Windradbau im Harthäuser Wald: Für manche Bürger ein Frevel Foto: ZEAG

Diskutieren Sie mit - Wenn es um Windräder geht, ist der Bürger launisch wie ein Atlantiktief: Hier braust er dagegen auf, dort besonnt er das Bauvorhaben huldvoll – von Barrikaden und Beteiligung.

Hardthausen/Lauterstein - Die Wolken hängen tief an diesem regnerischen Sturmtag im Harthäuser Wald. So tief, dass die Rotoren der elf Windkraftwerke im Weiß verschwinden und nur die Masten in den Himmel stechen. Klänge der Begriff nicht so abgedroschen – man könnte glatt von Spargel reden.

Holger Bauer nennt sie Industrieanlagen. Der gelernte Ingenieur ist Vorsitzender eines Vereins, der seit Jahren gegen das Vorhaben kämpft, auf dem Höhenzug zwischen Jagst und Kocher wolkenkratzerhohe Windräder zu bauen. „Wir wollen keine Industrialisierung von Natur- und Erholungsräumen“, sagt Bauer.

In den umliegenden Ortschaften hat die Schutzgemeinschaft, wie sie sich selbst nennt, Plakate aufgehängt („Kein Windpark im Harthäuser Wald“). Sie organisiert Demos, bietet Gesprächsforen, macht Führungen. Doch viel genutzt hat das alles letztlich nicht, denn seit Ende Oktober ist der Windpark in Betrieb.

Kretschmann übel beschimpft

Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat ihn persönlich eingeweiht und zusammen mit Bürgermeistern und Managern auf den roten Knopf gedrückt. Beim Windkraftausbau sei jetzt der Knoten geplatzt, sagte der Grünen-Politiker. Bauer und mehrere Hundert Mitstreiter pfiffen ihn aus und riefen: „Abtreten!“ Einer schleuderte ihm sogar „Du Schwein!“ entgegen, woraufhin sich Kretschmann wortlos umdrehte.

Fragt man Bauer nach dem Grund für diesen Zorn, sprudeln die Argumente nur so aus ihm heraus. Er redet von Naturbewahrung, von Erholungsraum, von enttäuschtem Vertrauen. Und dass sie weiter kämpfen wollen, denn es sollen weitere Windräder gebaut werden im Harthäuser Wald. Dass Gegner und Befürworter hier irgendwann zusammenkommen – unvorstellbar.

Lauterstein tickt anders

Im Ostalb-Städtchen Lauterstein, gut 70 Kilometer südöstlich von Jagst und Kocher, sitzt derweil Bürgermeister Michael Lenz in seinem Rathaus und sagt: „Gegner? Nur ganz wenige. Wir haben in der Region eine hohe Akzeptanz für unser Windkraftprojekt.“ Lenz meint damit die 16 Anlagen, die bis Ende nächsten Jahres rund um seinen Ort in den Himmel wachsen sollen: Baden-Württembergs größter Windpark überhaupt. Seit über drei Jahren hat die Bevölkerung davon Kenntnis, und wäre sie dagegen, davon ist der Schultes überzeugt, dann hätte sie das längst bekundet – spätestens bei seiner Wiederwahl im Winter 2014: „Aber ich wurde mit fast 98 Prozent bestätigt, und das bei mehr als 55 Prozent Wahlbeteiligung.“

Was läuft anders auf der Ostalb? Warum geht überhaupt die Bevölkerung an einem Ort auf die Barrikaden, andernorts aber nicht? Und gibt es dafür eine Formel?

„Nein. Jeden Einzelfall muss man gesondert angehen“, antwortet Staatsrätin Gisela Erler, die sich diesen Fragen professionell widmet. Aber es gebe so etwas wie Erfolgsfaktoren, welche die Wahrscheinlichkeit für Akzeptanz erhöhen. Erler hat sie zu Papier gebracht und als „Planungsleitfaden“ veröffentlicht. Ganz vorne bei ihr steht: Alle Akteure mit allen Interessenslagen früh an einen Tisch bringen!

In Lauterstein hat man dies offenbar beherzigt. „Man muss die Leute ernst nehmen und darf nicht sagen: Infraschall ist Quatsch“, sagt Hartmut Brösamle, Vorstand des Windkraftbauers WPD. Das Unternehmen ist eines der größten in Deutschland für Entwicklung und Betrieb von Windparks und hat auf der Alb den Zuschlag erhalten. Bei der Bürgerbeteiligung, so Brösamle, ziehe seine Firma alle Register – bis hin zur Einbindung der lokalen Player.

Wo ist der Unterschied?

„Auch wir haben das gemacht“, entgegnet Harald Endreß, Geschäftsführer der ZEAG Energie AG, die den Windpark im Harthäuser Wald baut und betreibt. Nach allen Regeln der Beteiligungskunst habe man die erste Infoveranstaltung schon Anfang 2012 abgehalten – eine von mittlerweile zehn. Auch eine „Kommunikationskrise“ (Endreß) wurde einkalkuliert.

Aber hat man auch frühzeitig über die Art der Beteiligung gesprochen, wie es Erler vorschlägt? Wurde eine Begleitgruppe aus Befürwortern, Gegnern und Neutralen benannt? Und waren die Entscheidungen stets gut begründet? Die Antworten darauf fallen je nach Standpunkt unterschiedlich aus – wie auch anders!

Die ZEAG hält sich jedenfalls zugute, dass sie viele Bürger vom Nutzen des Windparks überzeugen konnte. „Wenn ich es nochmals zu tun hätte, würde ich es wieder so machen“, sagt Endreß. Doch eine kleine Gruppe sei auch mit noch so guten Argumenten nicht zu gewinnen: „Die wollen so lange diskutieren, bis wir gar kein Windrad mehr bauen.“

Die Wortelite – nur Zufall?

Ist es also reiner Zufall, ob eine „lokale Wortelite“, wie man meinungsstarke Persönlichkeiten gerne nennt, Protest artikuliert? Das glaubt WPD-Chef Brösamle nun nicht: „Wenn alle wichtigen Leute am Ort für das Projekt sind, können Einzelne nur schwer gegenhalten.“ Zumal dies seiner Erfahrung nach oft Zugezogene sind: „Die stammen aus der Stadt und wollen ungestörte Natur haben.“ Landbewohner seien hingegen damit vertraut, dass Kulturlandschaft menschlich beeinflusst ist.

Doch auch dieses Argument erklärt nicht, warum die Kraftwerksbauer in der ländlichen Gegend nordöstlich von Heilbronn so starken Gegenwind spüren. Die Protestszene speist sich ja auch aus alteingesessenen Bürgern der umliegenden Ortschaften. Dass sie gar nicht so wenige sind, schließt Bauer aus über 1200 Unterschriften und daraus, dass bei den Kreistagswahlen 2014 eine alternative Gruppe ziemlich erfolgreich war.

Was also ist die Ursache? Der Abstand zur Wohnbebauung sei enorm wichtig, sagt Brösamle. Allzu häufig stünden die Kraftwerke zu dicht an Häusern, und das Surren der Rotoren stört nun mal viele Menschen. „Eine sinnvolle Standortwahl ist das A und O, deshalb bauen wir lieber mal eine Anlage weniger“, sagt der WPD-Chef. Doch auch dieses Kriterium eignet sich bei den genannten Windparks nicht zur Abgrenzung, denn in beiden Fällen stehen die Kraftwerke weit entfernt von der nächsten Ortschaft.

Beteiligung erwünscht

In Lauterstein, wo sie auf Albkuppen vorgesehen sind, sieht man sie von den Talorten überhaupt nicht. „Das hat bei der Entscheidung ohnehin nur eine geringe Rolle gespielt“, sagt Bürgermeister Lenz. Die Bevölkerung habe ja anhand der Computersimulation gewusst, was auf sie zukomme. Aber auch in Hardthausen sucht man den Horizont vergeblich ab.

Gemeinsam ist beiden Projekten auch, dass man der Bevölkerung eine wirtschaftliche Beteiligung anbietet. Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) sieht in sogenannten Energiegenossenschaften ein gutes Vehikel, um den Bürgern die Windenergie schmackhaft zu machen. Doch auch das besänftigt die Gegner nicht: „Menschen, die so denken, denen ist Natur nichts wert“, sagt Bauer. In Lauterstein, wo der örtliche Energieversorger Albwerk mit im Boot ist und Beteiligungen anbietet, wäre dieser Anreiz andererseits gar nicht nötig gewesen.

Die Qualität des Waldes

Ein paar Unterschiede gibt es dann aber doch: zum Beispiel die Qualität des Waldes, der für die Bauprojekte herhalten muss. In Lauterstein schneiden die Kraftwerksbauer nämlich in reinen Wirtschaftsforst hinein, den schon jetzt breite Schneisen durchziehen. „Da gibt es breite Wege, fast wie Autobahnen“, sagt Bürgermeister Lenz.

Der Harthäuser Wald hingegen gilt als ökologisches Juwel. Fachleute wie der frühere Neuenstadter Forstdirektor Michael Domay halten ihn für einen höchst schützenswerten Naturraum mit zum Teil uralten Laubbäumen. Auf der Ost-Alb haben die Gemeinden auch glasklar aufgezeigt, welche Kuppen keinesfalls Windräder tragen dürfen. Lenz: „Das war förderlich für die Akzeptanz.“ Im Harthäuser Forst hingegen soll die Energiewende weitergehen, hier ist Platz für acht weitere Kraftwerke.

Es ist also die Summe vieler Faktoren, die darüber entscheidet, ob die Menschen ein Bauwerk annehmen oder eben nicht. Bürgerbeteiligung gibt dafür keine Garantie. Wer aber ohne Mitspracherechte plant, kann gleich auf Sand bauen.