserei, und das mache ich nicht.
Ist Ihre Offenheit auch eine Reaktion auf die hohe Zahl von AfD-Wählern in Pforzheim? Gerade die Klientel der AfD behauptet ja gerne, dass die Politik die wahren Kosten der Flüchtlinge bewusst verschleiern würde.
Das spielt keine Rolle. Ich wäre auch ohne AfD so vorgegangen, weil ich grundsätzlich für transparente Politik stehe und weil ich Wahrheiten ausspreche, auch wenn sie nicht jeder hören mag.
Was ist für Sie die Konsequenz aus diesen finanziellen Lasten? Weder die Zahl der Zuwanderer noch die Zahl der Flüchtlinge in Pforzheim können Sie beeinflussen.
Wir sind eine Stadt mit 143 Nationalitäten, die Zuwanderung hat auch Vorteile im heutigen globalen Wettbewerb und wird Vorteile haben in der Zukunft, wenn es uns gelingt, diese Menschen zu integrieren. Da arbeiten wir sehr hart daran. Aber es ist eine schwere Arbeit, und sie hat sich in den zurückliegenden zwei, drei Jahren enorm verschärft. Wir haben eine Nettozuwanderung von 6000 Personen in zwei Jahren, darunter 1300 Rumänen, 700 Iraker und 400 Polen. 9,5 Prozent der Polen und 12,4 Prozent der Rumänen erhalten soziale Leistungen, bei den Irakern sind es rund 45 Prozent.
Nochmals die Frage: Wofür plädieren Sie?
Ich wünsche mir, dass die Bundespolitik endlich ein klares Konzept beim Thema Flüchtlinge verfolgt. Wichtig wäre der Ansatz, gleich bei der Einreise zu trennen zwischen Menschen mit Asylgrund und Menschen mit wirtschaftlichen Gründen. Für Menschen mit wirtschaftlichen Gründen brauchen wir dringend ein Einwanderungsgesetz.
Sie fordern ein Kontingent für diese Gruppe?
Wer die Kriterien eines Einwanderungsgesetzes erfüllt, ist willkommen. Ansonsten müssen Menschen auch zurückgeschickt werden können. Länder wie die Vereinigten Staaten oder Kanada machen das. Wir können nicht alle in die Sozialsysteme lassen. Man kann sich darüber unterhalten, ob man Entwicklungshilfe in den Fluchtländern betreibt. Bei anerkannten Asylbewerbern muss zudem nach drei bis fünf Jahren geschaut werden, wie die Lage im Heimatland ist. Eventuell muss dann über Rückführung gesprochen werden. Allerdings mit der Einschränkung: Wer sich integriert und qualifiziert hat, sollte wieder eine Chance über das Einwanderungsgesetz bekommen. Das ist meine Meinung, und die habe ich auch schriftlich dem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und dem Bundesinnenminister Thomas de Maizière zukommen lassen. Eine Antwort habe ich nicht erhalten.
Fühlen Sie sich ratlos, weil Sie einen bedeutenden Teil der Kosten tragen müssen, aber keinen Einfluss haben?
Zur Ehrenrettung des Landes Baden-Württemberg muss ich sagen, dass wir die Kosten für Flüchtlinge zu fast 100 Prozent erstattet bekommen, solange die Verfahren laufen. Sobald die Menschen anerkannt sind, obliegt alles Weitere den Kommunen. Das sprengt unser Budget.
Pforzheim steckt in einer Finanzkrise und muss kräftig sparen. Fürchten Sie nicht, dass jemand Ihre Aussagen zuspitzt und sagt: Wegen der Zuwanderer kosten die Kindergärten mehr und können die Straßen nicht mehr repariert werden. Was antworten Sie?
Das wäre eine populistische Schlussfolgerung, die falsch ist.
Warum?
Wir wenden uns nicht gegen die Menschen, die in großer Not zu uns kommen. Was aber notwendig ist, ist eine andere Kostenverteilung. Diese finanziell schwierige Entwicklung ist das Problem vor allem der großen Städte in Baden-Württemberg. Mannheim hat ähnliche Probleme, auch in Karlsruhe ist die Haushaltskrise angekommen. Ich erwarte vom Land, dass wir künftig eine andere Finanzverteilung haben, gegebenenfalls auch über einen Sondertopf. Denn es kann nicht sein, dass die großen Städte die sozialen Lasten abfangen müssen.
Wie stehen Sie heute da?
Im Moment müssen wir enorm sparen. Ich habe mit dem Gemeinderat schon ein gewaltiges Sparpaket von 130 Millionen Euro bis 2021 auf den Weg gebracht. Es ging nicht mehr anders. Das ist sehr schmerzhaft, weil wir in beinahe alle Bereiche reingegangen sind.
Sie planen insgesamt 307 Sparmaßnahmen.
Gelegentlich fühlen wir uns da alleingelassen von Land und Bund. Es kann nicht sein, dass vor allem der Bund Gesetze erlässt, für die er sich feiern lässt – aber mit den finanziellen Folgen lässt man die Kommunen allein. Damit wir uns nicht missverstehen: Beispielsweise bin ich persönlich sehr dafür, dass die Kindergärten gebührenfrei sind, ähnlich wie Schulen, denn im Kindergarten fängt die Integration an. Ich könnte mir sogar eine Kindergartenpflicht vorstellen. Aber das Subsidiaritätsprinzip – wer bestellt, der bezahlt – sollte nicht ganz außer Kraft gesetzt werden. Zumal nicht, wenn die Maßnahmen gelingen sollen.
Es gab lange Jahre große Probleme in einem Stadtviertel mit deutschstämmigen Menschen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken – jetzt existiert dort eine gute Gemeinschaft. Sind die damaligen Konzepte eine Blaupause für die Integration der Flüchtlinge jetzt?
Wir sind uns alle einig, dass wir keinen weiteren Stadtteil schaffen wollen, in dem sich alle Flüchtlinge versammeln, sondern wir wollen uns in der Stadt dezentral aufstellen. Bei den Menschen aus den ursprünglichen russischen Gebieten beobachten wir eine geteilte Entwicklung. Diejenigen, die Jahrzehnte hier sind, haben sich sehr gut eingefunden. Die Kinder machen gute Ausbildungen, belegen interessante Studiengänge, bekommen hervorragende Jobs. Wir haben aber in den letzten Jahren nochmals eine Welle bekommen von Menschen, deren Familien noch vielfach in Russland leben, und diese Bürger schauen hier vorwiegend russisches Staatsfernsehen.
Pforzheim wird in der bundesweiten Öffentlichkeit oft als Problemstadt wahrgenommen: hohe Arbeitslosigkeit, viele Migranten, starke AfD-Wählerschaft. Würden Sie sich manchmal wünschen, lieber OB in einer anderen Stadt zu sein?
Ganz klar: Nein. Pforzheim ist meine Heimatstadt, ich bin hier geboren und aufgewachsen. Da hängt ganz viel Herzblut dran. Ich habe es noch keine Sekunde bereut, hier OB zu sein. Und im kommenden Jahr
trete ich wieder an und stelle mich den Bürgerinnen und Bürgern zur Wahl.
Welches sind denn die positiven Themen in Pforzheim, die Ihrer Ansicht nach zu kurz kommen in der Wahrnehmung?
Wir haben die niedrigste Kriminalitätsrate unter den Städten in Baden-Württemberg. Wir tun wahnsinnig viel für die Integration. Unsere Wirtschaft wächst stark, wir konnten die Zahl der Arbeitsplätze vom Tiefpunkt um gut 15 Prozent auf jetzt 56 000 Arbeitsplätze steigern. Und selbst wenn Sie es nicht glauben wollen: Wir machen jetzt auch unsere Innenstadt richtig attraktiv.