Waltraud Glaser (links) und Werner Köhn mit Mitarbeiterin Anna Bacic im Traditionscafé KönigX im Bohnenviertel Foto: Lg/Zweygarth

Wie schafft es ein Café, 30 Jahre zu überleben? Manchmal so, dass man eben keinen verrückten Trend mitmacht, wie Gastronomin Waltraud Glaser weiß. Das Leben ist im Café KönigX aber nicht immer einfach.

Stuttgart - Stuttgart nicht New York nicht London nicht Paris“ steht da auf dem nachtblauen Schild mit goldener Schrift. Kaum ein Stuttgarter, der das KönigX im Bohnenviertel nicht kennt. Kaum einer, der hier noch nie ein Stück Birne-Sahne-Torte gegessen hat. Kaffee trinken, Zeitung lesen, Ruhe haben. Darum geht es hier. Mehr nicht. Es gibt keine Iced Frappucinos, keine Bagels mit Avocado-Chia-Samen-Mus. Es ist ein kleines Wunder, dass es das Café nach 30 Jahren immer noch gibt. In den vergangenen Jahren haben viele ähnliche Lokalitäten geschlossen: das Heller, das Soho und das Stella etwa.

1984 haben sie den Mietvertrag unterschrieben

Das Stella, das sie 1984 zu fünft eröffneten, legte den Grundstein für das heutige KönigX. Dabei waren Liane Schmid, Peter Stellwag, Rainer Berger, Waltraud Glaser und Werner Köhn. „Wir wollten etwas machen, das es ewig gibt“, sagt Werner Köhn (72), ehemaliger Dekorateur und Kinoplakatmaler, an einem der runden Bistrotische auf dem Bordstein vor dem KönigX. Vor 30 Jahren brachten sie Cappuccino nach Stuttgart, wo sonst Filterkaffee im Kännchen mit Kondensmilch serviert wurde. 1984 haben sie den Mietvertrag unterschrieben, lange saniert und umgebaut, dann 1986 eröffnet. So erinnert sich Waltraud Glaser (67), eine elegante Frau mit adretter Kurzhaarfrisur. Der Anfang war nicht einfach. „Das Viertel war eine Baustelle. Es kam kaum Kundschaft“, so Glaser. Sie konnten ausprobieren, machen und haben bald auf Bio-Rohstoffe umgestellt.

Sie erinnert sich gern an vergangene Zeiten: an das alte Café im Königsbau, das Café Sommer, das ihr Lieblingscafé war, und das Café Schapmann, in dem sie mit 17 Jahren als Bedienung zu jobben begonnen hat. „Das war ein Traum von Kaffeehaus mit einer Einrichtung von der Jahrhundertwende, Stuck an der Decke“, schwärmt Glaser von der Einrichtung.

Ihre Liebe zu Kaffeehäusern begann früh. Schuld war ihre Großmutter, die sie mitnahm nach Baden-Baden oder Freudenstadt, in schöne Hotels mit Cafés. Wichtig war, dass das Mädchen und die Oma immer top angezogen waren – von der Oberbekleidung bis zu den Schuhen. Später fuhr sie nach Wien, Florenz, Venedig, studierte Malerei in Nürtingen. „Auch wenn mein Vater der Meinung war, dass Mädle halt heiraten“, so Glaser.

Es kam anders. Glasers Biografie ist eine bewegte: Mit 17 Jahren ist sie von zu Hause weg, hat sich ein möbliertes Zimmer in Stuttgart genommen. Sie machte eine Lehre als technische Zeichnerin, eine Ausbildung als Diplom-Chefsekretärin folgte. Sie reiste nach Südamerika. Zurück in Stuttgart arbeitete sie in Architekturbüros und in Verlagen. Vor allem aber besuchte sie Ausstellungen, war im Theater. Es gab Galerien, aber nicht viele Lokale. „Es gab die Nachtbars bis 3 Uhr. Im Bahnhof gab es die Pilsbar, die die ganze Nacht offen hatte“, so Glaser. Auf dem Heimweg ging es beim Bäcker Schmälzle vorbei, und man kaufte sich ein Schinkenhörnchen zum Frühstück.

Das KönigX hieß zu Beginn Königsblau

In den 80er Jahren war die Stuttgarter Gastronomielandschaft eine Ödnis mit Kneipen im Brauereidesign und wenigen Cafés. So kam es, dass eine Kooperative von acht Leuten – ohne gastronomische und kaufmännische Erfahrung, aber mit Leidenschaft und Idealismus – das Stella eröffnet hat. „Dann standen 50 Leute auf der Straße, und es kam die Polizei“, erinnert sich Köhn. Bei einem der ersten Anträge für Außenbewirtung war der Kommentar seitens der Stadt: „Wir sind doch nicht in Rimini.“

Dann kam das KönigX, das damals noch Königsblau hieß. Verwechslungen mit dem Königsbau führten zur Namensänderung mit dem X daran. Bis 2005 gab es das Café an der Esslinger Straße, dann zog es in die Wagnerstraße 26, wo es heute noch ist. „Das war der Moment, an dem ich mich verkleinern konnte“, sagt Glaser, die das KönigX seit 25 Jahren alleine verantwortet. Werner Köhn ist heute zwar nicht mehr Gesellschafter, aber als Freund und „Mädchen für alles“ geblieben.

Wie so vieles hier. Und das ist vielleicht mit ein Grund, warum es das KönigX noch gibt. Es braucht Durchhaltevermögen, Qualität und wahrscheinlich auch ein Quäntchen Glück. „Kurzfristige Zeitgeistdinge haben wir nie mitgemacht“, sagt Köhn. Neue Trends wie Cupcakes, Macarons, Smoothies oder Geschmacksrichtungen wie Chili-Latte konnte man hier nicht bestellen. Es ist aber nicht einfach. „Das Viertel stirbt“, sagt Glaser. „Es kommt immer weniger Kundschaft.“ Die Gründe sind vielfältig: Glaser führt beispielsweise die Stadtbahnunterbrechung und das neue Parkmanagement an. Niemand kommt, um ein gutes Brot zu kaufen, weil es die Bio-Ware im Supermarkt gibt. Die Gäste schätzen die Kuchen und die Atmosphäre. Glaser möchte nichts schönreden: „Das KönigX war noch nie ein Projekt, mit dem man reich geworden wäre.“ Glücklich ist sie dennoch. „Ich kann mich verwirklichen“, sagt sie.

Im großen KönigX hatte sie 35 Mitarbeiter – heute hat sie noch eine, und zwei Aushilfen am Wochenende. Früher stand sie um 23 Uhr auf, um Brezeln und Croissants zu backen. Seit zwei Jahren hat sie umgestellt, sie kauft diese seitdem beim Bio-Bäcker ein. „Es rechnet sich nicht für den kleinen Laden“, sagt Glaser. Die Kuchen und Torten backt sie noch selbst. Eine Schankerlaubnis braucht sie noch. Dann könnte sie ihren kleinen Laden auch abends öffnen. „Wenn man hier auf einen Aperitif wie in Italien einkehren könnte, das wäre was“, sagt Glaser. Sie hat noch viel vor.