Gewerbebetriebe müssen hier Mitglied sein – das gefällt nicht allen Foto: dpa

Der Landesrechnungshof, unerbittlicher Kontrolleur von Behörden, soll auch die Industrie- und Handelskammern prüfen: Das fordern seit vier Jahren einige Unternehmer in einer Petition. Doch der Landtag lässt sie warten.

Stuttgart - Sie nennen sich Kammerjäger, Rebellen oder Kaktus: Überall in Deutschland gibt es kleine Gruppen von Unternehmern, die sich gegen ihre Mitgliedspflicht in einer Industrie- und Handelskammer (IHK) wehren. Juristisch können sie nicht mehr viel ausrichten, denn diese Pflicht ist höchstrichterlich bestätigt. Doch die Kritiker machen eine zweite Front auf: die Finanzen.

In einer Petition an Baden-Württembergs Landtag werfen mehrere Unternehmer den IHKs Ulm und Heilbronn-Franken „permanente und strukturelle Aufgabenüberschreitung“ vor. Sie beziehen sich dabei auf Vorgänge aus früheren Jahren: So gab die Heilbronner Kammer Geld aus für die Planung der A 6 und für eine Hochschule, in Ulm flossen Mittel für eine Bundesstraße. „All diese Ausgaben sind durch das IHK-Gesetz nicht gedeckt“, heißt es in der Eingabe. Auch die Rücklagen der Kammern seien zu hoch.

Diese weisen das zurück und argumentieren, sie stünden unter der Rechtsaufsicht des Wirtschaftsministeriums. Außerdem werden sie von einer überörtlichen Kontrolleinrichtung überwacht, der Rechnungsprüfungsstelle für die Industrie- und Handelskammern. Doch das besänftigt die Kritiker nicht. Diese Kontrolleure seien nicht unabhängig, sagen sie. Unabhängig sei nur der Landesrechnungshof. Und überall, wo er aktiv wurde, habe er „sachfremden Umgang“ mit Beiträgen festgestellt.

Seit fast vier Jahren ist diese Petition nun im Stuttgarter Landtag anhängig – noch immer ohne Bescheid. Nun platzt Kai Boeddinghaus, dem Geschäftsführer des Bundesverbands für freie Kammern (bffk), in dem sich die Rebellen organisieren, der Kragen. „Nach Jahren geduldigen Wartens brauchen wir endlich ein Ergebnis“, sagt er. Er wirft dem Landtag vor, die Petition zu blockieren, und weist die Verantwortung der SPD zu. Boeddinghaus: „Es hat den Anschein, als habe die SPD Angst vor den Prüfungsergebnissen und wolle das Thema aussitzen.“

Die Partei, die im Südwesten den Wirtschafts- und Finanzminister stellt, wolle sich offenbar nicht mit den IHKs anlegen, vermutet er: „Sonst könnte man ihr ja mangelnde Wirtschaftskompetenz vorwerfen.“ Dabei hätten die Prüfungsergebnisse in anderen Ländern gezeigt, dass es sich lohne, bei den IHKs genauer hinzuschauen.

In der Tat hat der Oberste Rechnungshof von Bayern bei der Prüfung der IHK Schwaben im Jahr 2011 „Reformbedarf“ in Augsburg angemahnt. Dabei ging es um die Gehälter der Mitarbeiter, die nach Auffassung der Kontrolleure zu hoch sind, aber auch um Zuwendungen für Aufgaben außerhalb der Kammern. In anderen Ländern, so etwa Niedersachsen, fiel das Urteil der Rechnungshöfe noch unvorteilhafter aus.

Im Prinzip könnte auch der Landesrechnungshof Baden-Württemberg die IHKs unter die Lupe nehmen. Die Landeshaushaltsordnung lasse eine Prüfung von öffentlich-rechtlichen Körperschaften grundsätzlich zu, sagt Otto Häußer von der Karlsruher Kontrollbehörde.

Allerdings seien Finanz- und Wirtschaftsministerium bereits 1973 übereingekommen, bei den IHKs eine Ausnahme zu machen. Häußer: „Hier sollen ausdrücklich keine Prüfungen stattfinden.“ Der Grund sei, dass die IHKs sich selbst finanzierten, also keine staatlichen Zuschüsse erhalten. Deshalb habe ihr Finanzgebaren auch keinen Einfluss auf den Landeshaushalt. Wolle der Landtag trotzdem, dass man hineinleuchtet, müsse er dazu den Auftrag erteilen.

Dass es dazu kommt, ist jedoch unwahrscheinlich. „Der Rechnungshof könnte zwar eine Empfehlung geben, aber entscheiden könnte ohnehin nur die IHK-Vollversammlung“, sagt Nik Sakellariou (SPD), der für die Petition zuständige Abgeordnete (Berichterstatter). Doch in diesem Gremium fänden die IHK-Kritiker ja keine Mehrheit. Deshalb versuchten sie es über den Landtag.

Sakellariou: „Ich sehe ja, dass sich die IHK an der Finanzierung von Hochschulen und Straßen beteiligt, darüber kann man streiten, aber das muss in der Vollversammlung geschehen.“ Außerdem lasse es das Gesetz zu, dass die IHKs Einrichtungen finanzieren, die der Förderung der gewerblichen Wirtschaft dienen.

Ohnehin hält Sakellariou das Anliegen der Rebellen für weit weniger wichtig als viele andere Petitionen: „Hier geht es nicht um Menschenrechte, auch nicht um Bürger, die Hilfe gegen Behörden brauchen.“ Deshalb habe der Ausschuss in den vergangenen Jahren stets andere, wichtigere Fälle vorgezogen – zumal die Eingabe aufwendig abgestimmt werden müsse. Dennoch wollen die Abgeordneten sich nun „zeitnah“ damit befassen, wie die Ausschussvorsitzende Beate Böhlen ankündigt. In zwei, drei Monaten werde man die Sache entscheiden.

Doch die Kritiker befürchten Kanzleitrost. Die Stuttgarter „Kaktus-Initiative“, eine Gruppe der Rebellen, hat deshalb eine außerordentliche Vollversammlung der IHK Region Stuttgart für den 18. Februar durchgesetzt. Auf der Tagesordnung steht unter anderem der Wunsch nach einer Prüfung durch den Landesrechnungshof.