Weshalb der Mensch gerade bei bitteren Substanzen so sensibel ist, erklären Wissenschaftler damit, dass viele Bitterstoffe toxisch sind. Die entsprechenden Rezeptoren warnen einen also vor Giften – etwa Strychnin oder Bittermandel. Foto: www.deutscheweine.de

Wem Zartbitterschokolade und trockener Wein einfach nur widerlich schmecken und die Tasse Tee nur mit Zucker getrunken werden kann, der ist ein so genannter Super-Taster. Kulinarisch ist dies sicherlich eine Einschränkung, doch die Betroffenen können sich trösten: Sie werden seltener Schnupfen haben als andere.

Pennsylvania - Zartbitterschokolade ist tabu, ebenso Campari. Und wenn es unbedingt Kaffee sein muss, dann bitte nur mit Milch und Zucker. Alles andere wäre nur: bitter! Kulinarisch ist dies sicherlich eine Einschränkung, doch die Betroffenen können sich trösten: Sie werden seltener Schnupfen haben als andere.

Zwei US-Forscher, Molekularbiologe Robert Lee und HNO-Mediziner Noam Cohen von der University of Pennsylvania, haben in der Zeitschrift „Spektrum für Wissenschaft“ die Daten für den Zusammenhang von Bittergeschmack und Immunsystem zusammengetragen. Demnach müssen sich die Bitter-Sensiblchen keine sonderlichen Sorgen um ihre Atemwege machen. Schnupfen, Husten, Heiserkeit – all das kommt bei ihnen ausgesprochen selten vor. Und sie müssen auch weniger zum Arzt, um eine Rhinosinusitis, eine Entzündung ihrer Nasennebenhöhlen behandeln zu lassen.

Chronische Rhinosinusitis-Patienten gehören häufig zu den Nicht-Schmeckern

Lee und Cohen ermittelten, dass Super-Taster zwar auch mitunter an den Atemwegen erkranken, „doch viel seltener Infektionen durch sogenannte gramnegative Bakterien erleiden“. Zu diesem dünnwandigen Mikroben-Typ gehören beispielsweise die berüchtigten Pseudomonaden, die immer wieder durch ihre Resistenz gegen Antibiotika auffallen.

Wissenschaftler der Universität Montreal ermittelten zudem in umgekehrter Richtung: Chronische Rhinosinusitis-Patienten gehören demnach überdurchschnittlich häufig zu den Nicht-Schmeckern – also zu denen, die weitgehend immun gegen kräftige Bitternoten sind. Wer sich also beklagt, dass er wegen seiner verstopften Nase kaum noch etwas schmeckt, sollte bedenken: Er ist vermutlich auch mit freier Nase nicht gerade ein Feinschmecker.

Rezeptoren für Bitterstoffe befinden sich auch in anderen Organen

Bleibt die Frage, warum die Empfindlichkeit für Bitteres einen so großen Einfluss auf die Gesundheit der Atemwege hat. Forscher beantworten sie damit, dass die entsprechenden Rezeptoren nicht nur auf der Zunge vorkommen, sondern auch in anderen Organen – wie etwa Herz, Darm, Harnblase und eben Nase, Nasennebenhöhlen und Bronchien. „Sie sind dort Teil unseres angeborenen Immunsystems“, erklärt Lee.

Im Falle eines Bakterienkontakts werden also zwei Verteidigungsmechanismen ausgelöst: Erstens setzen die Rezeptoren die Flimmerhärchen in den Atemwegen in Bewegung, so dass ein Großteil der Keime abgehustet oder abgeschnieft wird. Und zweitens regen sie die Ausschüttung antibakterieller Substanzen an, wie etwa Stickstoffmonoxid, das bekanntermaßen auch die Herzkranzgefäße entspannt.

Bittere Heilpflanzen können vor Infektionen schützen

Es gibt zwar noch andere Rezeptoren, die ähnliches in die Wege leiten können. Doch die Bittervarianten sind schneller, bis zu ihrer Antwort vergehen nur wenige Minuten oder Sekunden. „Sie scheinen besonders in den Frühphasen einer Infektion von Bedeutung zu sein“, erklärt Lee. Und erst wenn ihre Reaktion sich als nicht ausreichend erwiesen, „treten andere Immunrezeptoren auf den Plan, die trägere, aber vielleicht wirksamere Abwehrreaktionen auslösen.“

Die Zusammenhänge zwischen den Bitterrezeptoren – in der Harnblase sorgen sie dafür, dass schädliche Keime mit dem Urin ausgespült werden – und dem Immunsystem eröffnen Perspektiven für die therapeutische, aber auch präventive Medizin. So sollte es möglich sein, Infektionen bereits im Anfangsstadium zu ersticken, indem man gezielt die Rezeptoren und ihre Immunreaktionen aktiviert. Beispielsweise durch bittere Heilpflanzen und Gewürze wie Löwenzahn, Wermut, Liebstöckel, Hopfen oder Enzian.

Kindern lieber keine zu süße Antibiotika-Säfte reichen

Ärzte verordnen Kindern oft Antibiotikasäfte, die intensiv süß schmecken, um dadurch die Kooperation der kleinen Patienten zu verbessern. Vor dem neuen Bittersensorik-Wissen sollte auch das überdacht werden. Denn vermutlich hätten die Mittel eine größere Durschlagkraft, wenn man in Kauf nimmt, dass Kinder bei ihrer Einnahme vorübergehend den Mund verziehen. Hinzu kommt, dass gerade intensive Süßreize die Immunantwort hemmen. Der Grund: Bakterien verstoffwechseln Zucker, und wenn sie zurückgedrängt werden, können sie das nicht mehr. Weswegen die Süßrezeptoren auf der Zunge und ihre Wahrnehmungszentren im Gehirn einen Zuckeranstieg als Hinweis darauf interpretieren, dass die bakterielle Belastung zurückgegangen ist – und daraufhin das Immunsystem zurückfahren. Was nicht nur ein Plädoyer gegen bitterfreie Antibiotika, sondern insgesamt gegen intensiv süße Speisen ist.

Lee und Cohen beschäftigten sich schon mit den Methoden der sogenannten Bitterstoff-Prävention.  Ihr   Ziel:  Den Geschmackssinn oder Bestand an Bitterstoffrezeptoren zu erfassen, um aufbauend aus dieser Analyse ein Anfälligkeitsprofil des Patienten für Infektionen zu erstellen. Es böte allerdings auch Raum für Missbrauch. Man stelle sich nur vor, dass Bewerber künftig einen Bittergeschmacks-Test durchlaufen müssten, damit man Rückschlüsse auf ihre Krankheitsausfälle ziehen kann.

Wie wir schmecken

So setzt sich das Geschmackserlebnis zusammen

Einen überlebenswichtigen Beitrag zu der Wahrnehmung unserer Umwelt leistet der Geschmackssinn: Sobald eine Speise in den Mund gelangt, aktivieren winzige chemische Bestandteile des Nahrungsmittels – etwa Zucker, Eiweiße, Säuren oder Minerale – Sinneszellen auf der Zunge.

Zwar können diese Sinneszellen nur fünf Geschmacksrichtungen erkennen – süß, sauer, salzig, bitter und umani (herzhaft) –, doch reicht diese grobe Unterteilung oftmals aus, damit der Mensch Essbares von Verdorbenem unterscheiden kann.

Viele toxische Substanzen, darunter Arsen oder Zyankali, schmecken bitter. Energiereiche Speisen wie Honig, Obst oder Fleisch sind zuckrig süß oder eben deftig-herzhaft. Unreife Früchte oder verfaulte Lebensmittel schmecken oft sauer. Mineralien wiederum, die man für den Stoffwechsel braucht, sind oft salzig.

Das eigentliche Geschmackserlebnis beruht allerdings auf einer Kombination sämtlicher Sinne – die Nase, das Gefühl und der Anblick der Speise.