Das Gesicht der Autolobby ist Matthias Wissmann: Der 68-jährige Ludwigsburger ist seit zehn Jahren Präsident des Branchenverbandes VDA. Foto: dpa

Die Autobranche setzt gezielt darauf, Profis aus dem Politikbetrieb als Interessenvertreter anzuheuern. Deren Einfluss auf die Hygiene in den Konzernen ist aber offenbar begrenzt.

Brüssel - Dienstag abend in Brüssel: Der deutsche EU-Kommissar steht der internationalen Presse für eine Stunde Rede und Antwort. Eigentlich geht es um den EU-Haushalt, doch auch in Brüssel sind die Kartellvorwürfe gegen die deutschen Automobilhersteller das Gesprächsthema. Ein britischer Journalist fragt: „Glauben Sie, dass die deutsche Regierung bei der Regulierung zu viel Rücksicht auf die Auto-Industrie genommen hat?“ Die Reaktion von Günther Oettinger zeigt, dass die Frage ins Schwarze trifft. Zu allen anderen Themen gibt er Auskunft. Jetzt sagt er nur diesen einen Satz: „Für diese Frage sind andere Kommissare zuständig.“

Die Frage ist ihm zu heikel. Zu viel ist passiert, zu offensichtlich ist, dass die aktuelle Bundesregierung und alle Vorgängerregierungen Rücksicht auf die Hersteller genommen haben. Der Skandal mit der Schummelsoftware wurde aufgedeckt in den USA, der Aufklärungswille in Deutschland hält sich in Grenzen. Die Kommission drängt seit Jahren auf eine strengere Marktüberwachung. Deutschland steht aber im Rat auf der Bremse. Sicher, es ist ein Einzelfall, aber es war symptomatisch, als ein Brief des Chefs vom Kraftfahrtbundesamtes (KBA) an seine Beamten auftauchte, der mit der Losung endet: „Mit industriefreundlichen Grüßen“. Klar: 800 000 Jobs hängen hierzulande an der Produktion von Autos. Doch die Frage ist berechtigt: Hat die Politik den immer selbstherrlicher auftretenden Konzernchefs zu lange den Rücken gestärkt? War es auch angesichts des sich an vielen Fronten abzeichnenden Desasters ein Fehler, die Branche geschont zu haben?

Von Spoeri über Jäger zu Klaeden

Die Autobranche hat ihrerseits die Nähe der Politik gesucht. Sie hat nicht allein darauf vertraut, dass die Regierenden ein offenes Ohr haben. Die Hersteller haben gezielt in der Politik nach Persönlichkeiten gesucht, die sich als Fürsprecher eignen. Bei der Auswahl ihrer Chef-Lobbyisten setzen die Hersteller immer stärker darauf, Persönlichkeiten zu verpflichten, die innerhalb des politischen Apparates hohe Funktionen hatten. Ähnlich konsequent bei der Verpflichtung von intimen Kennern des Politikbetriebs geht nur eine andere Branche vor, mit der die Autobauer nichts zu tun haben wollen und deren Ruf noch mehr ruiniert ist: die Zigarettenhersteller. Die Konzerne setzen darauf: Wenn es darum geht, Einfluss zu nehmen, dann sind Handy-Nummern und über Jahre, teils Jahrzehnte gewachsene professionelle wie persönliche Beziehungen wichtig.

Daimler hat seinen aktuellen Cheflobbyisten kurz vor der letzten Bundestagswahl direkt im Kanzleramt abgeworben. Der Niedersachse Eckhart von Klaeden (CDU) saß im Regierungsapparat von Merkel an einer Schaltstelle. Der heute 51-Jährige war Staatsminister im Kanzleramt, zuständig für Bürokratieabbau. Als Klaeden nach knapp 20-jähriger Abgeordnetentätigkeit „die Seiten wechselte“ und Cheflobbyist bei Daimler wurde, war die öffentliche Empörung groß. Die Staatsanwaltschaft Berlin leitete sogar ein Verfahren wegen des Anfangsverdachts der Vorteilnahme ein, das aber 2015 eingestellt wurde. Klaedens Vorgänger sind ebenfalls gute Bekannte in der Berliner Politik: Klaeden übernahm von Martin Jäger (52), der früher Sprecher des heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier war und heute Staatssekretär im Innenministerium von Baden-Württemberg ist. Dessen Vorgänger als Chef für Regierungskontakte bei Daimler war der SPD-Mann Dieter Spöri (74), ehemals Vize-Ministerpräsident im Südwesten und Mitglied im SPD-Parteivorstand.

BMW setzt auf die CSU, Daimler auf die CDU und VW auf die SPD

BMW hat den Cheflobbyisten im Umfeld der CSU gesucht und gefunden: Maximilian Schöberl war in den 90er Jahren ein enger Mitarbeiter des damaligen Bundesfinanzministers und CSU-Chefs Theo Waigel. VW hat 2012 den ehemaligen Vize-Sprecher der Bundesregierung, Thomas Steg (57), verpflichtet. Steg war von 2002 bis 2009 Vize-Regierungssprecher. Steg, ein SPD-Mann, schaffte es, zuerst das Vertrauen von Gerhard Schröder zu genießen und später das von Angela Merkel.

BMW setzt auf die CSU, Daimler auf die CDU und VW auf die SPD.

Die Cheflobbyisten wirken in Berlin eher im Hintergrund. Das Gesicht der Autolobby ist Matthias Wissmann. Der 68-jährige Ludwigsburger ist seit zehn Jahren Präsident des Branchenverbandes VDA. Von ihm heißt es, dass er nur eine SMS senden muss, um Kontakt zu Angela Merkel zu bekommen. Er gehört sicher nicht zu den wenigen Vertrauten Merkels. Die Kanzlerin wahrt Distanz, das Verhältnis der beiden ist eher von professioneller Loyalität gekennzeichnet. Die beiden verbindet aber eine lange Geschichte in der Politik. Sie saßen beide als Minister im Kabinett Kohl. Und Wissmann war Schatzmeister, als die Union von der Spendenaffäre erschüttert wurde und Merkel damals als Generalsekretärin Helmut Kohl attackierte und vom Thron der Partei stieß. Das verbindet. Sie duzen sich. Wissmann würde es öffentlich immer bestreiten: Er hat aber in den letzten Jahren immer wieder für die Branche die Kohlen aus dem Feuer geholt. Er war beteiligt, als in der Finanzkrise die Abwrackprämie ausgelobt wurde. Er hat mit gefingert, als es darum ging, die CO‘-Grenzwerte zu verwässern, die Brüssel für 2025 plante und die deutschen Hersteller nicht würden einhalten können. Klar, in der jetzigen Phase des Jammers macht auch Wissmann keine gute Figur. Aus Sicht der Branche war er aber in der Vergangenheit sein hohes Gehalt und seine Privilegien wert, von denen man in Berlin hört.

Grenzenlose Selbstherrlichkeit

Bei den gravierenden Vorwürfen, die im Raum stehen, und den vielen Chef-Lobbyisten mit politischem Hintergrund drängt sich umgekehrt eine Frage auf: Haben diese hochbezahlten Leute, die aus der Politik kommen, überhaupt Einfluss auf das Innenleben der Konzerne? Sie kennen den Politikbetrieb aus dem Effeff, sie sind skandalgeschult. Aus Jahrzehnten Erfahrung wissen sie, dass am Ende jede Schweinerei heraus kommt. Bei ihnen hätten alle Alarmglocken schrillen müssen. Ob bei der Schummelsoftware oder dem Kartellverdacht: Derartige Skandale sind nur denkbar, wenn in den obersten Etagen der Konzerne die Selbstherrlichkeit grenzenlos ist und der naive Glaube groß, dass die Creme der deutschen Industrie schon irgendwie straffrei davonkommen werde.

Wissmann behauptet, nichts gewusst zu haben. Bei den Cheflobbyisten der Marken weiß man es nicht. Ein Insider: „Wenn sie nichts gewusst haben, wäre das ein Armutszeugnis.“ Es hieße, dass sie schlecht eingebunden sind und nicht wissen, was in ihren Häusern abläuft. Zwei Hersteller sollen ja eine Art Selbstanzeige wegen der Absprachen erstattet haben. In Berlin hört man, dass womöglich die Cheflobbyisten da mitgewirkt haben. Ein Beobachter: „Dann steht es jetzt 1:0 für Eckart von Klaeden.“ Den Daimler-Mann, der vorher im Kanzleramt gearbeitet hat. Daimler soll VW mit der Selbstanzeige zuvorgekommen sein und könnte wegen der Kronzeugenregelung auch bei einem entlarvten Kartell straffrei vom Platz gehen. www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.fahrverbote-in-stuttgart-das-sagen-die-politiker-zum-urteil.febcef13-cb1f-4431-b92b-985111a21451.html