Unter Flüchtlinge mischen sich gezielt Straftäter – eine unmittelbare Ausweisung müssen sie allerdings nicht fürchten, kritisiert die Polizei. Foto: dpa

Diskutieren Sie mit - Wenn mehr Flüchtlinge kommen, steigt auch die Zahl der Straftaten, die von ihnen ausgehen. In vielen Unterkünften brodelt es, die Polizei hat alle Hände voll zu tun. Und muss manchmal machtlos mitansehen, wie die immer selben Täter auftauchen.

Stuttgart - Die Zeugen sind vernommen, die Spurensicherung hat ihre Arbeit getan. Am vergangenen Freitag sollen drei Algerier einen 16-jährigen Tunesier mit in ihre Flüchtlingsunterkunft nach Nürtingen genommen und dort mehrfach vergewaltigt haben. Die mutmaßlichen Täter sitzen in Untersuchungshaft, das Opfer hat das Krankenhaus wieder verlassen. Doch für das Asylverfahren hat die Tat zumindest zunächst keine Folgen.

Polizisten klagen bereits seit längerem hinter vorgehaltener Hand darüber, Straftätern im Asylverfahren fast machtlos gegenüberzustehen. „Wir erleben, dass der eine oder andere Flüchtling recht flott Straftaten begeht“, sagt Rüdiger Seidenspinner. Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisiert, dass die üblichen Sanktionen oft nicht griffen: „Wer eine Geldstrafe bekommt, kann die nicht bezahlen.“ Andere Täter tauchen einfach unter. Und wer wiederholt auffällig wird, muss noch lange nicht fürchten, Deutschland verlassen zu müssen. Das nutzen zunehmend auch Kriminelle aus, die unter dem Schutzmantel des Asylrechts ausschließlich nach Deutschland kommen, um Einbrüche zu begehen oder mit Drogen zu handeln.

Bei Ausweisungen wird das Asylverfahren abgewartet

„Wir müssen sauber trennen“, sagt Carsten Dehner vom Innenministerium. „Eine Straftat von Flüchtlingen wird von Polizei und Staatsanwaltschaft verfolgt wie jede andere auch.“ Jeder Täter bekomme eine angemessene Strafe bis hin zur Haft. Auf das Asylverfahren hat das jedoch erst einmal keine Auswirkung. „Straftaten können zwar ein Ausweisungsgrund sein, allerdings warten wir ab, bis das Asylverfahren abgeschlossen ist und feststeht, ob der Betroffene ohnehin gehen muss“, so Dehner. Danach prüfe man, ob eine Ausweisung möglich sei. Zwischen einer Verurteilung und der Asylentscheidung lägen in der Regel „keine Jahre“. Zusätzlich schütze die Genfer Flüchtlingskonvention Asylbewerber. Sie könnten „nicht einfach ohne Prüfung zurückgeschickt werden“.

Viele Polizisten frustriert dieser Zustand. Denn sie sehen, dass Straftaten zunächst einmal keine Konsequenzen für den Aufenthalt in Deutschland haben. „Es ist eine Belastung für die Kollegen, wenn sie immer wieder auf dieselben Täter treffen“, weiß Seidenspinner. „Das ist zwar das Los eines Rechtsstaates, aber sowohl den Bürgern als auch den Polizeikollegen schwer zu vermitteln.“ Der GdP-Vorsitzende fordert, diesen Zustand zu ändern: „Jemand, der Schutz sucht, sollte sich so nicht verhalten. Deshalb muss man überlegen, ob jemand, der mehrfach erhebliche Straftaten begeht, nicht sein Recht auf Asyl verwirkt. Der Gesetzgeber muss da Klarheit schaffen.“

Zahl der Straftaten steigt an

Das Thema verschärft sich auch deshalb, weil die Zahl der Delikte von Flüchtlingen steigt. Aus einem Lagebild, das die Polizei für das Innenministerium erstellt hat, geht hervor, dass es zwischen Januar und Oktober in Baden-Württemberg 23 511 Straftaten gegeben hat, in denen Asylbewerber als Täter aufgetreten sind. Darunter finden sich häufig sogenannte Armutsdelikte, etwa 6451 Ladendiebstähle oder 4385 erwischte Schwarzfahrer. Es sind aber auch Tausende schwere Straftaten dabei: Der Bericht listet 873 gefährliche oder schwere Körperverletzungen auf, 663 Wohnungseinbrüche, 1565 Rauschgift- und 202 Sexualdelikte. Die Opfer sind häufig andere Flüchtlinge, aber bei weitem nicht immer. Gut 4000 der Straftaten haben sich innerhalb von Asylbewerberunterkünften abgespielt. Immer öfter löst die Überfüllung dort schwere Konflikte aus.

In den ersten zehn Monaten des Jahres hat es im Land insgesamt 450 000 Straftaten gegeben. Gut fünf Prozent sind von einem Asylbewerber verübt worden, die Quote liegt zwischen drei- und viermal so hoch wie in der Gesamtbevölkerung, was Experten aber auch mit der hoch angespannten Unterbringungssituation begründen. Im selben Vorjahreszeitraum hat die Polizei lediglich 13 135 Straftaten von Flüchtlingen gezählt.

Polizeipräsenz soll hoch bleiben

Beim Innenministerium will man die Zahlen richtig eingeordnet wissen. „Der Anstieg ist relativ, weil die Zunahme von Flüchtlingen viel größer gewesen ist als die Zunahme von Straftaten“, sagt Dehner. Trotzdem wolle man „Schlüsse daraus ziehen“. So soll die erhöhte Polizeipräsenz insbesondere an als kritisch geltenden Unterkünften beibehalten werden.

Das wird so manchem frustrierten Beamten nicht weiterhelfen. Im Gegenteil. „Wenn die Belastung so weitergeht, werden wir das nicht mehr schaffen“, sagt Seidenspinner. Freie Wochenenden seien für viele Polizisten „wie Märchen aus einer anderen Welt“.

Hintergrund: Aufruhr in der Unterkunft

Für Schlagzeilen hat zuletzt der Vorfall in einer Nürtinger Flüchtlingsunterkunft gesorgt, bei dem drei Männer aus Algerien einen 16 Jahre alten Tunesier mehrfach vergewaltigt haben sollen. Generell häuften sich zuletzt massive Auseinandersetzungen in den beengten Quartieren.

Ein Schwerpunkt, der immer wieder auftaucht, ist eine Unterkunft in Aichtal-Aich (Landkreis Esslingen). Dorthin musste die Polizei innerhalb weniger Wochen bereits fünfmal zu Großeinsätzen ausrücken. Zuletzt ist dort am Montag ein 24 Jahre alter Mann von vier anderen Bewohnern angegriffen und schwer verletzt worden. Das Opfer wurde dabei mit Fußtritten und Schlägen bis zur Bewusstlosigkeit traktiert. Alle Beteiligten waren betrunken. Die hinzugerufene Polizei wurde von den Tätern wüst beschimpft. Es waren zwei Polizeihunde nötig, um die Situation zu beruhigen. Das Landratsamt hat in der Unterkunft bereits den Sicherheitsdienst aufgestockt.

Dasselbe hat die Stadt Stuttgart in der Alfred-Wais-Halle in Birkach getan. Dort war es wegen Unstimmigkeiten über liegen gelassenen Müll zuletzt zu einer Schlägerei mit 30 Beteiligten gekommen. Neun Menschen wurden verletzt, sechs vorübergehend festgenommen.

Die Zahl der Auseinandersetzungen in den engen Unterkünften in der Region steigt. Allein in den vergangenen drei Monaten hat die Polizei 20 größere Einsätze in Flüchtlingsquartieren vermeldet. Dabei waren zum Teil bis zu 100 Menschen beteiligt, Messer und andere Waffen im Spiel. Auch im Notquartier des Landes in der Stuttgarter Landesmesse gab es bereits zwei größere Einsätze. (jbo)