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Das älteste noch existierende Kino in Stuttgart, das Delphi, wird 100 - Erinnerungen gesucht.  

Stuttgart - Das Delphi-Kino feiert am 15. März sein 100-Jahr-Jubiläum. Da vor allem die frühen Jahre des ehemaligen Union-Theaters im Dunkeln liegen, sucht der Geschäftsführer Peter Erasmus Berichte, Bilder, Eintrittskarten und Geschichten um und über dieses Kino - und bittet unsere Leser um Mithilfe.

Peter Erasmus sitzt in einem der bequemen, nachtblauen Kinosessel im Delphi. Der Geschäftsführer der Arthaus Filmtheater, zu der auch das Programmkino Delphi gehört, bringt in Stuttgart die Bilder zum Laufen.

Das Laufen gelehrt, so könnte man sagen, hat ihnen Ende des 19. Jahrhunderts Herzogin Wera. Zumindest in Stuttgart. Die Herzogin hatte Filmstreifen aus Moskau über die dortigen Krönungsfeierlichkeiten von Nikolaus II. geschickt bekommen und führte sie 1896 dem königlichen Hof vor - nur wenige Monate nachdem in Paris im Dezember 1895 das erste Lichtspieltheater eröffnet worden war. König Wilhelm II. war so begeistert davon, dass er anregte, diese auch auf der elektrotechnischen Ausstellung zu zeigen, die im Sommer 1896 in Stuttgart auf dem Gelände des Stadtgartens stattfand.

Das erste Kino mit öffentlichen Vorführungen

Dafür wurde in der Gewerbehalle eigens ein Saal hergerichtet. Die Kurzfilme begeisterten das Publikum, und der Andrang zu den Vorstellungen war so stark, dass sonntags zur Aufrechterhaltung der Ordnung die Polizei geholt werden musste.

Neue Vorführsäle mussten her. Das erste Kino mit öffentlichen Vorführungen residierte im Deutschen Haus, Ecke Tübinger und Christophstraße, und ist etwa 1904 eröffnet worden. Es war ein früherer Ladenraum. In der Art folgten noch einige weitere Eröffnungen.

Das erste als Filmtheater gebaute Haus aber war das Union-Theater an der Tübinger Straße 6, das seit 1965 Delphi heißt. Es wurde 1912 eröffnet - und ist heute das älteste noch existierende Kino in Stuttgart. Peter Erasmus blättert in einem Ordner. Einem dünnen Ordner. Er zieht eine Kopie heraus und liest vor. Seine Stimme durchflutet den leeren Kinosaal: "Vornehmster und elegantester Lichtspiel-Palast der Residenz. Ein beispielloser, einzig dastehender künstlerischer Erfolg war die gestrige Separat-Vorstellung, welche von einem kunstverständigen Publikum besucht und als eine Klasse für sich bezeichnet wurde."

Erasmus zeigt auf das Datum. Die Anzeige stammt vom 16. März 1912. Also war die Eröffnung des Union-Theaters am 15. März 1912. Das belegt auch der Eintrag ins Handelsregister. Eingetragen war damals ein Jakob Becker.

1965 unter dem neuen Namen Delphi wiedereröffnet

Peter Erasmus seufzt. An diese Unterlagen ranzukommen, erklärt er, sei schon schwer und mühsam genug gewesen. Er habe dafür tagelang Mikrofiche-Filme im Stadtarchiv durchforstet. Aber viel mehr habe er dennoch nicht herausfinden können. "Mir fehlen große Zeitspannen in der Geschichte des Union-Theaters, besonders in seinen ersten fünfzig Jahren", sagt er.

So weiß er nicht mehr über Jakob Becker, als dass er der Direktor des Kinos war. Es gehörte der Union-Gesellschaft, die zum ersten Mal in Stuttgart die Buchstaben UT bekanntmachte. Wie das Kino dann an Wilhelm Nagel überging, bleibt ein Rätsel. Gesichert ist, dass Wilhelm Nagel im vorigen Jahrhundert einen Stuttgarter Zirkus gründete, er sich für die Technik der Kinematografie begeisterte - und dass er es war , der im Deutschen Haus jenes bereits erwähnte erste Stuttgarter Kino eröffnete. Zudem zog er mit einem Wanderkino durch die schwäbische Provinz. Er gilt als schwäbisches Original und Kinopionier.

Sein Sohn Max Nagel trat in den zwanziger Jahren in die Fußstapfen seines Vaters: Bei der Ufa in Berlin sammelte er erste berufliche Erfahrungen. 1938 übernahm er das väterliche Union-Theater. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Delphi das Lichtspielhaus, in dem als Erstes wieder Filme gezeigt wurden.

Max Nagel war gesundheitlich schwer angeschlagen aus dem Zweiten Weltkrieg heimgekehrt. Im Jahr 1960 starb er an den Folgen, nur 61 Jahre alt. Seine Gattin Hildegard Nagel und seine Tochter Ursula führten das Haus an der Tübinger Straße zunächst weiter, verkauften es schließlich zum Jahresende 1964 an Peter Colm. Nach einer mehrwöchigen Renovierungspause zur Weihnachtszeit wurde es im Jahr 1965 unter dem neuen Namen Delphi wiedereröffnet.

2001 übernahm Peter Erasmus das Delphi

Aus dem Vorkrieg-Filmpalast wurde ein modernes Kino. Einem Zeitungsbericht von damals ist zu entnehmen, dass "mit dem Delphi ein architektonisch und technisch neues und repräsentatives Erstaufführungshaus" hinzugekommen sei, "in dem Peter Colm jr. als Inhaber einen modernen Spielplan mit ausgewählten internationalen Filmen für die breite Öffentlichkeit pflegen will". Am 12. Februar war die offizielle Eröffnung, der erste Film war die Mörderkomödie "Adel verpflichtet".

1978 erfolgte die Aufteilung in zwei Kinos, indem der Balkon vom unteren Saal abgetrennt wurde. Die beiden Säle verfügen heute zusammen über 318 Sitzplätze.

Doch die alteingesessene Kinofamilie Colm erlitt mit dem Delphi, dem Colibri in der Alten Poststraße und ihrem Engagement im Esslinger Moviedick Schiffbruch. Im Jahr 2001 übernahm Peter Erasmus, der 1998 bereits das Atelier am Bollwerk, das Atelier sowie der Lupe übernommen hatte, auch das Delphi sowie das Colibri. Erasmus hat das Delphi komplett renoviert sowie auf den neuesten technischen Stand gebracht. Darüber hinaus ist Erasmus ein Technikfreak: Er investiert jedes Jahr etwa 100 000 Euro in technisches Equipment - und er gehörte zudem zu den Ersten, die mit der Digitalisierung begonnen hatten.

Die Nachmittagsvorführung beginnt gleich. Die Gäste strömen bereits in den Kinosaal. Peter Erasmus erhebt sich aus dem bequemen, nachtblauen Kinosessel. "Für das bevorstehende Jubiläum suche ich dringend Berichte, Bilder, Eintrittskarten - die möglichst älter als 20 Jahre sein sollen - und natürlich Geschichten um und über dieses Kino", sagt er. Das Licht geht aus, der Vorhang auf.

Wer Informationen hat, wendet sich bitte an die Arthaus Filmtheater Stuttgart GmbH, Postfach 10 02 29, 70002 Stuttgart, Telefon 61 62 11, Telefax 61 62 21, E-Mail pe@arthaus-kino.de.

Für jedes verwertbare Fundstück soll es Kinokarten geben, außergewöhnliche Fundstücke können auch finanziell entlohnt werden.