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Mobbing im Internet setzt immer mehr Schülern zu. Es sind beileibe nicht nur Außenseiter, die unter diskriminierenden Web-Attacken zu leiden haben.

Stuttgart - Mobbing im Internet setzt immer mehr Schülern zu. Es sind beileibe nicht nur Außenseiter, die unter diskriminierenden Web-Attacken zu leiden haben. Wenn Gerüchte in Umlauf gebracht werden und Privates breitgetreten wird, sollten Eltern und Lehrer eingeschaltet werden.

Viele Opfer verbergen sich und schweigen. Aus Scham, Furcht, Verzweiflung. Allenfalls gegenüber der besten Freundin oder in Internetforen geben sie ihr Innerstes preis. Berichten über Verletzungen, Ängste, Wut und Verunsicherung.

Immer mehr Jugendliche werden Opfer von Cyber-Mobbing (auch Cyber-Bullying oder Cyber-Stalking). Getuschel auf dem Schulhof, Hänseln auf dem Nachhauseweg - das war einmal. Die Schüler von heute tragen ihren Zoff übers World Wide Web aus. In sozialen Netzwerken (SchülerVZ, Lokalisten.de, Kwick, Facebook, StudiVZ oder Knuddels), durch Internetvideos (Portale wie You Tube) oder per Handy (SMS) wird gemobbt, beleidigt, gedroht und genervt ohne Ende. Wer der Angreifer aus dem virtuellen Hinterhalt ist, bleibt meist im Dunkeln. Und selbst wenn er - etwa als Mitschüler - entlarvt wird, hat sein schikanöses Treiben in der Regel keine gravierenden Folgen.

"Meine Freundin ist tot, weil es ganz hinterhältige und gemeine Schmierfinken gibt, die im Internet Lügen verbreiten", schreibt "Katja" im Internetportal Mobbing.net.Forum. "Es wurden von ihr Fotos veröffentlicht mit Namen und Telefonnummer und dass sie eine Hure ist. Ihr Freund hat sie deswegen verlassen. Gestern wurde sie tot in ihrer Badewanne gefunden."

Und "Archie" schreibt dort: "Ich habe gerade entdeckt, dass bei Google und Yahoo ein Eintrag unter meinem Namen steht, der abscheulich ist! Es werden mein Name und mein Vorname genannt! Was kann ich tun?"

Auch Holly Horgan war verzweifelt. Die britische Schülerin fühlte sich in Online-Netzwerken wie Facebook und My Space gemobbt. Vergangene Woche sprang sie nahe der Stadt Gloucester von einer Brücke. Die 15-Jährige ist bereits der dritte Teenager in Großbritannien, der sich wegen virtuell-verbaler Gewalt das Leben genommen hat. Ihre Eltern klagen, ihre Tochter sei nicht mit dem Druck und dem Mobbing zurechtgekommen. Freunde erklärten, mehrere Mädchen hätten Holly auf ihrer Facebook-Seite beschimpft. Sie sei in der Schule gemobbt worden, habe kein Selbstvertrauen gehabt.

Die neueste Studie des Zentrums für empirische pädagogische Studien (Zepf) der Universität Koblenz-Landau zeigt, dass Cyber-Mobbing längst auch zum Alltag in deutschen Schulen gehört. 40,5 Prozent der 2000 befragten Schüler (1. bis 13. Klasse) gaben an, direkt betroffen zu sein. Besonders Grundschüler sehen sich Angriffen, Androhung körperlicher Gewalt, Gerüchten und Ausgrenzungen via Handy, E-Mail, Messenger oder Chat ausgesetzt. Vielfach geht das Online-Stänkern von Klassenkameraden aus. Rund 1,9 Millionen Schüler sind laut Studie bis heute Opfer von Cyber-Mobbern geworden - und es werden täglich mehr. Viele Betroffene reagierten hilflos, erklärt Institutsleiter Reinhold Jäger. Oft würden sie über Umwege von peinlichen Fotos und diffamierenden Texten erfahren.

Auch der Landesschülerbeirat Baden-Württemberg sieht das Digitale-an-den-Pranger-Stellen mit wachsender Sorge. "Es kommt häufig, viel zu häufig vor", sagt der Vorsitzende Felix Kiesele (20). "Meistens versuchen die Betroffenen unter sich damit klarzukommen. Sie loten im Freundeskreis aus, wie man sich wehren kann." In seiner Schulzeit hat der Auszubildende Cyber-Mobbing "mehrfach mitbekommen."

Cyber-Mobbing liegt im Trend, wie Werner Ebner, Pädagoge und Mobbing-Berater aus Riederich, beobachtet hat. "Im Internet gibt es Hass- und Mobbing-Foren, in denen die Schüler direkt angegangen werden. Die Leute werden namentlich beleidigt und bedroht. Über die Polizei und Provider kann man der anonymen Täter habhaft werden." Alter, soziale Schicht, Schulart spielten keine Rolle. "Jeder kann betroffen sein."

Dass Schüler gemobbt werden, ist ein altbekanntes Phänomen. Neu ist allerdings das Medium: Seinem Gegenüber im realen Leben die Meinung ins Gesicht zu sagen kostet eine gewisse Courage. Nicht so im Netz: Durch die Anonymität fallen die Hemmschwellen, andere herabzusetzen und ihnen durch Rufmord zu schaden. Ebner: "Das Opfer hat keine Ahnung, wer der Täter ist, und fühlt sich deshalb permanent bedroht." Rund um die Uhr kann der Täter - der sogenannte Cyber-Bully - in das Privatleben eingreifen. Kann nach Belieben agieren und diffamieren, ohne zu fürchten, entlarvt zu werden. "Das erzeugt massive Angst und kann zu psychosomatischen Problemen und Schulverweigerung führen", betont Ebner. "Auch Selbstmord nicht ausgeschlossen."

Der Pädagoge rät davon ab, sich auf "Online-Plattformen rumzutreiben". Wer gemobbt werde, müsse darüber reden - mit Eltern, Lehrern, Freunden oder einem Berater. Ebner: "Durch Schweigen hört das nicht auf, sondern wird schlimmer. Die Eltern sollten zur Polizei gehen und Anzeige erstatten, weil sonst der Provider die Daten der Täter nicht rausrückt."

Zahlreiche soziale Netzwerke haben inzwischen das EU-Abkommen gegen CyberMobbing abgeschlossen. Im Rahmen der europaweiten Kampagne Safer Internet Programm der EU-Kommission läuft derzeit im Fernsehen, Kino und Internet der Spot "Stop Cyber-Mobbing!". Aufklärung tut not. Vielen Jugendlichen sind die universale Öffentlichkeit und Zugänglichkeit des Internets kaum bewusst, betont Birgit Kimmel von der Landeszentrale für Medien und Kommunikation (LMK) in Ludwigshafen. Kimmel leitet die Internetseite klicksafe.de, die für mehr Sicherheit im Netz eintritt.

Was kann man als WWW-Mobbing-Opfer tun? "Auf keinen Fall auf die Beleidigungen reagieren", rät klicksafe-Mitarbeiterin Stephanie Kutscher. Dadurch würde der Cyber-Bully nur noch zum Weitermachen angestachelt. Auch sie rät Betroffenen, mit Freunden, Lehrern oder Eltern zu sprechen. Wer sozial isoliert sei, könne sich an diverse Hilfsangebote im Internet - wie etwa http://www.nummergegenkummer.de - wenden.

Doch nicht nur Schüler, auch Lehrer sind von virtuellen Angriffen betroffen. Laut einer Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sind bereits acht Prozent der Pädagogen von Cyber-Mobbern attackiert worden. Auf der interaktiven Plattform spickmich.de können Schüler ihre Lehrer benoten - anonym versteht sich. Mancher nutzt das Angebot, um mit ungeliebten Pädagogen "aufzuräumen". Nicht nur Beleidigungen, auch pornografische Montagen und "virtuelle Hinrichtungen" finden sich unter den Einträgen. "Während einige Lehrkräfte ganz gelassen auf den Vorfall reagieren, haben andere durchaus Angst und isolieren sich", erklärt GEW-Schulexpertin Martina Schmeer. Lehrer seien weit weniger Cyber-Mobbing ausgesetzt als Schüler, bei denen die Dunkelziffer hoch sei. Schmeer: "Die Folgen können für die Opfer schwerwiegend sein, vor allem wenn sie sich abkapseln."

Laut GEW-Studie sind die Opfer mehrheitlich Gymnasiasten (25,6 Prozent). Die Täter seien zu 70 Prozent männlich; 88 Prozent seien zwischen elf und 20 Jahren alt. Schmeer: "Für die Täter hat das Cyber-Mobbing nur selten gravierende Folgen wie eine Strafanzeige oder einen Schulwechsel."

Die Medienwissenschaftlerin Petra Grimm von der Hochschule für Medien in Stuttgart hat sich intensiv mit dem Thema Cyber-Mobbing auseinandergesetzt. Es gebe geschlechterspezifische Unterschiede, so ihr Fazit. Während Jungen mehr beleidigen und beschimpfen, würden Mädchen eher sexuell belästigt werden. Beide würden unter falscher Identität im Netz auftreten. Die Schwelle zum Cyber-Mobbing sei sehr viel niedriger als beim herkömmlichen Mobbing, weil die Täter meinten, sie könnten anonym bleiben. Grimm: "Deshalb sind auch Jugendliche gefährdet, die keine typischen Opfermerkmale aufweisen. Es kann schon genügen, dass eine Freundschaft oder Beziehung geplatzt ist. Gründe können verletzte Eitelkeiten, kleine Gehässigkeiten, Bagatellen sein." Viele Jugendliche hätten zudem kein Unrechtsbewusstsein und seien sich nicht im Klaren, was ihre Übergriffe beim Opfer bewirken könnten.

Für Cyber-Mobbing-Opfer gibt es keinen Rückzugsraum, keine Privatheit mehr. Sogar zu Hause gehen die Web-Attacken weiter - wie bei "Jolanta". Hinter dem Pseudonym im Forum von schueler-gegenmobbing.de verbirgt sich eine Schülerin, die seit drei Jahren in ihrer Klasse "heftig gemobbt" wird. "Jetzt geht's zum Cyber-Mobbing über", schreibt sie. "Jeden Tag sind meine Gb's in Community's voller Beleidigungen und Andeutungen. Es ist schlimm. Meine Lehrerin habe ich angesprochen deswegen. Aber es wird nichts dagegen getan."

Infos für Eltern

Die bundesweite Initiative Schau hin! rät Eltern, mit ihren Kindern über das Thema zu sprechen, und gibt Tipps, wie man sich als Cyber-Mobbing-Opfer wehren kann. Wenn Eltern erfahren, dass ihr Kind im Netz bedrängt wurde, ist es vor allem wichtig, schnell und entschieden zu handeln:

Sprechen Sie mit Ihrem Kind: Kinder sollten wissen, dass sie sich bei Problemen an die Eltern wenden können. Gemeinsam können Sie dann den Ursachen auf den Grund gehen und Lösungen finden. Wichtig ist es auch,

die Lehrer zu kontaktieren und die Eltern der Täter anzusprechen, um weiterem Mobbing zuvorzukommen.

Belege für Cyber-Mobbing sichern: Eltern sollten einen Screenshot (Bildschirmaufnahme) der unerwünschten Fotos und Informationen im Netz machen und sich Namen oder Nicknames (Spitznamen) der verantwortlichen Nutzer notieren. Wenn die Täter bekannt sind, sollten die Eltern der Täter mit den Belegen konfrontiert und aufgefordert werden, beleidigende oder verletzende Inhalte zu entfernen. Sinnvoll ist es auch, die Schule des Kindes anzusprechen, damit Cyber-Mobbing im Unterricht zum Thema gemacht wird.

Inhalte löschen lassen: Wenn die Täter die Bilder oder Inhalte nicht freiwillig löschen, können Sie die Betreiber der entsprechenden Internetseiten auffordern, die beleidigenden und verletzenden Inhalte umgehend zu löschen.

Bei Problemen hierbei können sich Eltern auch an Beschwerdestellen wie http://www.jugendschutz.net wenden.

Wenn nichts anderes hilft: Rechtliche Schritte einleiten. Sollten weder die Hinweise an die Eltern der Täter und die Schule noch der Hinweis an den Betreiber der Seite Erfolg haben, so können Sie bei massiven Eingriffen in die Persönlichkeit die verantwortlichen Nutzer bei der Polizei zur Anzeige bringen.

Ratgeber: Weitere Infos zum Thema finden sich im Schau-hin!-Medienratgeber und im Themenflyer "Schutz der persönlichen Daten Ihrer Kinder im Netz". Alle Materialien stehen unter http://www.schau-hin.info zum Download bereit oder können kostenlos unter 030/ 400059959 oder der E-Mail-Adresse: service@schau-hin.info bestellt werden.