Von Markus BrauerKindergärten sind ein Schmelztiegel der Kulturen und Religionen. Kinder

Von Markus Brauer

Kindergärten sind ein Schmelztiegel der Kulturen und Religionen. Kinder aus christlichen, muslimischen, jüdischen, hinduistischen und areligiösen Familien treffen hier zusammen, spielen miteinander, lernen voneinander - und missverstehen einander.

Kinder brauchen das Wissen über andere Religionen, ist der katholische Religionspädagoge Albert Biesinger deshalb überzeugt. Dies zu vermitteln sei eine wichtige Aufgabe für Kindertagesstätten und Erzieherinnen. "Es gehört zur Bildung, dass man religiöse Fragen mit den Kindern klärt", erklärt der Tübinger Theologieprofessor.

Zusammen mit den evangelischen Theologen Friedrich Schweitzer und Anke Edelbrock hat Biesinger 2007/2008 in einem Pilotprojekt die interkulturelle und interreligiöse Bildung in Kindertagesstätten untersucht. 2009 startete dann die erste bundesweite repräsentative Studie zu dem Thema. Erste Ergebnisse zeigen, dass Kita-Kinder schon mit fünf Jahren Unterschiede zwischen Religionen wahrnehmen, ihre eigenen Erklärungen dafür finden und sich untereinander darüber austauschen.

"Auf die Kindergärten kommen neue große Herausforderungen zu", sagt Schweitzer. Viele Kitas hätten einen hohen Anteil an Muslimen. Die Fragen der interreligiösen Erziehung würden von staatlicher Seite "so gut wie gar nicht behandelt". Religiöse Themen werden hingegen von den Kindern und ihren Eltern häufig thematisiert. Aussagen von Kindern, dass es nicht gut sei, Schweinefleischwurst auf dem Frühstücksbrot zu essen oder dass Allah größer sei als Jesus, machen deutlich, wie wichtig es ist, die interreligiöse Bildung in Kitas zu intensivieren und die Glaubenspraxis im Christentum oder Islam kindgerecht zu erklären.

Auch die Tatsache, dass Kinder im Vorschulalter über ein interreligiöses Interesse und Wissen verfügen, zeigt nach Ansicht der Forscher, dass sie zu einer differenzierten Wahrnehmung fähig sind. Wenn sie von den Erwachsenen allerdings keine Antworten auf ihre Fragen erhalten, machen sie sich ihr eigenes, von kindlicher Fantasie geprägtes Bild über fremde Religionen.

Das bestätigt auch Anke Edelbrock, die an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd Religionspädagogik unterrichtet. "Wir hatten ein muslimisches Kind mit Downsyndrom. Die anderen Kinder sagten, weil es eine Behinderung hat, darf es kein Schweinefleisch essen. Wenn Kinder nicht an die Hand genommen werden und es ihnen erklärt wird, fantasieren sie und machen sich ihren eigenen Reim drauf."

Seit Baden-Württemberg und andere Bundesländer in ihren Bildungs- und Erziehungsplänen für die frühe Kindheit auch die Themen Religion, Sinn und Werte verankert haben, müssen sich kirchliche und kommunale Einrichtungen gleichermaßen mit religiösen Inhalten befassen. In der Praxis werde dieser Anspruch aber oft nicht umgesetzt, kritisiert Schweitzer, der an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen Religionspädagogik lehrt.

Auffällig ist, dass laut Studie die religiöse Sprachfähigkeit der Kinder noch wenig ausgeprägt ist. Es fehle an Worten und Begriffen, um religiöse Sachverhalte wie Feste oder Riten zu beschreiben und zu identifizieren. "Nur wenige Kinder verfügen offenbar über ein Wissen, das als zureichende Voraussetzung für das Zusammenleben in einer multireligiösen Gesellschaft beurteilt werden kann", erklärt Biesinger.

Dass christliche Kitas mehr Gewicht auf die religiöse Erziehung legen und Feste wie Sankt Martin, Ostern oder Weihnachten feiern, war zu erwarten. Überraschender ist hingegen der Befund, dass sich kirchliche Kitas öfter mit dem Islam beschäftigen. Ein Viertel der befragten Einrichtungen hat sich laut Studie schon mit muslimischen Festen und Bräuchen auseinandergesetzt.

Die bisherigen Untersuchungen zeigen aber auch, dass weder in kirchlichen noch in kommunalen Kitas "die religiöse Begleitung wirklich gesichert ist und mit Blick auf interreligiöses Lernen noch sehr wenig geschieht", wie Schweitzer erklärt.

2012 soll die Tübinger Studie abgeschlossen sein. Ein Axiom steht schon jetzt fest: Kinder haben ein Recht auf Religion und religiöse Begleitung. Die Erwachsenen dürften ihnen den Zugang zum Glauben nicht verweigern. Schweitzer: "Kinder nehmen wahr, dass einige zur Kirche, andere zur Moschee, zur Synagoge oder nirgendwohin gehen. Sie stellen Fragen, und diese Fragen machen wie alle Fragen eine Begleitung erforderlich." Schon Kindern müsse man bewusst machen, dass sie in einer multireligiösen Gesellschaft leben, ergänzt Edelbrock.

Nicht nur aus pädagogischer Sicht ist die Tübinger Studie von Brisanz: Angesichts der Integrationsdebatte muss sich die Gesellschaft bewusst werden, dass Probleme bereits in der Kindheit beginnen. "Integration beginnt im Kindergarten", so Schweitzer. Die interreligiöse Bildung biete einen wichtigen Beitrag für die Wertebildung. "Mehr Toleranz, Respekt und Anerkennung für die anderen - darauf zielen wir ab."