Steve Berman verfolgt hartnäckig seine Ziele und klagt gegen die Autokonzerne.US-Anwalt Steve Berman will in Stuttgart Daimler und Bosch besuchen. Foto: Guhlich

Der US-Anwalt Steve Berman klagt in den USA wegen der Abgasmanipulationen gegen Daimler und den Stuttgarter Zulieferer Bosch. Doch was treibt den Autoschreck aus Seattle an?

New York - Andere Väter erzählen beim Mittagessen vom Stau auf den Straßen, von einem anstrengenden Meeting oder von einem erfolgreichen Vertragsabschluss. Steve Berman erzählt von der Einigung mit einem amerikanischen Autogiganten: General Motors. „Gerade habe ich den Vergleich perfekt gemacht“, sagt er zu seinem 25-jährigen Sohn und beantwortet eilig einige Mails auf seinem Handy. „Jetzt spielen alle verrückt.“ Er schüttelt den Kopf und lacht. Bei dem Vergleich geht es nicht um Abgase, sondern um neue Klagen wegen eines alten Debakels: defekte Zündschlösser. „Glückwunsch“, sagt der Sohn. Für Berman ist heute ein guter Tag. Für den größten Autohersteller der USA wird dieser Tag eine Milliarde Dollar kosten. „Die sind vielleicht sauer“, sagt Berman.

Aber der Anwalt hat schon die nächste Klage gegen den Konzern laufen. Dieses Mal geht es um den Verdacht der Abgasmanipulation. In der gleichen Sache klagt er gegen Daimler und Fiat-Chrysler. In jeder Klage widmet er ein ausführliches Kapitel dem Stuttgarter Zulieferer Bosch, den er als das Herz des Abgasskandals bezeichnet.

Die zehn wichtigsten Fakten zum Abgasskandal sehen Sie im Video:

Die Sammelklagen sind für die Konzerne gefährlich

Die amerikanischen Sammelklagen sind für Konzerne gefährlich. Anders als bislang in Deutschland haben Kunden in den USA die Möglichkeit, ihre Klagen zu bündeln. Der einzelne Verbraucher muss seine Betroffenheit dabei nicht individuell belegen, sondern nur die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Geht der Fall aus Sicht der Verbraucher positiv aus, erhält jedes Gruppenmitglied Ansprüche gegen das beklagte Unternehmen. Dadurch soll dem Machtgefälle, das ansonsten zwischen einem Unternehmen und einem einzelnen Bürger bestünde, Rechnung getragen werden.

„Das ist Krieg“, sagt der deutsche Anwalt Andre Fiebig, der in Chicago auf der Seite von Unternehmen kämpft. „Die Anwälte dieser Sammelklagen haben einen enormen Anreiz, teure Vergleiche auszuhandeln, weil das für sie extrem lukrativ ist.“ Längst sprechen Kritiker von einer Klageindustrie. Aber: In seiner Rolle als Verbraucher hat sich selbst Fiebig schon achtmal an einer Sammelklage beteiligt. Wie teuer diese Klagen für die Konzerne ausgehen können, sieht man am jüngsten GM-Vergleich. Aber noch gefährlicher ist, dass Bermans Ermittlungen den amerikanischen Staat auf den Plan rufen.

Bermans Erfolg: der teuerste Vergleich in der Autoindustrie in der Geschichte

Berman und sein Sohn Jake haben sich an diesem schwülen Augusttag im Cut-Restaurant in New York zum Mittagessen verabredet. Es liegt zwischen dem One World Trade Center und der Wall Street. Betrieben wird es von Wolfgang Puck, einem der erfolgreichsten Köche der Welt. Aber Berman mag den Ort aus einem anderen Grund: Von hier aus ist er zu Fuß in sieben Minuten beim Gericht. Seine Kanzlei betreibt er in Seattle. Nur gelegentlich verhandelt er in New York. Jake und Steve Berman haben sich seit einem Monat nicht gesehen. Sie reden über vergangene Fälle.

Berman war der erste Anwalt, der in den USA eine Sammelklage gegen Volkswagen wegen der Abgasmanipulation eingereicht hat. Das war am 18. September 2015. Also nur wenige Stunden nachdem die US-Umweltbehörde EPA ihre VW-Testergebnisse veröffentlicht hat. Später war seine Kanzlei Hagens Berman Sobol Shapiro LLP eines von 22 Häusern, die den Vergleich mit VW ausgehandelt haben. Mit einem Volumen von rund 13 Milliarden Euro ist er als der teuerste Vergleich in der Autoindustrie in die Geschichte eingegangen.

Besessen von der Diesel-Thematik? Berman hat sich eine eigene Testmaschine gekauft

Inzwischen summieren sich die Kosten von VW für Vergleiche in den USA auf mehr als 22 Milliarden Euro. Nicht erst seit dem harten Vorgehen gegen Volkswagen geht in der deutschen Autoindustrie die Angst um vor der amerikanischen Justiz. Doch Berman lässt nicht locker. Ob er vom Diesel besessen sei, wird er manchmal gefragt. „Das nicht“, sagt er dann. „Aber einer muss es ja machen.“ Er hat angefangen, sich tiefer in die Thematik einzuarbeiten. „Irgendwann habe ich mir eine Testmaschine gekauft und habe begonnen, selbst Abgasprüfungen durchzuführen.“ Seitdem bezeichnet er sich als Ein-Mann-EPA. Der Anwalt investiert viel Geld: Rund 250 000 Euro hat allein die Maschine gekostet. Zudem hat er zwei Ingenieure eingestellt, die in Kalifornien Autos testen. „Die Ingenieure wiederum beschäftigen weitere Techniker.“

Berman ist ein verbindlicher Mensch. Wenn er eine Zusage macht, hält er sie ein. Er ist schlank und durchtrainiert. Er fährt Rad, so oft es geht. Sein Blick bleibt auch dann ernst, wenn er lächelt. Heute lächelt er oft. Denn heute ist Steve Berman gut gelaunt. Er ist zuversichtlich, dass auch seine anderen Klagen so ausgehen wie der jüngste GM-Vergleich.

Die Klage richtet sich auch gegen Bosch

Nachdem seine Tests Ergebnisse hervorgebracht haben, klagte er weiter. Zuerst hat er im Namen von Mercedes-Kunden vor dem Bezirksgericht in New Jersey den Stuttgarter Autobauer Daimler verklagt. Er wirft dem Konzern vor, die Stickoxid-Emissionen von Fahrzeugen mit Blue-Tec-Dieselmotoren mit einer Abschalteinrichtung zu manipulieren. Daimler weist die Vorwürfe zurück. „Wir werden uns dagegen mit sämtlichen juristischen Mitteln zur Wehr setzen“, sagt eine Sprecherin. Nach Bermans Klage hat auch die US-Umweltbehörde den Autobauer ins Visier genommen. Wenige Monate später folgte das US-Justizministerium (DoJ). Den Status ihrer Untersuchungen wollen weder EPA noch DoJ kommentieren.

Das Bezirksgericht in New Jersey hat Bermans erste Klage abgewiesen. Doch am 16. Dezember 2016 hat der Anwalt mit einer erweiterten Klageschrift nachgelegt. Einige Tage zuvor hatte er zudem Fiat-Chrysler verklagt. Die Klage richtet sich auch gegen den Technologiekonzern Bosch. Auch diese Aktion hat die US-Umweltbehörde hellhörig gemacht, und für Fiat-Chrysler ist das schlimmstmögliche Szenario eingetreten: Am 23. Mai 2017 hat das Justizministerium den Autokonzern im Auftrag des Umweltamts EPA wegen Verstößen gegen das Luftreinhaltegesetz vor dem Bezirksgericht in Michigan verklagt. Das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück. Ein Sprecher von Bosch sagt, der Konzern nehme die Klagen ernst, kooperiere mit den Behörden und äußere sich ansonsten nicht zu laufenden Verfahren.

Die Juristin sieht in den Nachrüstungen einen Vorteil für Daimler

Im Mai schließlich hat Berman vor dem Bezirksgericht in Michigan mit General Motors auch den ersten US-Hersteller wegen überhöhter Abgaswerte verklagt. „Sollte die US-Regierung gegen General Motors keine rechtlichen Schritte einleiten, muss sie sich die Frage gefallen lassen, ob sie nur gegen ausländische Autohersteller vorgeht“, sagt Berman. Er glaubt, dass die US-Regierung auch die Maßnahmen gegen Daimler verschärfen wird.

So zuversichtlich Berman ist, so skeptisch ist Deborah Hensler. Die Professorin für Jura lehrt an einer Eliteuniversität: der Stanford Law School. In den USA hat kaum jemand so viel zum Thema Sammelklagen und Streitschlichtung geforscht wie sie. „Oberflächlich betrachtet sieht es so aus, als wären die Fälle Mercedes und Volkswagen ähnlich gelagert“, sagt die Juristin. „Jedoch scheint es so, als wäre die Zeit in diesem Fall auf der Seite der Beschuldigten.“ Wenn Daimler nun Nachrüstungen anbietet, könnte der Ausgang des Verfahrens ein anderer sein, sagt die Professorin.

Der Anwalt reicht im Jahr 20 bis 30 Sammelklagen ein

In Europa will der Autobauer drei Millionen Diesel nachrüsten. Bei der Frage, warum es ein ähnliches Programm nicht für den amerikanischen Markt gibt, hält sich der Autobauer bedeckt. Die technischen und regulatorischen Anforderungen auf beiden Märkten seien unterschiedlich, sagt ein Sprecher. Man befinde sich aber in Gesprächen mit den Behörden.

Berman reicht pro Jahr 20 bis 30 Sammelklagen ein und schließt zwischen fünf und 20 Vergleiche. Was ihn antreibt? Dass er bestimmen kann, mit welchen Problemen sich die Gerichte befassen müssen. Und das Gefühl, den anderen einen Schritt voraus zu sein. „Beim Diesel bin ich führend“, sagt er. „Ich bin der Umweltbehörde und dem Justizministerium voraus.“ Für Sohn Jake ist er ein Vorbild. Jake studiert jetzt selbst Jura. „Ich mag den Ehrgeiz meines Vaters und dass er für die richtigen Dinge kämpft“, sagt er.

Als Nächstes will Berman seine Kontakte nach Deutschland intensivieren. „Dem Daimler-Chef habe ich schon einen Brief geschrieben“, sagt er. An den Namen Dieter Zetsche kann er sich aber gerade nicht mehr erinnern. „Weil er nicht geantwortet hat.“ Jetzt plant Berman eine Reise nach Stuttgart. „Daimler, Porsche, Bosch. Ich will mit allen sprechen“, sagt er. Unklar bleibt, ob alle Parteien den Wunsch nach diesem Austausch verspüren.