Foto: Kraufmann

Der Stand der ILGTA war auf der ITB so ungewöhnlich wie eine Blase nach einer Wanderung.

Wie auf jeder Messe ist auch auf der ITB, der weltgrößten Reisemesse, der Greifer unterwegs. Der Greifer ist gewöhnlich ein älterer, nicht sehr gepflegter Herr. Wie hypnotisiert grapscht er alles, was er bekommen kann, jeden Katalog, jede Tüte, jedes Spielzeug, das auf den Theken ausliegt. An jedem Stand stopft er in den Trolley, was geht. Mit einer Ausnahme: In der Halle 2.1 fährt der Greifer am Stand der ILGTA seinen Arm aus, schnappt sich den Katalog mit dem entblößten Adonis auf dem Cover, blättert kurz und legt ihn kopfschüttelnd zurück. Dann schaut er hoch, erkennt an den Regenbogenfarben der Standdekoration, wo er sich befindet – und sucht laut schimpfend das Weite.

Der Greifer ist wohl einer der letzten, der sich wundert, wenn er mit dem Thema "Schwul-lesbisches Reisen" konfrontiert wird. Zum Glück. Denn der diesjährige Stand der ILGTA, dem internationalen Verband für homosexuelle Reisen, war auf der diesjährigen ITB so ungewöhnlich wie eine Blase nach einem laufintensiven Messetag. Das lag aber am Umfeld. Schließlich hatte man erstmals auf der ITB nicht nur einen kleinen Verlegenheits-Gay-Pavillon eingerichtet, sondern dem schwul-lesbischen Reisen einen offiziellen Platz unter dem Segmentnamen "Gay & Lesbian Travel" reserviert –inklusive Podiumsdiskussion und Workshop. Es war das Coming-out der ITB.

Diese Wertschätzung zeigt vor allem eines: Schwule und Lesben sind endgültig angekommen im Mainstream der Reisewelt. Das war vorherzusehen, spätestens seitdem im vergangenem Jahr Tui einen Spezialkatalog mit dem Titel "Gay & Travel: Weltweit unterwegs" aufgelegt hatte. Im Angebot stehen Reisen nach Gran Canaria, Ibiza, Mykonos und Florida, aber auch Städtetouren in Amsterdam, Paris oder Berlin.

Nach kurzer Zeit war die erste Auflage des 50-seitigen Heftes vergriffen. Der Reiseriese Tui lag also richtig. Zur Begründung sagte ein Tui-Sprecher, bei Schwulen handele es sich um eine hochinteressante Zielgruppe, die oft über ein gutes Einkommen verfüge. Tatsächlich hört man oft von Branchenkennern, schwule Paare seien meist Doppelverdiener, die keine Familie versorgen müssten. Außerdem seien sie stärker am Lifestyle orientiert und ausgesprochen reisefreudig.

Und jetzt auch noch der starke Auftritt auf der doch recht konservativen ITB. Diese Öffnung der Messeleitung und der Konzerne gegenüber dem schwulen Konsumenten erklärt aber eine simple Rechnung: Mit den klassischen Sonnen- und Strandpauschalreisen sind kaum mehr Renditen zu steigern. Die Krise macht zudem erfinderisch. Kultur- und Studienreisen, Wellnessaufenthalte und Kreuzfahrten sind plötzlich die Hoffnungsträger. Und damit auch die anspruchsvolle Klientel der Homosexuellen. Thomas Bömkes von Tomontour, einer Plattform mit dem Schwerpunkt Gay Tourismus, kann diese Hinwendung nur bestätigen: "In der Tat sehen wir momentan einen Trend, dass immer mehr Destinationen, Hotels und Reiseveranstalter konkrete Produkte auflegen." Anders gesagt: Schwules Reisen ist ein Wachstumsmarkt. Dass zunehmend heterosexuelle Paare bei ihrer Suche nach einem ruhigen Urlaubsplätzchen einem Reiseveranstalter mit dem Zusatz "gayfriendly" vertrauen, ist für Bömkes nicht nur ein Gerücht: "Kinderlose Hetero-Paare und schwule Paare haben in der Tat eine gemeinsame Schnittmenge."

Doch vielen geht die Nähe zum Mainstream zu weit. Manch einer befürchtet gar, die Tui und die anderen Platzhirsche würden letztlich die kleinen schwulenfreundlichen Veranstalter und Reisebüros mittelfristig vom Markt fegen. Alexander Zinn vom Berliner Lesben- und Schwulenverband kann aber mit diesem Pessimismus aus den eigenen Reihen wenig anfangen: "Wir wollen ja in der Mitte der Gesellschaft ankommen. Nur so können wir wirkliche Akzeptanz erreichen."

Kritischer sieht Zinn allerdings, dass die wahren Probleme der schwulen Reisenden immer noch dieselben sind. Denn Schwule müssen in vielen Ländern mit Diskriminierung rechnen: "In vielen muslimischen Staaten, aber auch in einigen Ländern in Osteuropa und Afrika ist es sehr schwierig", so Zinn. "Man kann da teilweise nur von Reisen abraten – zumindest, wenn man seine Homosexualität auf der Reise nicht verstecken möchte." Nicht einmal die rosa Idylle auf der ITB kann darüber hinwegtäuschen.