Carl Schurz wanderte 1852 nach Amerika aus und wurde 25 Jahre später zum Innenminister ernannt.Das Schild am Deutsch-Amerikanischen Institut in Freiburg Foto: StZ

Der Auswanderer Carl Schurz hat in den Vereinigten Staaten von Amerika eine erstaunliche politische Karriere gemacht. Nun, 110 Jahre nach seinem Tod, ist eine Neuauflage seiner „Lebenserinnerungen“ erschienen.

Freiburg - Ein paar Meter vom Freiburger Hauptbahnhof entfernt gehen täglich Tausende Menschen achtlos an einem türkisfarbenen Schild mit der Aufschrift „Carl Schurz Haus“ vorbei. Im Obergeschoss der Hauptpost befindet sich das Deutsch-Amerikanische Institut. Früher war diese binationale Bildungs- und Kulturstätte noch in der Kaiser-Joseph-Straße 266, gegenüber dem Amtsgericht, angesiedelt und hieß Amerika-Haus. Damals bekam die Fassade regelmäßig hässliche Farbflecken ab, und manchmal klirrten auch die Fensterscheiben: So taten Studenten ihren Zorn über die US-Politik kund. „Das war man offenbar leid und nannte das Amerika-Haus im Jahr 1969 um“, sagt Wolfgang Hochbruck, Anglistikprofessor an der Universität Freiburg und Zweiter Vorsitzender des Vereins, der das Carl-Schurz-Haus betreibt.

Genutzt hat der neue Name wenig, denn die antiimperialistisch gesinnten Demonstranten kannten Carl Schurz’ ungewöhnlichen Lebenslauf nicht. „Sie wussten nicht, dass Schurz bis zum letzten Atemzug selbst ein Antiimperialist war“, sagt Wolfgang Hochbruck. Also flogen weiterhin Farbbeutel und Steine gegen das Freiburger Gebäude, wenn die USA irgendwo auf der Welt für ihre Interessen mit Waffengewalt kämpften.

Dabei ist das Amerika-Haus beziehungsweise das Carl-Schurz-Haus schon seit 1962 keine offizielle amerikanische Einrichtung mehr. Es fungiert als Ort für Vorträge und Bibliothek für angelsächsische Fachliteratur und Belletristik. Der Verein arbeitet mit Zuschüssen des Auswärtigen Amtes, des Landes Baden-Württemberg und der Stadt Freiburg.

Eine Randfigur in der Revolution

Wer war der Mann, nach dem die Bildungseinrichtung seit bald einem halben Jahrhundert benannt ist? „Ich bin in einer Burg geboren. Dies bedeutet jedoch keineswegs, daß ich von einem adligen Geschlecht abgestammt sei.“ Mit diesen Worten eröffnet Carl Schurz seine „Lebenserinnerungen“, die 1906 in New York und Berlin erschienen. Die zwei Bände sind kürzlich vom Göttinger Wallstein-Verlag mit Unterstützung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Wüstenrot-Stiftung sorgsam neu editiert worden, mit ausführlichen Anmerkungen von Amerikanistikprofessor Daniel Göske und einem Essay des Schriftstellers Uwe Timm. „Erstaunlich und großartig“ findet der Freiburger Schurz-Kenner Hochbruck diese Neuauflage, auch wenn sie nur bis Schurz’ Amtsantritt als Senator am 4. März 1869 reicht. Einen dritten Band konnte Schurz nicht vollenden, er wurde von seiner Tochter postum 1912 herausgebracht.

Carl Schurz, geboren am 2. März 1829, gestorben am 14. Mai 1906, war in der Revolution 1848/49 eher eine Randfigur. Doch sein anschließender Lebensweg ist eindrucksvoll: Er war Fluchthelfer, Flüchtling, Asylant, Vortragsreisender, US-Senator, amerikanischer Innenminister, Geschäftsmann und Publizist. Und das alles auf zwei Kontinenten.

Den größeren Teil seines Lebens verbrachte Schurz in Amerika und schaffte es dort als deutscher Einwanderer in hohe politische Ämter. In die Wiege gelegt wurde ihm eine solche Karriere nicht. Der Sohn eines Landschullehrers wuchs im rheinischen Liblar auf, heute Hauptort von Erftstadt, eine halbe Autostunde südwestlich von Köln. Die Carl-Schurz-Straße führt am Schloss Gracht vorbei, in der dazugehörenden Vorburg kam Carl Schurz auf die Welt, sein Großvater war dort Verwalter.

Waffenkampf für Lincoln

Über Schurz’ historische Bedeutung lässt Hochbruck keinen Zweifel aufkommen. Er rage aus den Zigtausenden Deutschen heraus, die im 19. Jahrhundert in die Neue Welt flohen, viele aus Not, viele wie Schurz nach der verlorenen Revolution. Etliche der „Fortyeighters“ bissen sich im amerikanischen Exil durch und waren dort erfolgreicher als in ihrer Heimat. Sie trugen nicht unwesentlich zum Sieg der Nordstaaten im Bürgerkrieg zwischen 1862 und 1865 bei. Friedrich Hecker, Gustav Struve, Franz Siegel und andere zögerten nicht, Präsident Abraham Lincoln gegen die Sklaverei des abtrünnigen Südens mit der Waffe in der Hand zu unterstützen. Carl Schurz war maßgeblich daran beteiligt, die Stimmen der Deutsch-Amerikaner für Lincoln einzuwerben. Das Werden und Wachsen der republikanischen Partei ist auch emigrierten deutschen Demokraten zu verdanken.

„Carl Schurz ist eine herausragende Persönlichkeit gewesen“, sagt Wolfgang Hochbruck, „aber ich weiß nicht, ob ich ihn sympathisch gefunden hätte: Er muss auch rechthaberisch und dickköpfig gewesen sein.“ Jedenfalls ginge das aus Briefen hervor, die Schurz an Verwandte geschrieben hat.

Als Hochbruck im Jahre 2006 eine Veranstaltung zu Schurz’ 100. Todestag vorbereitete, stieß er auf zwei Kartons, die ihm den Atem raubten. „Ich habe fünf Minuten den Kopf auf den Tisch legen und hysterisch kichern müssen“, erzählt er. Vor Jahren schon, erfuhr der Forscher dann, habe das Ehepaar Lutz und Ute Herkel aus dem Schwarzwald dem Carl-Schurz-Haus diese Kartons überreicht. Darin enthalten: ein von Carl Schurz angelegtes Fotoalbum mit sämtlichen Generälen der Kriegsparteien im Bürgerkrieg sowie private Fotos von Schurz’ Töchtern.

Ein handschriftlicher Schatz

Auf dem Dachboden von Lutz Herkel lagen die Fundstücke, weil er ein Urenkel von Heinrich Christian Meyer ist, dem Bruder von Carl Schurz’ Frau Margarethe. Und Herkel führte den fassungslosen Freiburger Anglistikprofessor Hochbruck auf eine weitere Spur: Es gäbe bei seiner Cousine in Amerika auch noch Briefe. Die kamen dann in einem normalen Päckchen, abgeschickt von Maya Sapper am 27. August 2012 in Santa Cruz. Auf dem Packzettel für den Zoll notierte sie: „Inhalt: Briefe. Wert: 0“.

Von wegen – Hochbruck hatte einen Schatz vor sich liegen: 400 handschriftliche Originalbriefe von Carl Schurz und Antwortschreiben der Verwandten. Diese Korrespondenz und alle anderen Unterlagen, die mittlerweile im Carl-Schurz-Haus gelandet sind, werden nun treuhänderisch an das Freiburger Staatsarchiv übergeben. Womit die südbadische Metropole eher zufällig zum Zentrum der Carl-Schurz-Forschung geworden ist. Dabei ist Schurz nur zweimal mit der Eisenbahn durch Freiburg gekommen, auf Reisen in die Schweiz.

Gleichwohl spielt eine wichtige Episode in Schurz’ Leben im Badischen: Im Jahre 1849 ist er mit der Revolutionsarmee bis Rastatt gekommen. Dort wurden die Aufständischen in einer Festung von den preußischen Invasoren belagert. Schurz wäre nach der Kapitulation als „Kriegsverräter“ vor ein preußisches Kriegsgericht gestellt und vermutlich hingerichtet worden. Unter abenteuerlichen Umständen gelang ihm jedoch die Flucht in einem Abflussgraben unter den in die Festung einmarschierenden Preußen hindurch in die Freiheit.

Die Befreiung Kinkels

Zuvor hatte Schurz, damals 20 Jahre alt, versucht, mit einer Gruppe Revolutionäre das Waffenarsenal der Polizei in Siegburg bei Bonn zu stürmen – eine dilettantische Aktion, für die er sich in seinen Memoiren heftig schämt. Einen „lächerlichen, schmachvollen Ausgang“ habe das großspurig angezettelte Unternehmen genommen, aus Angst seien die Rebellen, ohne einen Schuss abzufeuern, auseinandergelaufen. Carl Schurz spart in seinen Erinnerungen auch an anderer Stelle nicht mit selbstkritischen Worten.

Nach der Niederschlagung der revolutionären Bestrebungen, als die Preußen militärisch und politisch die Zuchtpeitsche wieder fest im Griff hatten, gelang ihm aber dann doch noch eine Heldentat: Er befreite seinen Mentor, den Bonner Literaturprofessor Gottfried Kinkel, der in einer Spandauer Festung inhaftiert war. Schurz reiste unter falschem Namen nach Berlin und bestach einen Gefängniswärter. Student und Professor flohen über Ost- und Nordsee nach Schottland. Kurz darauf wählte Schurz Paris zu seinem Exil, dann London – noch immer stets bereit, bei einem erneuten Aufstand in deutschen Landen gegen die Fürstenherrschaft mitzumachen.

Als die Reaktion 1851 auch im französischen Mutterland der Revolution den demokratischen Träumen ein Ende bereitete, nahm Schurz Kurs auf das einzige Land, das ihm eine demokratische Zukunft bot. Im Juli 1852 heiratete er noch in England Margarethe Meyer, die Tochter des Hamburger Spazierstockfabrikanten Heinrich Christian Meyer, im August schiffte sich das junge Paar in Portsmouth ein und landete „an einem sonnigen Septembermorgen“ im Hafen von New York. „Mit dem heiteren Mut jugendlicher Herzen begrüßten wir die neue Welt.“

Die treue Liebe zu Deutschland

Die persönlichen Opfer von Carl Schurz’ anschließender Politikerkarriere trugen wohl vor allem seine (bereits 1876 gestorbene) Frau und seine Kinder: Er war der erste gebürtige Deutsche, der Mitglied des US-Senates wurde und von 1877 bis 1881 unter Präsident Rutherford B. Hayes Innenminister der Vereinigten Staaten.

Dass Schurz ein überzeugter Amerikaner wurde, hinderte ihn nicht daran, die ursprüngliche Heimat zu ehren. „Der ist nicht fähig, die junge Braut treu zu lieben, der nicht die alte Mutter in treuem Andenken hält“, sagte er in einer Rede auf der Weltausstellung in Chicago am 15. Juni 1893. Mehrere Male besuchte Schurz Ende des 19. Jahrhunderts Deutschland, sprach auch mit Otto von Bismarck – und kehrte nach Amerika zurück, seinem Wahlspruch getreu: „Wo die Freiheit ist, ist das Vaterland.“