Im Dschungel geht es wild zu: Mogli (Magdalena Flade, rechts) kämpft mit Shir Khan (Dimetrio-Giovanni Rupp) Foto: Martin Sigmund

Das Landestheater Tübingen verwandelt „Das Dschungelbuch“ in ein tierisches Spektakel der Körper. Regisseur Michael Miensopust hat Rud­yard Kiplings Kinderbuch-Klassiker entstaubt und eine neue, freie Bühnenfassung daraus entwickelt. Mit dem Familienstück begann Thorsten Weckherlins Intendanz in Tübingen.

Das Landestheater Tübingen verwandelt „Das Dschungelbuch“ in ein tierisches Spektakel der Körper. Regisseur Michael Miensopust hat Rudyard Kiplings Kinderbuch-Klassiker entstaubt und eine neue, freie Bühnenfassung daraus entwickelt. Mit dem Familienstück begann Thorsten Weckherlins Intendanz in Tübingen.

Tübingen - Die Entscheidung dürfte dem Regisseur nicht leichtgefallen sein. Trotzdem hat Michael Miensopust es gewagt und mit Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“ einen Kinderbuch-Klassiker aus dem Schrank auf die Bühne geholt. Am Freitag feierte seine Neuinterpretation „Moglis Dschungel“ am Landestheater Tübingen (LTT) Premiere. Das Stück für Kinder ab acht Jahren bewegt sich erfrischend weit weg vom berühmten Disney-Trickfilm aus dem Jahr 1967. Miensopust ging zurück zu Kiplings 120 Jahre alter Buchvorlage, entstaubte sie und entwickelte eine neue, freie Bühnenfassung daraus.

Die Hauptfigur Mogli, gespielt von Magdalena Flade, meistert die Gefahren des Dschungels nur mit Hilfe ihrer Freunde Baghira und Balu. Und findet am Ende doch zurück zu den Menschen, womit sich Miensopust eine der wenigen Anleihen bei Disney erlaubt. Ansonsten gibt’s wenig Ähnlichkeiten zum Film; und das ist gut so. Bär Balu schlappt in rot-braunem Camouflage-Overall und Daunenjacke durch den angedeuteten Dschungel aus Plastikplanen, einen übergroßen Kopfhörer schief auf dem zotteligen Kopf: „Probier’s mal mit . . . hinlegen“, seufzt er und fläzt sich auf den Boden.

Panther Baghira stellt kostümmäßig das Gegenteil dar: Auf leisen Pfoten, im perfekt sitzenden Smoking und mit Lackschuhen erteilt er seinem Schützling Mogli Lektionen in Dschungelkunde. Die Menschwerdung der Tierfiguren gelingt dabei geradezu mustergültig. Auch und vor allem der Schakal Tabaki, der Tiger Shir Khan, die Schlange Kaa oder der Affenkönig tippeln, schleichen, tänzeln und hangeln sich tierisch gut durch die zwei Stunden. Dankenswerterweise verzichtet Bühnen- und Kostümbildnerin Cornelia Brey auf Tierkostüme.

Einziger Wermutstropfen: die Figurenzeichnung. Bei all den perfekt abgezirkelten Tierchoreografien bleiben die Charaktere ein wenig oberflächlich, verlieren ihre Konturen. Schade, dass Miensopust die Chance vergibt, dem Stück dadurch noch ein wenig mehr Tiefe zu verleihen. Vielmehr gerät „Moglis Dschungel“ zum Spektakel der Körper. Die aber deuten ihre animalischen Vorbilder so gekonnt an, dass das Zuschauen eine wahre Wonne ist. Allein wie sich Linda Lienhard als Kaa durch Textzeilen wie diese schlängelt, ist die Reise nach Tübingen wert: „Heute ist nämlich Häutung, und ich möchte ungestört aus meiner Haut fahren.“

Die meisten Lacher ernten indes die Affen. Mit baumelnden Armen und bis unter die Achseln hochgezogenen kurzen Hosen gelingt ihnen ein saukomischer Tanz. Spätestens damit ist klar, dass das Stück zu einem gut Teil von der Musik lebt – wie auch der Disney-Film. Dessen Soundtrack gilt unter Jazzkennern als Geheimtipp. Im LTT unterlegen die beiden Bühnenmusiker Christian Ther und Christian Dähn „Moglis Dschungel“ gefühlvoll mit einem perkussiven Klangteppich. Gefühlvoll deshalb, da die Musik mit dem Geschehen auf der Bühne interagiert: Paukenschlag trifft Pfotentritt.

Der neue LTT-Intendant Thorsten Weckherlin hat seine erste Spielzeit „ganz bewusst“ mit einem Kinderstück eröffnet. „Das junge LTT feiert dieses Jahr 30-jähriges Bestehen – deshalb“, verrät er kurz vor der Vorstellung. Weckherlin wechselte im Sommer vom nordrhein-westfälischen Landestheater in Dinslaken nach Tübingen.

Weitere Vorstellungen am 4., 17. und 30. Oktober. Karten unter 0 70 71 / 9 31 31 49.