Manuel (links) und Marcel Stöffler (rechts) mit ­Michael Ziegler in ihrer Mitte haben die gesunde Wurst erfunden Foto: Kevin Kuhn/Grillido

Als der Europäische Gerichtshof 1989 entschied, das deutsche Wurst-Reinheitsgebot dürfe nicht zu Importverboten führen, fürchteten die Hüter der Wurst den Niedergang ihres Traditionsprodukts. Der blieb aus. Erst jetzt ist eine Wurstrevolution im Gange, ausgerufen von drei Freunden aus Deckenpfronn.

Deckenpfronn - Michael Ziegler hat den Aufruhr am Grillrost gemeinsam mit den Brüdern Marcel und Manuel Stöffler angezettelt. „Unsere Revolution richtet sich nicht gegen das Metzgerhandwerk. Wir interpretieren die Wurst nur neu“, sagt er. Zwei Aspekte stehen dabei im Mittelpunkt: bewusste Ernährung und Geschmackserlebnisse.

„Die Grundidee entstand, als Marcel seine Abschlussarbeit als Lebensmitteltechniker schrieb“, erinnert sich Michael. Sein Freund beschäftigte sich dort mit Gewürzmischungen in Fleischwaren und probierte am Rande auch selbst allerhand aus. Unter anderem berichtete er von einer Wurst ohne künstliche Zusatzstoffe, die er mit Chili und Basilikum verfeinert hatte. Rasch war die Idee geboren, auf dieser Basis weiterzuarbeiten und mit gesundem Gaumenkitzel die Lücke zwischen Steak und Bratwurst zu schließen. „Ich möchte niemanden verurteilen, der eine Wurst mit 40 Prozent Fett bevorzugt. Wir wollen aber zeigen, dass sie auch mit vier Prozent Fett lecker ist, wenn man die richtigen Geschmacksträger verwendet.“

Da greifen dann auch Sportler gerne zu, die penibel auf Nährwerte achten. Das geräucherte Modell „Grillido Sport“ kombiniert feinstes Rindfleisch mit Jalapeños und Chili und erwies sich auf der Kölner Fitnessmesse FIBO im April mit nur drei Prozent Fett und fast 40 Prozent Eiweiß als echter Verkaufsschlager.

Eine der ersten Kreationen des im Herbst 2014 gegründeten Start-ups war eine Weihnachts-Grillido aus Putenfleisch. Mit Zimt und Orange verfeinert, sorgte sie auf Märkten in der Schwarzwaldregion für einiges Aufsehen. „Ein älterer Herr attestierte uns, sie schmecke tatsächlich wie ein Zimtstern aus Wurst“, erinnert sich Michael schmunzelnd. „Er fand das ausgezeichnet. Eine Mutter verriet uns, ihre Tochter esse sonst eigentlich nie Bratwurst. An unserem Stand verdrückte sie gleich mehrere Grillidos.“

Schon vor dem Start der Grillsaison 2015 hatten die Geschmacks-Revolutionäre über ihren Online-Shop Grillido.de, und durch Events und Gastronomen rund 40 000 Einheiten des variantenreichen Produkts unters Volk gebracht. 28 Sorten sind derzeit getestet. Mehr als 50 Ideen schlummern noch im Archiv. Auch Sterneköche geben ihren Senf dazu, ehe eine Grillido in Umlauf gelangt. Qualität ist oberstes Gebot. Neben dem kalorienarmen Dauerbrenner Popeye aus Hähnchenfleisch, Spinat und Schafskäse oder der deftigen „Bavaria“ mit magerem Schweinefleisch, Sauerkraut und Rauchfleisch gibt es auch jeden Monat eine spezielle Kreation. Im Mai hörte sie auf den Namen Spargelico und überraschte mit einer gewagten Komposition aus Pute, grünem Spargel, Balsamico-Essig und Blütenhonig.

„Wir lassen uns auch gerne auf Ideen ein, die zunächst abwegig erscheinen“, sagt Ziegler. „Wenn eine Brauerei mit dem Wunsch an uns herantritt, Starkbier zu verwursten, dann sind wir dabei.“ Auch Privatleute können ihre ganz individuelle Grillido ordern, sofern sie eine Mindestmenge abnehmen und der Wunsch technisch umsetzbar ist. Eine vegetarische Version findet sich beispielsweise noch nicht im Sortiment, weil sich Soja als recht renitentes Grillgut erwiesen hat. „Eine fleischlose Alternative zu entwickeln, bei der das Grillerlebnis ähnlich ist wie bei einer Wurst, ist gar nicht so einfach“, räumt Ziegler ein. „Das ist eine echte mikrobiologische Herausforderung.“ Trotzdem ist der Marketing-Mann der Truppe zuversichtlich. Man sei auf einem guten Weg, die Anfragen nach einer Grillido auf pflanzlicher Basis zu befriedigen.

Wer nun unkt, die drei Herren vom Grill betrieben Verrat, der sollte vielleicht einmal einen Blick auf die Geschichte werfen: Homer beschreibt in seiner „Odyssee“, wie die alten Griechen mit Fett und Blut gefüllte Ziegen- und Schweinemägen auf glühenden Kohlen rösteten. Die Grillido „Greek“ (mageres Schweinefleisch in Kombination mit Oliven und Feta) ist so gesehen geradezu eine Verneigung vor den Wurstbratern der Antike unter den Vorzeichen moderner Ernährungsphysiologie.

Kleinmengen werden wöchentlich in der traditionellen Metzgerei von Michaels Onkel in Deckenpfronn produziert, bei größeren Bestellungen kooperiert man mit einer Stuttgarter Metzger-Gemeinschaft. „Wer am Wochenende grillen möchte, sollte Anfang der Woche vorbestellen“, empfiehlt Jungunternehmer Ziegler. „Die Lieferung ist beim Verzehr dann garantiert nicht älter als ein oder zwei Tage.“ Restaurants, Fitnessstudios oder Supermärkte liebäugeln mit der Grillido. Bei Fußballspielen war sie schon als Stadionwurst zu Gast. Künftig will man auch eine kindgerecht gewürzte Variante und eine Extrawurst für Senioren anbieten. Die Revolution geht weiter.