Die Medizinstudentin Giulia Enders achtet sehr auf ihr Bauchgefühl und erklärt, wie der Darm mitdenkt Foto: Gerald von Foris

Giulia Enders beschäftigt sich mit etwas, worüber andere nur ungern sprechen: mit der Verdauung und damit, welche Probleme sie bereiten kann – und das auf solch unterhaltsame Weise, dass ihr Buch „Darm mit Charme“ zum Bestseller wurde.

Giulia Enders beschäftigt sich mit etwas, worüber andere nur ungern sprechen: mit der Verdauung und damit, welche Probleme sie bereiten kann. Die Medizinstudentin aus Mannheim will in ihrem Buch „Darm mit Charme“ das oft stiefmütterlich behandelte Organ aus der Igitt-Ecke holen. Das Buch ist inzwischen zum Bestseller geworden und im Fernsehen begeistert die 24-Jährige alle mit ihren Tipps für den nächsten Gang zur Toilette.
Frau Enders, gibt wirklich jedes Böhnchen auch ein Tönchen?
Bohnen haben eine Hülle, die sehr ballaststoffreich ist. Wird diese von Darmbakterien aufgefuttert, entsteht dabei ein Gas – und das sucht sich seinen Weg durch den Darm nach außen. Und das kann eben auch ein Tönchen ergeben. Es kommt aber darauf an, was man für eine Darmflora hat: Denn die Entstehung der Töne richtet sich ein wenig danach, ob und wie viel von dieser Sorte Darmbakterien ein Mensch hat, die auch gerne Bohnen-Ballaststoffe essen.
Ein voller Bauch studiert nicht gern, warum?
Die meistgenannte Hypothese ist, dass nach dem Essen das Blut vermehrt in den Magen-Darm-Trakt gepumpt wird, um die Verdauung anzuregen. Das bedeutet aber auch, dass dem Gehirn nicht mehr so viel Blut zur Verfügung steht. Die Kapazitäten werden anders verteilt. Eine andere Hypothese ist, dass der Körper Signalstoffe aussendet, die einen in friedliche Stimmung versetzen – als Belohnung, dass man sich mal ernährt hat.
Welches Magen-Darm-Sprichwort können Sie noch beisteuern?
Achtet mehr auf euer Bauchgefühl, vielleicht? Das ist zwar kein richtiges Sprichwort, aber es soll verdeutlichen, dass der Darm ein Organ ist, das sich hauptsächlich darum kümmert, dass es uns gut geht. Eine feine Sache also. Aber wir ignorieren das zu oft: Wir gehen nicht aufs Klo, obwohl es im Bauch schon drückt. Wir schämen uns für das Magengrummeln, was doch nur bedeutet, dass der Dünndarm gerade mit Saubermachen beschäftigt ist. Stattdessen sollten wir mehr auf dieses Wesen im Bauch achten, ihm etwas Gutes zu essen geben und aufs Klo gehen – egal, wo man sich befindet. Dann fühlt man sich selbst auch wohler.
Sie sind seit Ihrem Buch „Darm mit Charme“ zur Imageberaterin des menschlichen Verdauungstrakts geworden. Wie kommt man auf diese Idee?
Es war der Effekt vom Bäh zum Wow. Je mehr ich mich mit dem Magen-Darm-System beschäftigt habe, umso mehr hat mich auch mein Körper verblüfft. Der erste Gedanke lautete: Mensch, da habe ich mich für ein Organ geschämt, das in Wirklichkeit so hilfreich ist und einen solch großen Einfluss auf mein Wohlbefinden hat. Mein zweiter Gedanke war: Das müssen außer mir noch mehr Leute wissen, damit nicht immer solch ein falscher Eindruck vom Darm entsteht.
Das ist für viele nicht gerade appetitlich. Wie macht man solche Gespräche tischfein?
Gerade das Essen ist doch oft ein sehr emotionales Thema. Die einen achten sehr genau auf ihre Ernährung, die anderen sind genervt, dass sie mittlerweile kaum ein Essen für Freunde zubereiten können, ohne vorher in der Apotheke einzukaufen. Wenn man aber die Vorgänge genau erklären kann, wie Unverträglichkeiten entstehen oder wie der Körper am besten Nährstoffe verwertet, dann erzeugt das auch mehr Verständnis.
Sie bezeichnen Ihren Darm als besten Freund. Wie pflegt man so eine Freundschaft?
Ich höre ganz anders auf meinen Bauch. So frage ich mich zwei, drei Stunden nach dem Essen, wie es mir geht. Denn das ist die Zeit, in der das meiste im Dünndarm angekommen ist und verdaut wird. Mit diesem Auf-meinen-Bauch-Hören habe ich herausgefunden, dass es mir besser geht, wenn ich nur wenig glutenhaltige Speisen esse und auch nur wenig Milchprodukte zu mir nehme. Kommt es dann dennoch vor, dass ich es beim Essen nicht so genau nehme und mittags vor lauter Hektik nur eine Portion Pommes gegessen habe, versuche ich mich dann abends dafür zu entschuldigen – indem ich dann extra Dinge koche, die meinem Bauch guttun, wie etwa Spargel.
Sie raten also zu mehr Experimenten?
Ich bin ein großer Fan davon. Zu Selbstexperimenten würde ich allerdings nur raten, wenn sie sinnvoll sind und keinen Schaden verursachen. So ein Beispiel sind die Nahrungsmittelunverträglichkeiten: Jeder kann – wenn er möchte – einfach mal zwei bis vier Wochen auf ein bestimmtes Nahrungsmittel wie beispielsweise Milch verzichten und dann schauen, ob sich was verändert. Zumindest in meinem Bekanntenkreis sind da erstaunliche Dinge passiert: Bei manchen, die auf Gluten verzichtet haben, verschwanden die Gelenkschmerzen oder sie hatten weniger Verdauungsprobleme. Meine Schwester hat das Experiment auch gemacht – aber überhaupt keine Veränderung gemerkt. Jeder Magen-Darm-Trakt reagiert eben anders auf Essen.
Ist eine gute Verdauung angeboren?
Ja und nein. Wie ein Mensch Nahrung verdaut, hängt zum Beispiel unter anderem von seiner Darmflora ab. Und die wiederum richtet sich auch nach der Beschaffenheit des Darms. Es gibt Darmwände, an denen sich die einen Bakteriengruppen gut festhalten können, andere wiederum nicht. Aber noch mehr Einfluss auf die Verdauung hat neuen Studien zufolge das Essen selbst. Nach dem, was wir essen, richtet sich auch die Variation des Mikrobenvolks in unserem Darm und welche Stoffe diese besonders gut verdauen. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass manche Krankheiten aufgrund einer veränderten Darmflora entstehen – wie etwa Übergewicht, Rheuma, Diabetes oder Depressionen.
Der Darm gilt – trotz Spiegelungen und Stuhluntersuchungen – selbst in der Wissenschaft noch als unbekanntes Terrain. Was war für Sie die spannendste Entdeckung?
Mich hat vor allem die Verbindung von Darm und Hirn sehr vom Hocker geworfen. Wir denken immer, dass sich unsere Wahrnehmung und unser Befinden nur im Kopf abspielt – und vergessen dabei, dass auch unser Darm stets unsere Hormone abcheckt, nach dem schaut, was wir gegessen haben und noch viele andere Gefühlsinformationen aus dem gesamten Körper empfängt. Die werden dann in einem Gesamtpaket an das Gehirn geschickt. Das bedeutet aber auch, dass nicht alles, was wir auf die Psyche schieben, auch tatsächlich vom Gehirn verursacht wird. Ein Darm, dem es nicht gut geht, verursacht dann eventuell die schlechte Laune – auch wenn wir gar nicht mitbekommen, dass er eigentlich krank ist. Das Zweite, das mir sehr zu denken gegeben hat, ist die Art, wie ein Verdauungstrakt sich selbst vor Krankheiten schützen kann: Nämlich nicht, indem wir jede Türklinke abputzen und den Boden wischen. Wichtiger ist es, die Bakterien zu fördern, die uns guttun – etwa mit präbiotischem Essen.
Sie bezeichnen sich gern als ehemaliges Sofamädchen, das lieber auf der Couch abhing und sich Serien angesehen hat. Erst als Sie den Darm für sich entdeckt haben, hat sich das geändert. Sind Sie ein anderer Mensch?
Es hat sich schon etwas verändert. So, wie ich meinem Darm Gutes tun kann, damit er von Schlechtem verschont bleibt, versuche ich dies auch auf andere Bereiche auszuweiten: Beispielsweise konzentriere ich mich nur noch auf Dinge, die ich wirklich haben will – sei es im Studium oder sonst im Leben. Schlechte Dinge können immer passieren, umso wichtiger ist es, dass man das Gute für sich fördert.
Das Buch „Darm mit Charme“ ist im Ullstein-Verlag erschienen und kostet 14,99 Euro