Ein Kreuz für einen neuen Kreuzzug? Mitnichten! Nur ein Geschenk von Häftlingen Foto: KNA

Papst Franziskus hat die Flucht Hunderttausender Menschen nach Europa als „arabische Invasion“ bezeichnet, gleichzeitig aber auch die sich daraus ergebenden Chancen betont.

Rom - „Arabische Invasion Europas“. Diese drei Worte sind am vergangenen Dienstag (1. März) in Santa Marta, dem Gästehaus des Vatikan, gefallen. Ausgesprochen vom Papst vor einer Gruppe von Vertretern der linksorientierten französischen Bewegung „Poissons Roses“. Angesichts von mehr als einer Million vornehmlich muslimischen Flüchtlinge, die seit dem vergangenen Sommer nach Europa und vornehmlich nach Deutschland gekommen sind, spricht Franziskus in seiner langen Rede von eben dieser „Invasion“. Und das 79-jährige Oberhaupt der Katholischen Kirche fährt fort: „Wir können heute von einer arabischen Invasion Europas sprechen. Das ist eine soziale Tatsache.“

Franziskus spricht aber auch von den Chancen, die daraus für den Kontinent entstünden. Und er warnt mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen durch die Flüchtlingskrise vor nationalen Alleingängen. Stattdessen beschwört er wie so oft in der Vergangenheit die Einheit und Solidarität aller Europäer.

„Poissons Roses“: Wer ist das?

Poissons Roses“ ist eine 2012 in Frankreich gegründete Bewegung, die linke, sozialistische Ideen über gesellschaftliche Werte wieder aufleben lassen will. Dass Franziskus in der Flüchtlingsarbeit Engagierte einlädt, ist nichts Ungewöhnliches. Der Papst kritisiert in seinen offiziellen Ansprachen und Reden immer wieder die ungerechte Verteilung der Güter auf der Welt und die wachsende Kluft von Arm und Reich. Seit seinem Amtsantritt am 13. März 2013 macht er die globale Fluchtbewegung und die Aufgabe Europas in der gegenwärtigen Flüchtlingskrise immer wieder zum Thema.

Radio Vatikan: Das Zitat ist richtig wiedergegeben

„Radio Vatikan“ hat die Authentizität der Äußerung bestätigt, die zuerst von der katholischen französischen Wochenzeitung „La Vie“ zitiert worden ist. Der Papst-Sender macht darauf aufmerksam, dass der Satz aus dem Zusammenhang der Originalrede – „umgerechnet mehrere Seiten lang“ – herausgerissen worden sei.

Auch die französische Tageszeitung „Le Monde“ kritisiert diese Art des Zitierens und titelt: „Die üble Debatte um die Aussage des Papstes“. „Une invasion arabe de l’Europe ?“ – Eine arabische Invasion Europas“? „Non“ – Nein!, schreibt „Le Monde“.

Die Rede des Papstes

Franziskus: Austausch der Kulturen bereichert Europa

In seiner Rede erklärt der Papst explizite, dass aus der Zuwanderung Hunderttausender von arabischen Muslimen neue Chancen für Europa entstünden. Europa habe in seiner Geschichte viele Invasionen erlebt, „aber es hat immer über sich selbst hinauswachsen, voranschreiten können, um sich dann, bereichert durch den Austausch der Kulturen, wiederzufinden“. Und Franziskus fügt an anderer Stelle hinzu: „Wenn es seine Geschichte vergisst, schwächt sich Europa. Dann wird es zu einem leeren Ort.“

Radio Vatikan stellt in seinem Online-Blog „Laudetor Jesus Christus – Radio Vatikan Blog“ klar, dass es Franziskus keineswegs um eine ideologische Befeuerung der Flüchtlingsdebatte gehe, sondern um die Zukunft der europäischen Einigung. Und der Sender verweist auf eine Grundsatzerklärung des Papstes zum Thema Europa.

In seiner Rede vor dem Europaparlament in Straßburg am 25. November 2014 rief Franziskus die Staaten Europas zur Einheit und zur Solidarität mit Flüchtlingen und verfolgten Völkern auf: „. . .  Die Stunde ist gekommen, gemeinsam das Europa aufzubauen, das sich nicht um die Wirtschaft dreht, sondern um die Heiligkeit der menschlichen Person, der unveräußerlichen Werte; das Europa, das mutig seine Vergangenheit umfasst und vertrauensvoll in die Zukunft blickt, um in Fülle und voll Hoffnung seine Gegenwart zu leben.“

Radio Vatikan: Klarstellung des Papst-Zitates

Radio Vatikan schreibt weiter: „‚Arabische Invasion‘. Mehr braucht es nicht, um mal wieder einen Papst-Satz durch die Medien zu treiben. Mehr wird auch über die Unterredung vom vergangenen Samstag gar nicht berichtet, dabei ist der Artikel im Osservatore Romano und in der Zeitschrift La Vie – wo das Original erschienen ist – umgerechnet mehrere Seiten lang. Nur die eine Formulierung und alle wundern sich wieder. Ceterum censeo – bitte entschuldigen Sie, wenn ich mich hier immer wiederhole – man muss den Papst in der Sprechsituation und im Zusammenhang hören oder lesen, seine Sätze funktionieren als Kommunikation mit den Menschen, die vor ihm stehen oder sitzen, nicht als allgemeingültige Aussagen für alle Menschen immer und überall, schon gar nicht wenn es nur einige Worte sind, die heraus genommen werden.“

Ein umstrittenes Zitat und seine Folgen

„Arabische Invasion Europas“: Ein Zitat geht um

„Arabische Invasion Europas“. Drei Worte gehen um die Welt. Weltweit titeln Zeitungen, Online-Portale und Blogs über den päpstlichen Ausspruch. Auf rechtspopulistischen und Anti-Islam-Webseiten verbreitet sich das Zitat in Windenseile. Islam-Gegner instrumentalisieren den Satz bereits und befeuern damit die europaweite Flüchtlingsdebatte wenige Tage vor dem EU-Türkei-Gipfel am kommenden Montag ( 7. März) in Brüssel.

Steilvorlage für Rechtspoplisten?

Ein Beispiel hierfür ist ein Artikel auf „Jihad Watch“: „Pope Francis: “We can speak today of an Arab invasion” of Europe.“ Laut der Suchmaschine „Google“ handelt es sich bei „Jihad Watch“ um einen Online-Blog, der in Verbindung stehe mit dem rechtskonservativen David Horowitz Freedom Center in Sherman Oaks bei Los Angeles (US-Bundesstaat Kalifornien) und der anti-islamischen „Counterjihad Bewegung“ im Internet – einer islamfeindlichen, rechts stehenden politischen Strömung.

Auch der rechtsradikale Anders Behring Breivik, der am 22. Juli 2011 mehr als 70 Menschen in Norwegen ermordete, soll der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge ein eifriger Leser des Blogs „Jihad Watch“ gewesen sein.

Der Vatikan ist alarmiert

Es ist wie gesagt ausgesprochen selten, dass sich „Radio Vatikan“ befleißigt fühlt, eine Papstrede in dieser Weise zu kommentieren und „richtig zu stellen“. Doch zu heikel, zu brisant, zu brandgefährlich ist ein solches aus dem Kontext gerissenes Zitat. In dem Beitrag von Radio Vatikan heißt es deshalb:

„‚Wir können heute von einer arabischen Invasion sprechen. Das ist eine soziale Tatsache‘, gibt La Vie wieder. Der Papst habe da aber sofort anfügt, dass die Theoretiker der extremen Rechten, die Angst vor der großen Vertreibung und Verdrängung schürten, enttäuscht werden. ‚Wie viele Invasionen hat Europa nicht schon in seiner Geschichte gesehen!‘, da ist wieder die Verbindung zum vorher gesagten, Europa müsse seine Geschichte kennen. Europa habe in der Vergangenheit sich selber immer überwunden, sei immer über sich selbst hinaus gegangen und habe sich ‚bereichert wiedergefunden durch die Begegnung der Kulturen‘. Bereichert!“

Was Päpste so sagen

„Ein bisschen schlagen“: Eine andere gewagte Äußerung des Papstes

Das Ganze erinnert an eine andere Äußerung, die Franziskus Anfang Februar 2015 bei der wöchentlich stattfindenden Generalaudienz machte. Damals sprach er über eines seiner Lieblingsthemen – die Familie und Rolle des Vaters – und gab folgende Anekdote zum Besten: „Einmal habe ich einen Vater bei einem Treffen mit Ehepaaren sagen hören: ‚Ich muss manchmal meine Kinder ein bisschen schlagen, aber nie ins Gesicht, um sie nicht zu erniedrigen.‘“ Und Franziskus fährt fort: „Wie schön! Er weiß um den Sinn der Würde. Er muss sie bestrafen, aber er tut es gerecht und geht dann weiter.“

„Ein bisschen schlagen?“ Das Thema Gewalt gegen Kinder ist zu sensibel für eine locker-flapsige Anekdote. Genauso wie das Thema Asylkrise und muslimische Einwanderung. Zu aufgeheizt ist die öffentliche Debatte – gerade in Deutschland, zwei Wochen vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt.

Benedikt XI. und der Islam

Sätze wie „Arabische Invasion Europas“ sind mediale, emotionale und politische Selbstläufer. Eine Art PR-GAU. Prädestiniert zum Instrumentalisieren und selektiven Zitieren – ähnlich wie das legendäre Zitat Papst Benedikts XVI.. Bei seinem zweiten Besuch in Deutschland hielt Joseph Ratzinger am 12. September 2006 vor Wissenschaftlern an der Universität Regensburg eine Vorlesung. In seinem Vortrag beschäftigte er sich mit dem Verhältnis von Religion und Gewalt und ging dabei auf den Heiligen Krieg des Islam ein.

Benedikt zitierte dabei aus einem Gespräch des byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaiologos (1350–1425) mit einem persischen Gelehrten: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.“

Dass ein Papst solches öffentlich vorlas und die Aufforderung des Islam, der Glaube solle mit dem Schwert verbreitet werden, unkommentiert kritisierte, sorgte für Empörung in der islamischen Welt. Der Vatikan erklärte nach dem Aufkommen der ersten Kritik, Papst Benedikt XVI. habe moslemische Gläubige nicht beleidigen wollen.

Christentum und Islam

Christen und Muslime: Eine historisch belastete Beziehung

Das Verhältnis von Christen und Muslimen ist historisch schwer belastet. Die Kreuzzüge ins Heilige Land und die Reconquista, die christliche Rückeroberung der iberischen Halbinsel von den Mauren im Mittelalter hat genauso ihre tiefen Spuren in der Geschichte und im Bewusstsein der Religionen und Völker hinterlassen wie der europäische Imperialismus in den arabischen Staaten im 19. und 20. Jahrhundert. Vor diesem historischen Hintergrund darf ein solcher Satz nicht fallen – schon gar nicht aus dem Mund eines katholischen Kirchenoberhaupts.

Papst Urban II. und der erste Kreuzzug

Dies zur historischen Einordnung: Es war Urban II., Papst von 1088 bis 1099, der am 27. November 1095 zum Kreuzzug aufrief. Die Bedrängnis der Byzantiner im Kampf gegen die türkischen Seldschuken wurde in einem Brief von Kaiser Alexios an Graf Robert von Flandern deutlich. Dieser Brief soll Urban den entscheidenden Anstoß zu seinem Aufruf zum Ersten Kreuzzug gegeben haben, der am 27. November 1095 auf der Synode von Clermont an die französischen Ritter erging.

Durch diesen ersten Kreuzzug sollte das morgenländische Christentum und vor allem Jerusalem von der Herrschaft der Muslime befreit werden. Es folgten insgesamt sieben Kreuzzüge im 12. und 13. Jahrhundert. Das Vorhaben, Jerusalem für die Christenheit zu erobern, war selten von Erfolg gekrönt. Meist hinterließen die Kreuzritter auf ihrem Weg Verwüstung und Tod.

„Es geht um Bereicherung – nicht um Angst“

Franziskus verabscheut bekanntlich jede Form von Gewalt. Seit seiner Wahl zum Papst am 13. März 2013 kämpft er durch Wort und Tat für mehr Humanität und Nächstenliebe unter den Menschen. Um noch einmal „Radio Vatikan“ zu zitieren: „Wer auch immer das eine Zitat aus dem Zusammenhang reißt und das vor seinen politischen Karren spannen will, der möge aufmerken: Es geht um Bereicherung! Nicht um Angst.“