Dunkle Wolken über Jaffa Foto: Welzhofer

November bis März – etwa - ist Regenzeit in Israel. Dann füllt das Land seine Wasserreserven auf, von denen es die anderen acht, neun Monate leben muss.

Der Winter beginnt mit ein paar Tropfen an meiner Fensterscheibe. Pink-orange leuchtet der nächtliche Himmel, die Bäume verneigen sich tief vor den Winden und die Menschen, die sonst so gelassen über den grünen Boulevard vor meinem Haus schlendern, spannen die Schirme auf und hasten davon. Der erste Regen ist schmutzig, weil er den Staub des Sommers mit sich nimmt, sagen die Israelis. Und weil der Sommer hier sehr lang und sehr staubig ist, braucht es wahrscheinlich auch so viel Wasser, um ihn wegzuspülen. Ein Regensturm zieht am Wochenende über Israel, nicht vergleichbar mit Sandy. Aber auf Hebräisch sagt man trotzdem „Mabul“ – Sintflut.

In Eilat, dem Touristenort an der Südspitze Israel, sind die Straßen und der Flughafen überflutet, es gibt Stromausfälle im Norden von Tel Aviv, durch meine Straße, die ein wenig abschüssig ist, rinnen mittelgroße Bäche und die Temperatur sinkt von 30 auf 20 Grad. Es ist das erste Mal, dass ich in Israel Regen erlebe - und es fühlt sich ein bisschen so an, als würde man im Sommer Ski laufen. Merkwürdig.

November bis März – etwa - ist Regenzeit in Israel. Dann füllt das Land seine Wasserreserven auf, von denen es die anderen acht, neun Monate leben muss. In den vergangenen Jahren hat es viel zu wenig geregnet. Der Fluss Jordan, der unter anderem von den Golanhöhen gespeist wird, führt immer weniger Wasser, der Spiegel des Sees Genezareth im Norden, des einzigen richtig großen Sees im Land, geht zurück. Wenn man an seinem Ufer steht, kann man sehen, dass ein Schilfmeer dort wächst, wo früher Boote angelegt haben. Die Wasserversorgung ist auch Teil des Konflikts mit den Palästinensern. Im Westjordanland liegen wichtige Reserven, die Israelis pumpen dieses zu großen Teilen für sich und die Siedler ab, wobei die Zahlen, wie viel sie wirklich abzapfen, je nach Quelle schwanken. Amnesty International spricht von 80 Prozent.

Der Regen verlangsamt die Stadt

Im Regen verlangsamt sogar Tel Aviv seinen Pulsschlag. Viele Bewohner bleiben offenbar zu Hause oder warten in den Cafés, dass der Regen ihr Auto und die Fenster wäscht. Und auch die Vogelschwärme, die man zu dieser Jahreszeit am Himmel sieht, haben sich heute verzogen. Das Land im Drei-Kontinent-Eck (Europa, Asien, Afrika) ist einer der größten Durchgangsbahnhöfe für Vögel. Geschätzt 500 Millionen wählen jedes Frühjahr und jeden Herbst diese Route auf ihrem Nord-Süd-Weg, darunter Adler, Störche und Geier. Manche Israelis machen Ausflüge zu den Stellen, an denen die Schwärme eine Pause einlegen – und in Eilat im Süden treffen sich im Frühjahr Vogelbeobachter aus der ganzen Welt.

Ich tue es den Gefiederten und den anderen Tel Aviver Vögeln gleich und bleibe zu Hause. Und während die Tropfen am Fenster sich schon lange in dicke Rinnsale verwandelt haben, lese ich, dass die Gewalt in der Grenzregion zwischen Gazastreifen und Israel weiter eskaliert. Militante Palästinenser haben am Wochenende mehr als 60 Raketen und Granaten vom Gazastreifen aus auf israelische Gemeinden in der Grenzregion abgefeuert, die israelische Armee hat mit Luftangriffen und Panzerbeschuss geantwortet. Mindestens sechs Menschen wurden auf palästinensischer Seite getötet, mehrere Israelis verletzt. Kurz vor den Wahlen im Januar schlitterten Israel und Gaza in eine kriegsähnlichen Situation, schreibt der Kommentator von „Ynet“. Und dann feuert Israel auf den Golanhöhen auch noch die ersten Warnschüsse seit dem Yom-Kippur-Krieg 1973 Richtung Syrien ab, nachdem eine syrische Granate neben einem israelischen Posten eingeschlagen war.

Als ich in unser Esszimmer gehe, ist die Sintflut auch dort angekommen. Sie ist einfach durch die Fenster geschwappt, die wir vergessen haben zu schließen. Den ganzen Sommer über waren sie weit offen gestanden - ohne Bedenken. Aber der Sommer ist ja jetzt erst mal vorbei.

Regelmäßig beschallt der Stammgast seine Nachbarn mit Wagner-Opern

In einer Regenpause verlasse ich dann unter einem bleigrauen Himmel doch noch das Haus, nur um kurz darauf – es hat wieder angefangen – im Café Tamar auf der Sheinkin Street zu stranden. Es sind nur wenige Gäste in dem Café, das seit 1941 an dieser Stelle steht. Und sie scheinen sich alle zu kennen: Ein junge Mann mit Bart und Bertolt-Brecht-Mütze, eine Frau schwer zu schätzenden Alters, deren Haare sehr blond und deren Stirn unnatürlich unbeweglich ist, dann noch ein korpulenter älterer Mann mit Baseball-Cap.

Das Café Tamar ist eine Institution in Tel Aviv, vor allem in den 60er und 70er Jahren war es ein Treffpunkt der linken Intellektuellen. Fotos an den Wänden erzählen davon, politische Aufkleber, die unter anderem auf die Ermordung Jizchak Rabbins 1995 hinweisen, Karikaturen und Zeichnungen. Und fast überall ist Sarah mit abgebildet. Sarah, heute jenseits der 85, die das Tamar seit den 50er Jahren betreibt und auch an diesem Abend mit blau-lila gefärbten Haaren und einer Bluse in schwarz-weißem Leopardenprint hinter der riesigen alten Kasse sitzt und mir mit einem erstaunten Lächeln erklärt, dass sie keinen Wein ausschenke. Aber ein israelisches Goldstar-Bier, ja, das könne ich mir aus dem Kühlschrank nehmen.

„Das Café war vielleicht immer historisch. Dinge fallen aus der Zeit, Orte, sogar Menschen passen mehr oder weniger gut oder eben gar nicht in die Zeit hinein, in der sie leben“, hat die Schriftstellerin Katharina Hacker 2011 über das Tamar geschrieben.

Ich setze mich mit dem Goldstar-Bier an eines der grünen Resopal-Tischchen unter der Markise. Der Mann mit der Baseball-Mütze, der so aussieht, als würde er sehr oft hier seinen Kaffee trinken, fragt mich, wo ich herkomme. „Aus Deutschland“, sage ich - und darauf folgt seinerseits ein Redeschwall, der der Mabul durchaus Konkurrenz macht. Viele Male schon sei er durch Deutschland gereist, sagt der Mann. Von München bis Berlin. Von Füssen bis Heidelberg. Überall sei es ganz großartig gewesen. Er verstehe auch Deutsch, seine Eltern stammten aus Wien.

Und während ich eigentlich lieber etwas über das Tamar von ihm erfahren hätte, in dem er, wie sich herausstellt, seit 30 Jahren Stammgast ist, will der Mann mir lieber von Deutschland vorschwärmen, von der Höflichkeit meiner Landsleute, der Schönheit des Schwarzwaldes, von Ludwig II. und Angela Merkel, die gegenüber Benjamin Netanjahu klare Worte finde – vor allem aber von Richard Wagner. „Ich habe sämtliche Wagner-Opern zu Hause. Der fliegende Holländer, der Ring - sie sind alle wunderbar“, sagt er. Dass viele Israelis ein großes Problem mit Hitlers Lieblingskomponisten haben, ist ihm egal - er trenne da zwischen Mensch und Kunst, sagt er -, im Gegenteil: Er hat es sich offenbar zur Aufgabe gemacht – neben Daniel Barenboim vielleicht – Wagners größter Fürsprecher zu werden. Regelmäßig beschalle er zum Beispiel seine Nachbarn mit dem Walkürenritt und anderem.

Der Mann aus dem Café Tamar würde außerdem wahnsinnig gern mal nach Bayreuth zu den Wagner-Festspielen fahren. „Vielleicht würden sie dort auch Angela Merkel treffen“, sage ich, bevor ich aufstehe und zurück nach Hause laufe. Es hat aufgehört zu regnen.