David Magee hat zum Beispiel das Drehbuch für den Kinofilm „Life Of Pi“ geschrieben Foto:  

Ohne starke Geschichte kein starker Film – in den USA dauert die Entwicklung von Filmdrehbüchern oft Jahre. Adaptionen von Romanen haben ihre ganz eigenen Gesetze. David Magee, Drehbuchautor von „Life Of Pi“ hat in Stuttgart erklärt, wie er dabei vorgeht.

Stuttgart - Mr. Magee, wie unterscheiden sich Roman und Drehbuch?
Romane haben bis zu 300 000 Wörter, ein Drehbuch 25 000. Mit der Hälfte dieser Worte wird das Publikum nie konfrontiert, denn sie beschreiben, was die Figuren auf der Leinwand tun. Ein Roman kann den Gedanken von Figuren folgen, ein Drehbuch muss diese in Handlungen übersetzen.
Was muss man beim Adaptieren beachten?
Man muss seinem Instinkt folgen und den Aspekt der Geschichte finden, der einen berührt. Das kann sich von Autor zu Autor sehr stark unterscheiden. Blickwinkel sind immer subjektiv. Als Drehbuchautor lenkt man immer die Aufmerksamkeit des Publikums auf Aspekte, die einem selbst am Herzen liegen. Und weil man immer kürzen muss, lässt man Dinge weg, die einen selbst nicht so berührt haben. Man wählt nach dem eigenen Geschmack aus, den eigenen Vorlieben.
Wo lauern Gefahren?
Man kann sich in Details verlieren. Man kann bei Biografien versuchen, alles über das Leben einer Person zu erzählen statt des interessantesten Abschnitts, und bei Geschichtsfilmen den ganzen Krieg statt der interessantesten Geschichte aus diesem Krieg.
Was tun, wenn Produzenten andere Aspekte der Geschichte wichtig finden als der Autor?
Produzenten achten darauf, was ein größeres Publikum ansprechen könnte. Aber das ist kein Weltuntergang, auch wenn viele Autoren das so empfinden: Wenn man selbst eine starke Idee hat, kann man andere Ideen darin aufnehmen, ohne die eigene Vorstellung zu korrumpieren. Man muss an dem festhalten, was einem wichtig ist, zugleich aber offen sein, eine Geschichte zu erzählen, die größer ist als nur das. Oft bringt auch der Regisseur etwas ein, das ihn an einem Buch besonders bewegt hat. Filmemachen ist Teamwork und nur sehr, sehr selten die Vision einer einzigen Person.
Wie behandeln Sie kritische Anmerkungen?
Die müssen mir nicht gefallen, und die Leute müssen auch gar nicht recht haben mit dem, was sie konkret kritisieren. Meine Erfahrung ist aber: Meistens ist das kein Angriff auf meine Idee als solche, sondern ein Hinweis darauf, dass tatsächlich etwas noch nicht ganz funktioniert.
Was muss ein Autor dem Regisseur und den Schauspielern liefern?
Was eine Figur wirklich möchte, erkennt man an dem, was sie tut, nicht unbedingt an dem, was sie sagt – besonders über sich selbst. Man sollte als Autor nicht schreiben: „Er ist beunruhigt und hat den Wunsch, sein Mädchen zurückzugewinnen.“ Das ist nicht spielbar. Schauspieler brauchen konkrete Handlungen, um etwas zum Ausdruck bringen zu können. Dabei können sie Emotionen einfügen, das ist nicht Aufgabe des Autors.
In „Life Of Pi“ ist ein Mann lange auf See mit Tieren, es gibt kaum Dialoge – wie groß war die Herausforderung?
Sehr groß, denn wir mussten Wege finden, dem Publikum zu vermitteln, was Pi durchmacht während der langen Perioden, in denen er nicht redet. Aber es war ein wunderbares Gefühl, als es dann gelungen ist.
Es bleibt unklar, ob der Tiger nun echt war oder nur eine Illusion – Absicht?
Wir haben gehofft, das Publikum würde hinterher darüber diskutieren. Ob der Tiger nun echt ist oder nur die animalische Seite von Pi: Er zwingt Pi dazu, wachsam zu sein, und das hält ihn am Leben.
„Finding Neverland“ handelt von dem Autor James Barrie, der Peter Pan geschrieben hat – und von den Parallelen zwischen dem Autor und seiner Figur . . .
Die sind mir schnell aufgegangen beim Lesen diverser Biografien. Er möchte nicht erwachsen werden und keinerlei Verantwortung übernehmen. Dann trifft er im Park eine Witwe mit vier kleinen Söhnen und freundet sich mit ihnen an. Sie inspirieren ihn zu „Peter Pan“. In der Mitte des Films wird die Mutter krank, und ihm wird klar, dass er eine Entscheidung treffen muss: Wird er ein verantwortungsvoller Erwachsener, oder läuft er wieder einmal davon?
Inwieweit ist diese Geschichte biografisch, inwieweit fiktional?
Der echte Barrie kannte den Vater der Kinder, bevor er starb, und die Mutter starb erst zehn Jahre später. Ich habe den Zeitrahmen komprimiert, aber die realen Fakten verwendet, um meine eigene „Peter Pan“-Geschichte zu schreiben. Über Barrie wusste kaum jemand etwas, und gleich zu Beginn des Films heißt es, dass er die Fantasie einsetzen wird. Dann akzeptiert das Publikum, dass in der Vorstellung des Protagonisten Leute umherfliegen und auch andere surreale Dinge geschehen.
Wie groß ist die Freiheit des Autors bei der Gestaltung von Stoffen?
Sie ist größer, wenn man sich in Fantasiewelten bewegt. Wenn man aber über einen realen Präsidentschaftswahlkampf schreibt, muss man sich an die Fakten halten. Man kann Fakten auswählen, anhand derer man die Geschichte erzählen möchte. Aber man ist wesentlich beschränkter durch die historische Bedeutung des Ereignisses, das vielen Zuschauern geläufig ist und zu dem sie womöglich starke Meinungen haben.
Puristische Tolkien-Anhänger haben Peter Jackson vorgeworfen, er habe im „Herrn der Ringe“ zu viele Figuren weggelassen – wie ernst muss man solche Kritik nehmen?
Wenn man einen Stoff zum Leben erweckt, bringt man seine eigenen Vorstellungen ein und hebt ihn dadurch auf eine neue Stufe. Ich finde, Peter Jackson war bemerkenswert akkurat. Er musste sich Freiheiten nehmen, sonst hätte er noch einen weiteren Film machen müssen, um Figuren unterzubringen, die viele gar nicht kennen. Wenn man das exakte Buch im Kino sehen möchte, muss man es unter eine Kamera halten und die Seiten ganz langsam umblättern. Das wäre der einzige Weg, solche Leute zufriedenzustellen – aber dann hätte man keinen Film mehr.