Lilliane Friton hat sich während ihrer Kur ihre Sorgen von der Seele gepinselt. Foto: Alexandra Kratz

Lilliane Friton pflegt Ulrich Leuschner, der mit 56 Jahren an Demenz erkrankte. Ein Porträt.

Vaihingen - Seit 2002 sind sie ein Paar. Lilliane Friton und Ulrich Leuschner machten Pläne für die Zukunft und beschlossen, irgendwann den Lebensabend gemeinsam zu verbringen. Doch dann kam die Krankheit. „Das passierte am Anfang ganz schleichend, man merkte es gar nicht richtig“, sagt Friton kopfschüttelnd. Wenn sie in den Garten fuhren, bog er immer häufiger falsch ab. „Er überspielte es. Sagte, er sei mit den Gedanken woanders gewesen. Und ich dachte mir nichts dabei.“

Dann schmiss der Schreinermeister seinen Job hin und wurde Fernfahrer. Irgendwann stand er mit dem Lkw mitten in der Pampa irgendwo bei Hamburg und wusste nicht mehr weiter. Daraufhin ging er zum Arzt. Dieser ahnte, was los war und schickte ihn zur Kur. Es gibt verschiedene Tests und Untersuchungen, mit denen sich eine Demenzerkrankung diagnostizieren lässt. Die Mediziner entließen Ulrich Leuschner mit dem Attest „arbeitsunfähig“ aus der Kur. Das war 2008. Seitdem zog Leuschner sich immer mehr in eine andere Welt zurück, in die Friton nicht folgen konnte.

Viele verstanden es nicht

„Wir gingen von Anfang an offen mit der Demenzerkrankung um. Sonst hätten andere ihn irgendwann noch für verrückt erklärt oder behauptet, dass er heimlich trinkt“, sagt Friton. Doch viele hätten es nicht verstanden. „Der markiert doch nur und ist zu faul zum Arbeiten“, habe manch einer gesagt. Leuschner war gerade einmal 56 Jahre alt, als er dement wurde.

Das Paar war auf sich gestellt. Friton fühlte sich allein. Sie recherchierte im Internet und stieß auf die Evangelische Gesellschaft (Eva). Dort fand sie Menschen, die sie unterstützen. „Ohne sie wäre es mir schlecht ergangen“, sagt Friton. Ulrich Leuschner musste versorgt werden. Lilliane Friton war berufstätig und musste es bleiben, damit beide finanziell über die Runden kamen. Sie beantragte einen Behindertenausweis. Das Amt lehnte ab. Friton erhob Einspruch. So ging das dreimal, das Verfahren zog sich ein halbes Jahr lang. Erst dann bescheinigte das Amt Leuschner einen Behinderungsgrad von 80 Prozent. Ein ähnliches Hickhack erlebte Friton mit der Krankenkasse, bei der sie für eine Pflegestufe kämpfte.

Eine reine Betreuungssituation

Einst liebten sie sich, doch mittlerweile sei es „eine reine Betreuungssituation“, wie Friton es nüchtern formuliert. Vom Staat bekomme sie wenig Hilfe. „Ich soll finanziell alles bestreiten, weil wir einen gemeinsamen Haushalt haben. Aber wir sind nicht einmal verheiratet.“

Für die 52-Jährige war irgendwann alles zu viel. Sie bekam psychische Probleme. Ihren Job als Filialleiterin verlor sie, weil die Modemarke, für die sie arbeitete, bankrott ging. Vor Kurzem war Friton mehrere Wochen lang auf Kur. Ulrich Leuschner war in einem Pflegeheim. Friton besuchte ihn jedes Wochenende. Dann freute er sich wie ein kleines Kind.

Ihr selbst tat die Kur gut, doch ihrem einstigen Partner nicht. Seit beide zurück in ihrer Wohnung in Vaihingen sind, findet er sich nicht mehr zurecht. Wenn sie ihn ins Bett bringt, macht sie das Licht im Bad an, damit er nachts den Weg zu Toilette findet. Ulrich Leuschner kann sich nicht mehr artikulieren, kann kaum noch reden.

Die Therapeuten rieten ihr zu einem Neuanfang

Als sie in Kur war, rieten ihr die Therapeuten zu einem Neuanfang. „Sie meinten, ich soll ihn in ein Heim geben, mir eine neue Wohnung und einen Job suchen“, sagt Friton. Aber das kommt für sie nicht in Frage. „In einem Heim würde er eingehen. Das ist die schlechteste von allen möglichen Lösungen. Damit würde es mir noch schlechter gehen.“ Ulrich Leuschner sei ein angenehmer Mensch. Er sei nicht aggressiv wie andere, die an Demenz erkranken. „Er möchte nur immer bei allem dabei sein“, sagt Friton und seufzt. Manchmal werde sie ungeduldig und schimpfe. Das mache Leuschner traurig. „Er wird weinerlich, und ich mache mir Vorwürfe und kann die ganze Nacht nicht schlafen.“

Mittlerweile geht Leuschner montags und dienstags mit einer Tagesgruppe wandern. Mittwochs ist er in der Tagespflege im Gradmann-Haus in Kaltental. Den Rest der Woche pflegt Friton ihren einstigen Partner. Während sie auf Kur war, beschloss Friton, sich einen 400-Euro-Job zu suchen. Für mehr fehlt ihr die Zeit. „Aber ich möchte wieder unter Leute kommen“, sagt sie. Ulrich Leuschner lebt in seiner eigenen Welt, aber Lilliane Friton trotz allem noch im Hier und Jetzt. Das ist ihr bewusst, wenn sie sagt: „Ich habe den Lebensmut noch nicht verloren.“