Stuttgarts evangelischer Stadtdekan Søren Schwesig Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die evangelische Kirche will sich in Stuttgart und in der Region stärker mit dem Phänomen des Rechtspopulismus auseinandersetzen. Bei der kontroversen Debatte im Gesamtkirchengemeinderat zeigte sich, dass das Thema einen innerkirchlichen Konflikt birgt.

Stuttgart - Die evangelische Kirche will sich in der Landeshauptstadt und in der Region stärker mit dem Rechtspopulismus auseinandersetzen. Auftakt in Stuttgart war eine kontroverse Debatte im Gesamtkirchengemeinderat, die das Konfliktpotenzial des Themas deutlich machte.

Stadtdekan Søren Schwesig verwies auf eine Studie der EKD vom vorigen November, in der auch rechtspopulistische Tendenzen innerhalb der evangelischen Kirche festgestellt wurden. Bei den vergangenen Landtagswahlen hatte die AfD in den als sehr evangelisch geprägt geltenden Landkreisen Calw und Pforzheim besonders gut abgeschnitten. Die Kirche stelle sich nach außen als tolerant dar, in ihr gebe es aber erhebliche Intoleranz etwa gegen Muslime und Homosexuelle, auf der anderen Seiten aber auch gegen AfD-Anhänger, so Schwesig.

Angriff auf die liberale Gesellschaft

Wolfgang Meyer-Ernst, Studienleiter der Akademie Bad Boll, lieferte in einem Referat eine Kritik des Rechtspopulismus. Auch wenn sich dieser „radikal- und basisdemokratisch gibt, ist er zutiefst antidemokratisch“. Durch ihre „antielitäre“ Stoßrichtung gegen politische, intellektuelle, wirtschaftliche wie kirchliche Repräsentanten des „Systems“ attackierten Rechtspopulisten die „offene und liberale Gesellschaft“. Stattdessen wollten sie einen „autoritären Staat, in dem von oben nach unten durchregiert wird“, wie Donald Trump das vormache. Die Rechtspopulisten beriefen sich auf das „wahre Volk“, auf ein „homogenes Wir mit völkischer Reinheit“, sagte Wolfgang Meyer-Ernst. Dabei handle es sich um eine „ideologische Konstruktion“, um ein „Fake-Volk“. Eine Gefahr sei der Rechtspopulismus, weil es ihn „ohne Ab- und Ausgrenzung von Fremdem nicht gibt“. Die „ausgrenzende Volksdefinition“ widerspreche dem Grundgesetz „und erst recht dem biblischen Menschenbild“, so Meyer-Ernst. „Deshalb sind solche Parteien für uns nicht wählbar.“

Kritik an Haltung von oben herab

Der Vortrag fand Zuspruch, aber auch Kritik. Pfarrer Heinrich Schmid von der Johanneskirche findet, man müsse künftig „deutlicher“ in diese Richtung predigen und klarmachen, dass rechtspopulistische Positionen „in keiner Weise vom Evangelium abgedeckt sind“. Pfarrer Christoph Dinkel von der Christuskirche missfiel hingegen die Tonlage. Er sieht in der vorgetragenen Haltung eine arrogante „Abwertung der anderen und eine Aufwertung seiner selbst“. Auch AfD-Wähler seien „keine Dumpfbacken“. Klaus Baur, Pfarrgemeinderat der Paul-Gerhardt-Gemeinde, erklärte, es gebe „auch in der AfD Vernünftige – wie überall“. Man dürfe die Leute „nicht über einen Kamm scheren“. Pfarrer Eckhard Benz-Wenzlaff von der Waldgemeinde, der lange Jahre Pfarrer im holländischen Den Haag war, hält die Position von Wolfgang Meyer-Ernst für einseitig, oberflächlich und teilweise für falsch. Es gebe durchaus Entwicklungen unter Muslimen, „die Anlass zu großer Sorge geben und die etwas mit der Religion des Islam zu tun haben“.

Stadtdekan fordert zu Dialog auf

Stadtdekan Schwesig forderte die Ratsmitglieder auf: „Suchen Sie das Gespräch in der Gemeinde.“ Das Bildungszentrum Hospitalhof bietet eine Veranstaltungsreihe, die Akademie Bad Boll Ende März ein Symposium zu Kirche und Rechtspopulismus.

Infos: www.hospitalhof.de/programm/themenreihen, www.ev-akademie-boll.de.