Beim Weltwirtschaftsforum in Davos diskutieren noch bis 20. Januar Politiker, Wirtschaftler und Forscher aus der ganzen Welt. Foto: AP

Wie ergeht es den Arbeitnehmern, wenn sie nur noch Beschäftigte in der „human cloud“ sind? Die Digitalisierung erfordert Reformen im Sozialsystem. Beim Weltwirtschaftsforum plädieren manche Redner für das bedingungslose Grundeinkommen.

Davos - Von der „Cloud“ spricht heute, wer Urlaubsfotos oder Musik in den großen, externen Datenspeichern der Internetanbieter ablegt. Nun wird der Begriff der „Wolke“ übertragen in den Bereich der Arbeit. „Human Cloud“ bezeichnet diejenigen Beschäftigten, die um ihre Arbeitgeber herumzirkulieren, die also keinen festen Vertrag haben, noch nicht mal eine kontinuierliche Teilzeitanstellung, sondern für einzelne Projekte von wechselnden Auftraggebern verpflichtet werden.

In manchen großen Unternehmen würde heute schon ein Drittel des Personals aus solchen Selbstständigen bestehen, schreibt Peter Miscovich von der Immobilienberatung Jones Lang LaSalle (JJL). Und im Jahr 2030 könnten es in einigen Branchen bis zu 80 Prozent der Beschäftigten sein. Man mag die konkreten Zahlen infrage stellen, aber die grundsätzliche Aussage findet beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos viele Anhänger.

Die Liste der gefährdeten Berufe ist lang

Das ist nur eine Auswirkung der Digitalisierung, die hier beim gegenwärtigen Jahrestreffen der Wirtschafts- und Politikelite diskutiert wird. Andere Beispiele: Wenn Lkw computergesteuert unterwegs sind, braucht man keine Fahrer mehr. Wenn man die Daten für seine Zivilklage auf der Webseite der Kanzlei einträgt und der Computer schickt den Schriftsatz ans Gericht, wird die Anwältin überflüssig. WEF-Chef Klaus Schwab nimmt sogar an, dass Autoren künftig Probleme bekommen: „Hochkomplexe Algorithmen können Texte in jedem beliebigen, auf eine bestimmte Leserschaft zugeschnittenen Stil erzeugen.“

Die Liste der gefährdeten Berufe ist lang. Schwab nennt Steuerberater, Versicherungsfachleute, Schiedsrichter, Immobilienmakler, Kuriere, Boten und andere mehr. Es geht nicht nur um einfache Tätigkeiten, sondern auch um solche, für die man heute Abitur und Studium braucht. Die vierte industrielle Revolution, so die These, macht auch vor den ausreichend oder gut bezahlten Jobs der Mittelschicht nicht halt. Wenn manche Angehörige dieser Bevölkerungsgruppe schon heute die Angst vor wirtschaftlicher Unsicherheit verfolgt, so dürfte sie durch derartige Prognosen nicht kleiner werden.

Setzt sich die digitale Transformation in den kommenden Jahrzehnten wirklich durch – was ja niemand weiß –, stünde die Art, wie heute gearbeitet wird, grundsätzlich zur Disposition. Worüber muss man nachdenken, um die Arbeitnehmer auf solche Veränderungen vorzubereiten? Unter anderem über die soziale Sicherung der Zukunft, lautet eine Antwort in Davos.

Das bedingungslose Grundeinkommen als Hilfe

„Das bedingungslose Grundeinkommen kann eine Hilfe für prekär Beschäftigte und die unter Druck stehende Mittelklasse darstellen“, erklärte Guy Standing, Professor der Universität London und Co-Chef des Basic Income Earth Network (BIEN) während einer Podiumsdiskussion am Mittwoch. Beim WEF wird diese Idee, die bisher als illusionär galt, breit diskutiert. Befürworter stellen sich das Konzept idealtypisch so vor: Alle erwachsenen Staatsbürger erhalten beispielsweise 1000 Euro pro Monat vom Staat, Kinder 500 Euro. Bedingungen wie heute bei Hartz IV sind daran nicht geknüpft. Menschen ohne oder mit geringem Einkommen profitieren, Bezieher mittlerer und großer Gehälter zahlen höhere Steuern, weil sie das Grundeinkommen ja nicht brauchen. Amitabh Kant, Entwicklungsexperte der indischen Regierung, warnte dagegen: „Man soll Geld nicht als Droge verabreichen.“ Er plädierte dafür, ein Grundeinkommen für beispielsweise drei Jahre als zinsloses Darlehen an arme Bürger zu überweisen. Die Pflicht, das Geld zurückzuzahlen, könne die ökonomische Aktivität der Empfänger fördern.

Neelie Kroes, Unternehmensberaterin und Ex-EU-Kommissarin, stellte die Frage, wie die Transferleistung finanziert werden solle. In Großbritannien könnte sie 700 Milliarden Euro jährlich kosten, etwa ein Viertel der Wirtschaftsleistung. Angesichts solcher Summen sah Kroes Schwierigkeiten voraus, die Reform durchzusetzen.

Forscher sieht fast die Hälfte aller Jobs in den USA gefährdet

Eine weitere große Frage in der Debatte über die Digitalisierung lautet: Wie viele Arbeitsplätze gehen verloren, wenn Roboter und künstliche Intelligenz ganze Berufsbilder entwerten? Die Forscher Carl Benedikt Frey und Michael Osborne von der Oxford Martin School kamen zu dem Ergebnis, dass in den nächsten zehn bis 20 Jahren knapp die Hälfte aller Stellen in den USA gefährdet sei. Andere Forscher sind vorsichtiger, auch WEF-Chef Schwab. Die Digitalisierung vernichtet nicht nur Arbeitsplätze, sie schafft auch neue. Wenn beispielsweise Paketboten irgendwann dadurch überflüssig werden, dass die Lieferdienste Drohnen einsetzen, entstehen zusätzliche Stellen bei den Produzenten der Fluggeräte. Offen bleibt allerdings vorläufig, ob sich diese Entwicklungen ausgleichen können.

Optimistisch ist Norbert Winkeljohann: „Die Digitalisierung wird nicht per se zu mehr Arbeitslosigkeit führen. Denn um herauszufinden, ob in der Arbeitswelt der Zukunft noch Platz für den Menschen sein wird, muss man den demographischen Wandel unbedingt berücksichtigen.“ Infolge der Alterung würden in Deutschland im Jahr 2030 „rund 3,5 Millionen Menschen weniger“ arbeiten als heute, die Digitalisierung mache aber vermutlich nur zwei Millionen einheimische Arbeitskräfte überflüssig. Das heißt: Unter dem Strich stünden offene Stellen, nicht Arbeitslose.