Davide Martello bei seinem Auftritt in der Oberen Königstraße Foto: ubo

Der Pianist Davide Martello, der nach der Terrornacht in Paris vor dem Bataclan-Theater auf dem Flügel „Imagine“ gespielt hat, kommt regelmäßig nach Stuttgart. Wenn er auf der Königstraße spielt, verständigen sich seine Fans per Handy.

Stuttgart - Zu den häufigsten Fragen, die der Pianist Davide Martello zu hören bekommt, der als Straßenkünstler mit einem Flügel auf drei Rädern unterwegs ist, zählt folgende: Kann man dich engagieren? „Can i engage you?“ Dies ist auf seiner auf Englisch verfassten Homepage www.klavierkunst.com unter FAQ (frequently asked questions) notiert. Als Antwort genügt dem 34-Jährigen ein kurzes Wort: „no“.

Nein. Nicht Geld kann ihn locken. Die Auftritte müssen in seine „Philosophie“ passen. Diese Philosophie leuchtet als weißes Symbol auf dem schwarzen Korpus seines wuchtigen Instruments. Kreis, Strich, Häkchen – das Friedenszeichen reist mit dem früheren Friseur aus Konstanz durch Europa und darüber hinaus.

Als „Friedens-Engel am Flügel“ hat man den Sohn eines Sizilianers und einer Deutschen bezeichnet, weil er bei den Protesten auf dem Taksim-Platz in Istanbul und auf dem Majdan in Kiew aufgetreten ist. Am Morgen nach der Terrornacht von Paris spielte er „Imagine“ von John Lennon vor dem Bataclan-Theater – die Bilder davon gingen um die Welt.

Mit dem Fahrrad zieht er seinen Flügel auf die Königstraße

Nun sitzt Davide mit Hut und Schal in einer milden Winternacht auf der Königstraße in Stuttgart vor seinem 350 Kilo schweren Flügel, in den er Lautsprecher und LED-Lichter eingebaut hat. Immer mehr Passanten bleiben staunend stehen, zücken ihre Smartphones, fotografieren von allen Seiten und werfen Münzen in seinen Topf. „Das ist der vom Bataclan“, hört man Fußgänger sich zuflüstern.

In einer Spielpause wird er um Autogramme gebeten. Dann spielt er wieder eigene Stücke wie „The Secret“. Das Geheimnis der Liebe , schrieb Oscar Wilde, ist größer als das Geheimnis des Todes.

Mit der Gitarre klimpern in der Fußgängerzone – das kann jeder. Davide schiebt auf Stahlschienen seinen umgebauten Flügel vom Autoanhänger auf die Straße. Die letzten Meter bis zum Auftrittsort zieht er den Koloss mit dem Fahrrad. Es ist nicht nur der Respekt für diese Schwerstarbeit, warum er sein Publikum begeistert. Seine Klavierkunst ist gefühlvoll, ausdrucksstark, bewegt sich betörend zwischen Kraft und Zärtlichkeit.

Einige Passanten klingeln mit ihrem Handy Freunde herbei: „Kommt schnell! Das müsst ihr gesehen haben!“ Davide will seine Zuhörer „inspirieren“, wie er auf seiner Facebook-Seite erklärt:  „Lasst uns zusammenhalten für eine freie und friedensvolle Welt.“ Nach Konstanz, Berlin und Hamburg zählt Stuttgart zu seinen bevorzugten Spielorten. Vor der Eugen-Bolz-Villa hat er für eine Gedenkstätte gespielt. Wann er wieder kommt? Von so vielem hängt es ab, von dem Wetter, von seiner Lust, von seiner Spontanität.

Die Welt braucht Träumer

Ein Straßenkünstler, der Autogramme gibt – das ist ungewöhnlich. Davide war noch gar nicht auf der Welt, als John Lennon 1971 einen Traum träumte, der bis heute nicht wahr geworden ist. „Stell dir vor, all die Leute lebten ihr Leben in Frieden“, heißt es in dem Lied. An jenem Freitag, dem 13. November, hatte Martello in einer Kneipe in Konstanz von den Pariser Mördern gehört. Wenig später saß er mit einem Kumpel im Auto, mit dem Flügel im Anhänger, um anderntags vor dem Bataclan „Image“ zu spielen. Der Text endet mit dieser Strophe: „Du wirst vielleicht sagen, ich sei ein Träumer, aber, ich bin nicht der einzige, und ich hoffe, eines Tages wirst auch du einer von uns sein.Und die ganze Welt wird eins sein.“

Die Welt braucht Träumer wie Davide, der das Erbe von John Lennon auf magische Weise fortsetzt. Die Welt braucht Klavierkunst, die überraschend kommt und geht, auf dass Frieden bleibt.