Vormittags Zirkusluft schnuppern: Das haben die Waldheimkinder voller Wonne getan. Foto: Becker

Wenn jede Stunde eine Geschichte erzählt, hat der Tag 24 Geschichten. Eben diese erzählen wir in einer Serie. Von 10 bis 11 Uhr besuchen wir das Waldheim in Degerloch, das sich an jenem Vormittag in eine Jahrmarkt-Welt verwandelt.

Degerloch - Es ist 10 Uhr in Degerloch, die Sonne lächelt vom Himmel, und im Kern des Stadtbezirks sind nur wenige Menschen unterwegs. Es sind Sommerferien; viele sind im Urlaub, und der neue Tag kommt schleppend in Schwung.

Doch wer in die Nähe des Waldheims Degerloch kommt, taucht in eine ganz andere Welt ein. Schon von Weitem ist Jahrmarkt-Musik zu hören, und das Gelände ist voller Leben. Mehr als 400 Kinder toben und spielen dort gemeinsam. Seit 8.30 Uhr sind sie da und mittlerweile auch voller Energie. Sie nehmen am Ferienprogramm des Waldheims teil. Das beginnt mit einem gemeinsamen Frühstück. Danach werden die Kinder zum Spielen in Altersgruppen eingeteilt.

Jedes Kind im Alter von sechs bis 14 Jahren aus den benachbarten Stadtbezirken darf beim Ferienwaldheim mitmachen. „Freunde melden sich häufig gemeinsam an, aber die Kinder lernen auch schnell neue Bekannte kennen“, sagt Christian Link. Er ist einer der rund 70 Betreuer. Der 35-Jährige nimmt sich seit 18 Jahren jeden Sommer zwei Wochen Urlaub, um ehrenamtlich bei der Freizeit mitzuhelfen. „Meine Arbeitskollegen können nicht verstehen, dass ich dafür meinen Jahresurlaub opfere“, sagt er und lacht. Doch für ihn ist das Waldheim eine Sucht.

Christian Link hat sich an diesem Jahrmarkt-Tag in einen Clown verwandelt. Bunte Girlanden hängen an jeder Ecke. Die Kinder stehen beim Dosenwerfen an oder üben ihr Geschick beim Eierlauf. „Erst mal austoben, so fängt der Morgen gut an“, sagt Christian Link.

Er selbst war als Kind häufig bei der Ferienfreizeit im Waldheim in Vaihingen. „Und aus Freizeitkindern werden Mitarbeiter“, sagt er. Rund zwei Wochen lang geht eine Freizeit in den Sommerferien, sie kostet regulär 88 Euro. Die Kinder werden morgens mit Sonderbussen abgeholt und abends gegen 18 Uhr wieder heimgefahren.

In den Sommerferien ist die Kinderbetreuung für arbeitende Eltern ein Problem. Haben sie doch meist weniger Urlaubstage als ihre Kinder Ferien. Das Waldheim bietet ihnen eine Lösung. „Die Eltern wissen, dass ihre Kinder hier gut aufgehoben sind und Spaß haben, und dieses Angebot nutzen viele“, erklärt Jürgen Möck, Diakon und Leiter des Ferienwaldheims.

Und die Kinder sind voll dabei. „Morgenmuffel gibt es bei uns nicht“, sagt Christian Link. Die Kinder haben sich sehr auf den Jahrmarkt-Tag gefreut. Als Stargast bringt der brasilianische Zirkusartist Lino da Silva dem Nachwuchs Kunststücke bei. Er kann auf seinen Händen laufen und Salti schlagen. Das wollen natürlich viele gleich nachmachen. Manche schaffen ein Kunststück auf Anhieb, andere fallen auf die Nase. Doch jeder darf mitmachen – und jeder wie er kann.

„Unser Waldheim lebt von diesen ehrenamtlichen Gästen, von Spenden und von der großen Unterstützung der Stadtteile, die alle hinter uns stehen“, sagt Christian Link. „Die Kinder machen hier Erfahrungen in einer großen Gruppe, die sie zu Hause nie erleben würden“, sagt Möck. Er ist als Zirkusdirektor verkleidet, und um ihn drängen sich besonders viele Nachwuchsartisten. Sie haben Fragen oder wollen ihm ihr neuestes Kunststück zeigen. Aber Jürgen Möck kann sich nicht um alle Kinder gleichzeitig kümmern. „Ab und zu muss man sich in so einer Gruppe eben mal unterordnen, und auch Streit gehört dazu“, sagt er. Nur so wachsen die Waldheimkinder zu solidarischen und eigenständigen Menschen heran.

Um 11 Uhr ziehen ein paar Wolken auf, und es riecht nach Regen. Falls das Wetter umschlägt, hat jede Altersgruppe einen eigenen Raum drinnen. „Dann wird eben gebastelt statt balanciert“, sagt Christian Link. Bis die ersten Regentropfen fallen, toben sich die Kinder draußen aus.

In der Cafeteria des Waldheims wird derweil bereits das Essen zubereitet, doch die Kinder denken noch nicht an die Mittagspause. Sie sind fasziniert von ihrer Jahrmarkt-Welt. „Wenn kein Kind rumsitzt ist das ein gutes Zeichen“, sagt Jürgen Möck. „Dann gefällt es allen.“

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