Martin Kalus, Koordinator des Transplantationszentrums Stuttgart, wirbt im Interview um mehr Aufklärung zum Thema Organspende. Foto: Privat

Martin Kalus vom Transplantationszentrum Stuttgart fordert mehr Aufklärung zur Organspende.

Stuttgart - An diesem Freitag will der Bundestag nach jahrelangen Debatten eine Reform beschließen: Künftig werden alle Bürger per Post ihrer Krankenkassen befragt, ob sie einer Organspende im Fall eines Hirntods zustimmen. Zum Sinn der Reform haben wir mit Martin Kalus gesprochen, der seit 1991 Koordinator des Transplantationszentrums Stuttgart, zeitgleich von 1991 bis 2001 auch Koordinator für Organspenden der Universitätsklink Tübingen und der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) ist.

Herr Kalus, rund 12.000 Menschen warten in Deutschland auf eine Organspende. Wie viele sind es in Baden-Württemberg?
1726 Menschen warten in Baden-Württemberg auf Herz, Leber, Lunge, Niere, Bauchspeicheldrüse (Stand 7.3.12).

Welche Spenderorgane werden am häufigsten benötigt?
Von den 12.000 Menschen auf der Liste warten in Deutschland rund 8000 auf eine Nierentransplantation und etwa 4000 Patienten hoffen auf eine lebensrettende Leber, Lunge oder ein Herz. Ein paar wenige auch auf eine Bauchspeicheldrüse oder einen Dünndarm.

Wie hoch ist die Erfolgsquote prozentual gesehen für eine erfolgreiche Operation?
Die Fünf-Jahres-Transplantatfunktionsrate nach Nierentransplantation liegt bei der Transplantation von Organen lebender Spender bei 85,3 Prozent. Nach der Transplantation von Organen verstorbener Spender beträgt dieser Wert 70,7 Prozent. Der Grund für die bessere Funktionsrate bei Lebendspende ist die kürzere Ischämiezeit (Zeitraum der unterbrochenen Durchblutung eines Organs), da Organentnahme und -übertragung in einem Transplantationszentrum durchgeführt werden. Insgesamt liegt die Fünf-Jahres-Transplantatfunktionsrate nach Nierentransplantation in Deutschland bei 73,4 Prozent.

Wie oft kommt es zur Abstoßung des Spenderorgans?
Hyperakute Abstoßungen sind sehr selten. Die Zahl der chronischen Abstoßungen gehen unter anderem aus der oben erwähnten Erfolgsquote hervor.

Baden-Württemberg ist Schlusslicht bei den Organspendern Wie viele Menschen leben hier mit einem Spenderausweis? Sind es mehr Frauen oder mehr Männer?
Menschen mit Organspendeausweis werden nicht erfasst, es gibt keine Daten darüber und es ist auch nicht notwendig.

Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass Baden-Württemberg die „Rote Laterne“ trägt?
Auf meinen Vorträgen rund um Stuttgart höre ich immer mal wieder „Gebe tu ich nix, aber nehme tät ich schon“. Vielleicht liegt es daran, dass viele Menschen egoistisch sind - oder anders herum, wer kennt schon das Wort „Altruismus“.

Was ließe sich dagegen unternehmen?
Detaillierte Aufklärung die weit über den Infostand in der Fußgängerzone am „Tag der Organspende” hinaus geht. Und auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung braucht meiner Einschätzung nach mehr finanzielle Mittel.

Welche Ängste sind Ihrer Meinung nach mit dieser ablehnenden Haltung verbunden?
Die Menschen zögern vor allem, weil ihnen detaillierte Informationen fehlen. Auch Geschichten um kolportierte Gerüchte verunsichern die Menschen.

Wie können Sie diese zerstreuen? Mit welchen Argumenten?
Ehrliche und umfangreiche Aufklärung ist das A und O bei der Organspende! Nur wenn die Menschen die Zusammenhänge verstehen, wird sich vielleicht die Angst nehmen lassen. Es wird, egal welche Regelung kommen wird (Zustimmungslösung, Widerspruchslösung, Erklärungslösung), schwierig bleiben, schon deshalb, weil jeder sich mit dem eigenen Tod auseinander setzen muss.

Was halten Sie vom Vorstoß der Politik, die Krankenkassen dazu anzuhalten, ihre Kunden über Organspende zu informieren und aufzufordern, einen Ausweis zu beantragen?
Bereits im TPG (Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben, Anm. d. Red.) von 1997 sind die Krankenkasse dazu aufgefordert, die Bevölkerung regelmäßig zu informieren, aber das Gesetz wird nicht gelebt! Diese “Reform” wird in absehbarer Zeit keine deutliche Verkürzung der Wartezeiten auf eine Organtransplantation bringen. Für viele Patienten bedeutet dies, Tod auf der Warteliste.

Welche Voraussetzungen muss ich als Spender erfüllen?
Bereit zu sein, unabhängig vom aktuellen Gesundheitszustand, über den eigenen Tod nachzudenken und eine Entscheidung darüber treffen im Falle meines eigenen Hirntodes Organe zu spenden oder nicht zu spenden und diese Entscheidung in der Familie bekannt geben. Darüber hinaus kann man die Entscheidung in einem Organspendeausweis dokumentieren.

Welche Krankenhäuser in Stuttgart nehmen Transplantationen vor?
Das Transplantationsgesetz sieht vor, dass Organe nur in dafür zugelassenen Transplantationszentren übertragen werden dürfen. Zu den Aufgaben der Zentren gehören die Führung der Wartelisten, Übertragung von Organen, Patientennachsorge, psychische Betreuung von Patienten vor und nach der Transplantation sowie die Dokumentation der Transplantations-Ergebnisse. In Deutschland gibt es derzeit etwa 50 Einrichtungen, die für die Übertragung von Organen zugelassen sind. In Baden-Württemberg haben Freiburg, Heidelberg, Mannheim, Stuttgart und Tübingen eine Erlaubnis des Sozialministeriums für Organtransplantationen.

Wie viele sind es im Jahr? Welche Organe werden am häufigsten transplantiert in Baden-Württemberg?
Am häufigsten werden Nieren transplantiert. Im Jahr 2011 waren es 254 Nieren von Verstorbenen. Dazu kommen noch 151 Nieren von Lebendspendern. In Stuttgart waren es 44 Nieren von Verstorbenen und 29 Nieren von Lebendspendern, insgesamt also 73 Nierentransplantationen.

Was treibt Sie an in Ihrem Beruf?
Vor meiner Tätigkeit im Transplantationszentrum Stuttgart habe ich lange Zeit auf einer Intensivstation gearbeitet. Dort habe ich auch hirntote Patienten betreut. Ich kenne also die Situation auf der Spenderseite und zweifle nicht am Hirntod. Und ich kenne ebenfalls die Situation von Dialysepatienten die auf die “künstliche Niere” angewiesen sind und dreimal wöchentlich vier bis fünf Stunden in ein Dialysezentrum müssen. Patienten auf der Warteliste profitieren von einer Organtransplantation. Sehr viele haben eine bessere Lebensqualität und leben länger. Es gibt Herztransplantierte die Marathon laufen, Lebertransplantierte die den Kilimanjaro besteigen und Nierentransplantiere die Kinder bekommen.

Gleichwohl sehe ich auch, wie wichtig und notwendig die Aufklärung der Bevölkerung zum Themenkomplex Hirntod - Organspende - Transplantation ist. Sie kommt meiner Einschätzung nach viel zu kurz. Es sind also viele Gründe, die mich antreiben.