Thorsten Häberlein aus Plieningen hat sich extra Urlaub genommen. Foto: Christoph Kutzer

Unterschriften müssen her: Bürger haben am Wochenende in Stuttgart-Degerloch und in Stuttgart-Plieningen Unterstützer für Projekte in den Stadtbezirken mobilisiert. Noch ist im Bürgerhaushalt nämlich alles offen. Und am Ende gewinnt der fleißigste Stimmensammler.

Degerloch/Plieningen - Dauerregen in Degerloch. Die Epplestraße ist am Samstagvormittag nur mäßig belebt. Wer einkaufen muss, sieht zu, dass er sein Vorhaben schnell erledigt und wieder in die eigenen vier Wände kommt. Anderes gilt für Ilona Färber: Die stellvertretende Elternbeiratsvorsitzende an der Fritz-Leonhardt-Realschule hat sich beim City-Supermarkt untergestellt und sucht das Gespräch mit Passanten, um weitere Unterschriften für den Bürgerhaushalt zu sammeln.

Der Schule fehlt es an einem Technik- und an einem Klassenraum. Am Wilhelms-Gymnasium wiederum werden drei weitere Klassenzimmer benötigt, um dem Bedarf im Einzugsgebiet gerecht werden zu können. Nun suchen beide Einrichtungen gemeinsam die Unterstützung der Bevölkerung. „Die meisten befürworten unser Anliegen“, sagt Färber. Die Unterschriftenlisten sieht sie als gute Ergänzung zur Onlineabstimmung. So könne man sein Anliegen nochmals persönlich erklären.

Es gebe einen Mangel an Solidarität

Neben Geduld benötigt die 47-Jährige allerdings eine gesunde Portion Humor. „Vorhin ist mir jemand gleich in die Parade gefahren und meinte, Geld gebe es nicht“, erzählt sie und lacht. „Sehe ich vielleicht aus, als würde ich jemanden anbetteln?“

Michael Gohl und Jörg Weinmann harren am Lindenplätzle aus. Luftballons tanzen im Wind, das Wetter ist weiterhin garstig. „Heute bleibt kaum jemand stehen“, seufzt Weinmann. „Letztes Wochenende sah das ganz anders aus. Wenn die Sonne lacht, haben die Leute auch eher Lust zu unterschreiben.“ „Wir setzen auf die Schüler, die in der Stadt unterwegs sind“, ergänzt Gohl, der die Fritz-Leonhardt-Realschule vertritt. Rund 800 Unterschriften hat man in den vergangenen Wochen bereits zusammengetragen. Es gibt aber auch negative Erfahrungen: „Was ich sehr schade finde ist, dass man einen gewissen Mangel an Solidarität feststellen kann“, merkt Weinmann, Vorsitzender des Elternbeirats am Wilhelms-Gymnasium, an. „Wenn jemand keine Kinder hat oder sie auf andere Schulen gehen, sinkt das Interesse merklich. Ich habe den Eindruck, dass diese nachlassende Bereitschaft, etwas für andere zu tun, auch mit einem grundlegenden gesellschaftlichem Wandel zu tun hat.“

Auch Thorsten Häberlein hat bereits Einblick in die Befindlichkeiten der Stuttgarter erhalten. Der 43-Jährige steht in Plieningen neben dem Bezirksrathaus. Der Publikumsverkehr bleibt aufgrund der Niederschläge überschaubar.

Häberlein wirbt gleich für drei Projekte im Bezirk

Häberlein wirbt gleich für drei Anliegen: den Bau einer Mehrzweckhalle in Plieningen oder Birkach, die Verlängerung der Buslinie 65 zum Flughafen hin und eine Stadtbahn-Direktverbindung von Plieningen in Richtung Innenstadt. „Wenn hier mehr Chinesen leben würden, hätten wir diese Bahnstrecke längst“, witzelt er. „Alle chinesischen Gast-Studenten der Uni Hohenheim, mit denen ich mich unterhalten haben, waren von der Idee jedenfalls sofort begeistert. Infrastruktur scheint ihnen per se sehr wichtig zu sein. Die Leute wägen insgesamt genau ab, was ihnen etwas bringt und was nicht. Bei den Verkehrsprojekten sagen viele einfach: Das brauche ich nicht.“

Eine Beobachtung freut Häberlein, der eigens Urlaub genommen hat, um Unterschriften sammeln zu können, ganz besonders: „Viele ausländische Mitbürger waren ganz erstaunt, dass sie als Stuttgarter abstimmen können, auch wenn sie keinen deutschen Pass haben. Sie haben diese Chance gerne wahrgenommen. Das zeigt, wie stark sie sich mit Stuttgart als Heimatstadt identifizieren.“