70 Jahre und kein bisschen heiser: Ian Gillan, Frontmann und Stimme von Deep Purple Foto: dpa

Orgelmusik noch vor dem ersten Advent: Deep Purple brachten ihren Hammond-Orgel-lastigen Sound am Samstag in die Schleyerhalle. Mehr als zwei Stunden hält das Seniorenkollektiv durch, und jagt am Ende seine ganz großen Hits durch die Leitungen.

Stuttgart - Wer zur Weihnachtsmarktzeit nach Orgelmusik lechzt, muss nicht zwangsweise ins Gotteshaus. Die Briten von Deep Purple ließen am Samstag feinste Hammond-Orgelei in der Schleyerhalle erklingen. Natürlich angereichert mit krachendem Schlagzeug und heulenden Gitarrenriffs. Sprich: Lauter als Kirche.

Satte 70 Lenze trägt Frontmann Ian Gillan mittlerweile auf dem Buckel. Hochkonzentriert, nachgerade ambitioniert eröffnen er und seine Kollegen mit „Highway Star“ die Setlist. Gillan ziert dabei das schlichteste schwarze Shirt der Welt. Ob bei „Hard Lovin‘ Man“ oder „Vincent Price“, der schaurigen Hommage an den gleichnamigen Horrorfilmdarsteller, der Sänger klingt immer noch wie auf den Platten. Seit deren Erscheinen haben Fans mitunter schon mehr als 40 Kalender von der Wand genommen. Allein Gillans Stimmbänder sind nicht mehr so ausdauernd wie einst. Zwei, drei Minuten dauert es, bis seine zusammengekniffenen Augen und die gesangsfokussierte Mimik einem Lächeln weichen. Auch wenn man seinen Namen mit der Gruppe verbindet: Eines der Gründungsmitglieder von 1968 war er nicht. Von denen ist nur noch der Drummer Ian Paice geblieben.

Schon immer für Experimente gut

Deep Purple, die sich 1976 auflösten und 1984 neuformierten, wagten seit eh und je Experimente. Der 2012 verstorbene Jon Lord prägte mit seiner Hammond-Orgel den Sound. Avantgardistisch vermengte er Rock und Klassik. Heute steht Don Airey an den Keys. In Stuttgart brettert er ein Solo über die Klaviaturen, das Beethovens 9. Sinfonie anschneidet. Er schleudert Takte der deutschen Nationalhymne hinein und dämpft das Ganze zwischendurch erneut mit einer Beethovenschen Tonfolge aus der als „Mondscheinsonate“ bekannten Klaviersonate Nr. 14. Deep Purple steht eben für weitaus mehr als ein bierselig gegröltes „Smooooke on the Water – Döp döp dööö, döp döp, döö dööö!“

Drei Bildschirme zeigen das Bühnentreiben der Herren. Auf dem größten im Rücken der Akteure sind immer wieder psychedelische Motive zu sehen, regenbogenfarbige Tunnel und Schlieren. Vielleicht stimulieren diese Bilder drogenbeeinflusste Hirne. Es lässt sich erriechen, dass irgendwer dem Marihuanakonsum frönt. Für andere wirken diese Effekte allerdings wie aus einer längst vergangenen Zeit. Man stelle sich etwa die Songvisualisierung des Windows-Media-Players von vor 10 Jahren vor. Optisch ist diese Show also nur ein wenig spektakulärer als Gillians Outfit.

Der Youngster der Band: 61 Jahre alt

Auffälliger, genretypischer rockt E-Gitarrist Steve Morse. Das 61-jährige Küken der Truppe mit blonder Mähne und ärmellosem Shirt lässt sein Instrument bei Alleingängen im Wechsel zwitschern und fiepen, dann wieder dunkel grollen. Zwischendurch schießen sich er und Airey an der Orgel auch die Töne zu. Anders als manch gealterte Band hauen sich Deep Purple noch voll rein: tiefes Lila, hoher Einsatz. Etliche Soli aller Musiker strecken die durchschnittlich fünfminütigen Titel. Roger Glover lässt lässigen Groove aus dem Bass tropfen. Besonders cool trommelt Ian Paice bei seiner Schlagzeugeinlage: Sämtliche Lichter erlöschen, nur zwei Punkte wirbeln durchs Dunkel und wechseln dabei die Farbe - die Sticks leuchten.

So hält das Kollektiv mehr als zwei Stunden lang durch. Gen Ende jagt es schließlich seine ganz großen Hits durch die Leitungen. Denn so sehr Kritiker die experimentellen Werke auch schätzten: Die Erfolge brachten eher rockmusikalisch konventionelle Songs wie „Perfect Strangers“. Den zünden Deep Purple zwischen Krachern wie „Hell to Pay“ und „Space Truckin‘“. Aufs ruhigere „Child in Time“ verzichtet man.

Zum Finale, vor der herrlich langen Zugabe der Songs „Hush“ und „Black Night“, kommt dann schließlich, was auf einem Deep-Purple-Konzert kommen musste: „Döp döp dööö, döp döp, döö dööö…and fire in the sky!“ Hach ja: „Smoke on the Water“ bleibt einfach einer der größten Rocksongs aller Zeiten. Da interessieren auch niemanden die Projektionswände, die, besonders einfallsreich, mal Wasser, mal Feuer zeigen. Zum Abschied weht noch eine Prise rauchgewordener Pflanzen durch die Menge.