Mit einem Förderband an der Decke werden die Akten vom Zeughaus in den Lesesaal im Arsenalbau transportiert. Das Land plant, von diesem unterirdischen Gang ausgehend weitere Magazinräume im Untergrund zu schaffen. Foto: factum/Granville

Dokumente aus dem Königreich Württemberg, RAF-Ordner, Entnazifizierungsakten: Alles, was im Regierungsbezirk Stuttgart relevant ist, wird im Staatsarchiv in Ludwigsburg eingelagert. Das Land wehrt sich gegen eine Verlagerung – doch die Stadt lässt nicht locker.

Ludwigsburg - Peter Müller öffnet eine unscheinbare Tür, wie es so viele im Ludwigsburger Staatsarchiv gibt. Ewig lange Gänge, breite Treppen – die beiden Gebäude, der Arsenalbau und das Zeughaus, wurden einst als Waffenlager und später als Kaserne genutzt. Hinter dieser Tür aber muss etwas Besonderes sein, denn als Müller, der Archivleiter, den Schlüssel herumdreht, sagt er: „Dann schauen wir mal, ob Sie erkennen, was das ist.“ Es ist ein hohes Regal mit grauen Leitz-Ordnern, vergilbt, aber die Namen auf der Rückseite sind noch gut lesbar: Baader, Ensslin, Raspe. „Leichensache“ steht da geschrieben.

Als sich die Terroristen der Rote Armee Fraktion am 18. Oktober 1977 in ihren Zellen in Stammheim kollektiv das Leben nahmen, begannen umfangreiche Ermittlungen, und in dem Regal hinter der unscheinbaren Tür in Ludwigsburg stehen die Ergebnisse. Tausende Schriftstücke, bislang unveröffentlichte Fotos. „Ein Stück deutsche Geschichte“, sagt Müller.

40 000 Regalmeter mit Papier sind im Zeughaus aufgereiht, alte Dokumente aus dem Königreich Württemberg, Entnazifizierungsakten, aktuelle Verwaltungsunterlagen oder Prozessordner. 680 staatliche Institutionen geben ihre Unterlagen an das Archiv ab, denn alles, was im Regierungsbezirk Stuttgart Relevanz hat, wird für die Nachwelt aufbewahrt. Die Ludwigsburger Stadtverwaltung will, dass die Magazine möglichst bald verschwinden. Sie will, dass der 1762 erbaute Arsenalbau und das 1876 errichtete Zeughaus anders genutzt und mit mehr Leben gefüllt werden. Mit Gastronomie, Handel, einer Art Markthalle.

Das Landesamt sagt, der Standort stehe nicht zur Disposition. Den OB ficht das nicht an

Allerdings gehören die Gebäude dem Land, und das will nicht so recht mitziehen. Nach der jüngsten Verhandlungsrunde in der vergangenen Woche erklärte das zuständige Landesamt für Vermögen und Bau, der Standort stehe nicht zur Disposition. Die zentrale Innenstadtlage sei der Bedeutung des Archivs angemessen.

Werner Spec, den Ludwigsburger Oberbürgermeister, ficht das nicht an. Bislang habe die Stadt mit der administrativen Ebene verhandelt, sagt er. Jetzt werde man an die politische Ebene herantreten, an die Finanzministerin Edith Sitzmann und die Wissenschaftsministerin Theresia Bauer. „Das ist noch nicht erledigt.“

Das Staatsarchiv ist zweigeteilt, die Akten sind größtenteils im Zeughaus untergebracht, das öffentlich nicht zugänglich ist. Weil Papier vor Licht geschützt werden muss, sind die Fenster abgedunkelt, was der Fassade nach außen die Anmutung einer Trutzburg verleiht. Das gefällt auch dem Archivleiter nicht. Es sei aber möglich, dies zu ändern, sagt Peter Müller. Indem man etwa in diesen Teil des Gebäudes Büroräume verlagere. Umstrukturiert werden muss sowieso, weil das Haus aus allen Nähten platzt.

Um Platz zu schaffen, soll das Archiv unter der Erde erweitert werden

Das Land bereitet deshalb eine Erweiterung vor. Oberirdisch sind die zwei Gebäude nicht miteinander verbunden, aber im Boden verläuft ein langer Verbindungsgang mit einem Förderband an der Decke, auf dem Akten vom Zeughaus in den Arsenalbau transportiert werden. Vor allem die Entnazifizierungsakten werden oft angefordert, erzählt Müller. Nicht nur von Historikern, sondern überwiegend von Laien. Viele Menschen wollen einfach wissen, wie sich die Eltern oder Großeltern im Dritten Reich verhalten haben.

Von dem Flur ausgehend sollen Magazinräume in den Untergrund geschlagen werden, um Platz zu schaffen. Denn trotz der zunehmenden Digitalisierung kommen jedes Jahr 500 Regalmeter Akten hinzu. Im Erdgeschoss stapeln sich die neu angelieferten Kartons mit Ordnern, die von den Mitarbeitern zur Einlagerung aufbereitet werden müssen. Eine nie endende Arbeit.

Am Ende des Ganges führt eine Wendeltreppe in den Arsenalbau mit Lesesaal und Veranstaltungsräumen. Auch das Institut für Erhaltung von Archivgut ist dort untergebracht, dessen Mitarbeiter in aufwendigen Verfahren alte Dokumente und Urkunden restaurieren. Der Arsenalbau wirkt offener, ist zugänglich, wird auch von Schulklassen besucht. Weshalb es eine denkbare Lösung wäre, ihn unangetastet zu lassen und nur das Zeughaus für eine andere Nutzung freizuräumen. Das wäre die kleine Lösung. Die Stadt favorisiert die große Lösung. Alles soll weg.

Der Umzug wäre eine Herausforderung – nicht nur wegen der ungeheuren Papiermenge

Spec verweist auf eine Studie, die die Verwaltung bei dem Beratungsunternehmen Ernst & Young in Auftrag gegeben hat. Diese beweise, dass eine Verlagerung „wirtschaftlich vertretbar“ sei. Dass das Land eine Erweiterung am jetzigen Standort plant und bald den Bauantrag einreichen wird, sieht er nicht als Hindernis, im Gegenteil. Diese Kosten könne man sich sparen, so der OB. Zwei so zentrale Gebäude in der Stadt mit Akten vollzustopfen sei einfach nicht mehr zeitgemäß.

Die Verwaltung hat einen alternativen Standort im Auge. Am Bahnhof, am sogenannten Kepler-Dreieck, soll in den nächsten Jahren ein Hochhaus in die Höhe wachsen. In den unteren Geschossen, die direkt an den Gleisen liegen, könnten die Akten untergebracht werden, heißt es aus dem Rathaus. Undenkbar sei das, sagt das Landesamt. Außerdem sei ein Umzug auch finanziell nicht darstellbar, da das Staatsarchiv erst in den 1990er Jahren aufwendig umgebaut worden sei. Eines immerhin ist sicher: Die Verlagerung wäre eine logistische und technische Herausforderung, nicht nur, weil unzählige Tonnen Papier von A nach B bewegt werden müssten.

Im Dachgeschoss des Zeughauses sind riesige Kältemaschinen installiert, um die Temperatur in den Magazinen konstant auf 18 Grad zu halten. Die Luft in den Räumen wird gefiltert, weil auch Staubpartikel dem Papier zusetzen würden. Es handle sich eben um Spezialbauten, sagt das Landesamt, die man nicht ohne Weiteres woanders wieder herstellen könne.

Für Peter Müller sieht die beste Lösung daher so aus: Die Akten bleiben, wo sie sind. „Das ist unser kulturelles Erbe“, sagt er und deutet mit einer ausladenden Bewegung auf die Magazine. „Die Erinnerung an unsere Vorfahren. Ich bin schon der Meinung, das so etwas auch mitten in der Stadt sichtbar sein darf.“