Die Stuttgarter Oper ist sanierungsbedürftig. Die Stuttgarter Oper und drei mögliche Ersatzspielstätten Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Noch immer haben Stadt und Land keinen klaren Plan zur Sanierung der Stuttgarter Oper vorgelegt. Aber bei der Suche nach der Ersatzspielstätte sollte man jede Möglichkeit nutzen, im urbanen Zentrum zu bleiben.

Stuttgart - Der Vorhang des Opernhauses hebt sich immer noch – wenn wir im Spielzeitprogramm richtig gezählt haben, war dies in der gerade zu Ende gegangenen Saison 2016/17 bei den Vorstellungen von Oper und Ballett genau 262-mal der Fall. Wobei das je nach Stück und Regisseur bekanntlich sehr unterschiedlich aussehen kann: Manchmal hob er sich tatsächlich, der Eiserne Vorhang, manchmal rauschten die schweren Stoffe langsam zur Seite, manchmal lag die Bühne ohnehin die ganze Zeit schon zum Publikum hin offen.

Jedenfalls ging das Licht an und es wurde gespielt. So wie tagsüber auf den Brettern und im Orchestergraben geprobt und in den in der Tiefe verborgenen Werkstätten gearbeitet worden war. Seit 18 Jahren wird über die Sanierung des Stuttgarter Opernhauses verhandelt, von Jahr zu Jahr ist sie dringender geworden. Aber begonnen hat sie auch im Sommer 2017 noch nicht, und sie wird wohl auch im Sommer 2018, 2019 und 2020 noch nicht begonnen haben. Und all jene, die in diesem Umstand kein Problem sehen, können nach den 262 Vorstellungen dieser Saison darauf verweisen: Na seht ihr, der Laden läuft doch!

Ja, der Theaterladen läuft, und er läuft an vielen Stellen künstlerisch sehr gut, wie unsere Saisonbilanzen in den vergangenen Tagen gezeigt haben. Er läuft aber auch deswegen, weil Intendanten, Künstler, Musiker und sonstige Beschäftigte teilweise Schaffensbedingungen in Kauf nehmen, die unter rechtlichen und arbeitsökonomischen Gesichtspunkten verschiedenster Art eigentlich nicht mehr akzeptabel sind. Und sie tun dies, obwohl ihnen die verantwortliche Kulturpolitik von Land und Stadt auch in der gerade zu Ende gegangenen Saison eine Antwort schuldig geblieben ist, zu welchem Zeitpunkt sich an dieser Gebäudesituation endlich etwas ändern wird.

In der Debatte verheddert

Als im Frühjahr 2013 erstmals das Themenfenster Opernhaus-Sanierung auch in seiner finanziellen Größenordnung richtig aufpoppte, rechnete man mit einem Abschluss des Projektes zum Ende des laufenden Jahrzehnts. Damals schockierte die Öffentlichkeit vor allem die mutmaßliche Bausumme, die ein externer Gutachter kalkuliert hatte: 300 Millionen Euro statt der bisher vermuteten 18 Millionen. Inzwischen ist die mutmaßliche Bausumme auf 400 oder 500 Millionen angestiegen. Und das Bauprojekt wird zu Beginn des kommenden Jahrzehntes wohl noch nicht einmal begonnen haben.

So genau ist das alles aber nicht zu sagen. Zwar hat man in den Jahren seit Frühjahr 2013 viel untersucht und geprüft, man weiß inzwischen auch so ungefähr, auf welchen Flächen man was verändern oder erweitern will. Aber all das ist weiterhin völlig abstrakt, ein bloßes Papier aus Quadratmeterzahlen und Grundstücksgrenzen. Kein Mensch, schon gar kein Ministerpräsident oder Oberbürgermeister hat irgendwie vor Augen, was er den Bürgern als zukünftiges Stuttgarter Opernhaus eigentlich vorschlagen möchte. Ein Architektenwettbewerb oder gar ein Modell ist nirgendwo in Sicht. Stattdessen haben Rathaus und Ministerium die vergangene Saison genutzt, sich in der Debatte um eine Ersatzspielstätte gründlich zu verheddern.

Wobei „Ersatzspielstätte“ eigentlich ein Euphemismus ist. Kaum jemand rechnet intern noch damit, in drei Spielzeiten könnte die Opernhaus-Sanierung abgeschlossen sein. Aktuelle Erfahrungen andernorts legen eher „fünf Spielzeiten plus x“ nahe. Oper und Ballett brauchen für diese Bauzeit also kein Interim, sie brauchen eine ordentliche Zwischenheimat. Vor allem braucht das Publikum ein attraktives Quartier. Einen Ort, an dem Oper und Ballett weiter Teil einer lebendigen, vielfältigen Stadtgesellschaft bleiben.

Oberbürgermeister Fritz Kuhn stellt sich Oper und Ballett in der näheren Zukunft dagegen eher als Ausflugsziel vor. Die von ihm sanft, aber nachdrücklich präferierten Ersatzspielstätten-Orte in der Ehmannstraße und am Mercedes Museum zeichnen sich beide dadurch aus, dass sie weit vom Schuss, mit öffentlichen Verkehrsmitteln schlecht erreichbar sind, und über kein auch nur in Ansätzen attraktives urbanes Umfeld verfügen. Verglichen damit liegen selbst die Möhringer Musical-Theater mit ihrer benachbarten Burger-Bude tatsächlich noch am Puls der Zeit.

Die Suche nach einer zentral gelegenen Ersatzspielstätte für Oper und Ballett gestaltet sich auch deshalb so kompliziert, weil der Stuttgarter Oberbürgermeister diesbezüglich einige Denkverbote, zu Neudeutsch „No-Go’s“, verkündet hat. Das wichtigste: der Obere Schlossgarten ist tabu. In unmittelbarer Nachbarschaft zu den Gruben und Gräben von Stuttgart 21 soll kein neuer Bauzaun mehr errichtet werden. So fällt aus seiner Sicht auch ein Vorschlag flach, den die Theater selbst ganz am Anfang erarbeitet hatten: Die temporäre Überbauung des künstlichen Flachgewässers namens Eckensee mit einem Ersatzbau, der dann nach Ende der Sanierung wieder verschwindet, um den Wasserfontänen wieder freien Lauf zu gewähren.

Zentrum statt Peripherie

Man kann gegen diese Idee, die auf Initiative einer Mehrheit der Gemeinderats-Fraktionen nun doch noch bis zum November ernsthaft geprüft werden soll, viele Bedenken einwenden. Ein auch vom OB immer wieder vorgetragener Einwand sticht aber gar nicht: Der geschundenen Innenstadt sei nach den Kämpfen jüngerer Vergangenheit an dieser Stelle keine weitere Baustelle und kein Verlust an Grün zuzumuten. Denn selbst, wenn es hier keine zentrale Ersatzspielstätte für Oper und Ballett geben soll, wird der Ort auf jeden Fall doch zur Baustelle – denn die Sanierung des Opernhauses selbst wird ja über Jahre hinweg just hier und nirgendwo sonst stattfinden.

Kleiner Ausblick: Was werden wir im Sommer 2018 über den Stand der Opernhaus-Sanierung schreiben können oder müssen? Die Frage der Ersatzspielstätte wird wohl bis dahin geklärt sein, und selbst, wenn es dann gegen den Willen der Theaterleiter und gegen den Willen des jetzigen Publikums ein Rasengrundstück in Untertürkheim geworden sein sollte, muss deswegen noch nicht die Welt untergehen. Mit irgendeinem internationalen „Ring“-Projekt nebst Star-Besetzung, ein bisschen mehr Operette, regelmäßig „Romeo und Julia“ und fünf, sechs Tanzgalas zu den Festen werden die neuen Chefs von Oper und Ballett auch einen solchen Ort beleben. Ihre Nachfolger können 2027 dann im sanierten Haus auf Neustart gehen.

Aber zumindest in diesem Sommer darf man schon nochmal fragen: Warum sollte diese Stadt derartige Anstrengungen unternehmen, mit einem markant erweiterten Opernhaus ihre Kulturmeile weiter auszubauen und sich dadurch auch überregional als Kulturmetropole noch stärker zu akzentuieren – wenn sie in einer langen Zwischenzeit bis dahin diese Kultur so überdeutlich an die Peripherie versetzt? Anders als in Hamburg, Köln, Berlin oder München konzentriert sich das urbane Zentrum der Stadt Stuttgart zumindest derzeit auf ein relativ kleines Terrain. Man sollte wirklich jede Möglichkeit nutzen, hier nach einem Interim für Oper und Ballett zu suchen. Denn nur hier kommen sie der Stadt wirklich zu gute.