Mann mit ruhiger Hand: John Jahr hat startet mit 48 Jahren bei den Spielen Foto: Getty

John Jahr ist eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Nach zehn Jahren Pause holte der Hamburger die Curling-Schuhe wieder vom Nagel, krempelte sein Leben um – und erlebt mit 48 Jahren seinen olympischen Traum.

Sotschi - Ohne Zweifel: John Jahr ist eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Nach zehn Jahren Pause holte der Hamburger die Curling-Schuhe wieder vom Nagel, krempelte sein Leben um – und erlebt mit 48 Jahren seinen olympischen Traum. Es war vor genau vier Jahren, als John Jahr bei den Vancouver-Spielen vor dem Fernseher ein Kribbeln spürte, das ihn nicht mehr losließ. Sotschi 2014 – der Reiz, an der Schwarzmeerküste die Steine übers Eis gleiten zu lassen, war unbezähmbar.

Jahr ist ein alter Hase im Curling. Ende der 1980er Jahre holte der Hamburger den EM-Titel, danach gewann er die Silbermedaille bei der WM. Etliche Jahre spielte er auf hohem Niveau, ließ es dann aber ruhiger angehen, um seine Karriere ums Jahr 2000 ausklingen zu lassen. Seine Familie – Ehefrau Maike und drei Kinder – sowie die Geschäfte hatten nun Priorität. John Jahr, der steinreiche Enkel des Verlegers (Gruner + Jahr), verwaltet seitdem das 2,5 Milliarden Euro schwere Vermögen der Familie, gründete eine Immobilienfirma, betreibt Beteiligungsmanagement und ist Gesellschafter der Spielkasinos in Hamburg und Wiesbaden. Keine Jobs, bei denen es einem langweilig wird. Dennoch ließ ihn ein Gedanke nie los: Kann ich noch richtig gut spielen? John Jahr gibt zu: „Ich wollte außerhalb der Finanzwelt noch einmal auf einem anderen Gebiet Anerkennung erlangen. Aber dass ich tatsächlich die Schuhe noch mal vom Nagel hole, daran hätte ich nie gedacht.“

Doch der Traum von Olympia schwirrte in seinem Kopf. Es packte ihn der Ehrgeiz, und er fand gleichgesinnte Mitstreiter im Curling Club Hamburg, den sein Großvater 1969 gründete. Mit Christopher Bartsch (34), Felix Schulze (33), Peter Rickmers (34) und Sven Goldemann (44) – alles waschechte Hamburger – wagte er sich an das Projekt Sotschi. Jahr übernahm die Führungsrolle, wurde Skip des Teams. Als Kapitän gibt er die Kommandos, liest das Spiel und sagt an, wohin die Steine gespielt werden sollen. Dem einzigen Hamburger Wintersportteam gelang es, die bayerische Vorherrschaft aus Füssen zu brechen. John Jahr führte seine Mannen erst von der B- in die A-Gruppe, danach holten sie sich im Dezember in Füssen den Startplatz für Sotschi. Der Bundestrainer findet denn auch lobende Worte. „Es ist phänomenal, was John Jahr in seinem Alter leistet. Er ist als Leader extrem wichtig, er führt die Mannschaft ganz wunderbar“, sagt Martin Beiser (42), als Allgäuer der einzige Bayer im Team.

Für das Olympiaticket krempelte das Quintett, lauter Amateure, das Leben komplett um. Der Deutsche Curling-Verband stellte einen Ernährungsberater, Athletikcoach, Physiotherapeuten und einen Mentaltrainer zur Verfügung. „Ich habe noch nie so viel trainiert wie im letzten Jahr. Konditionell war ich schon vorher recht gut drauf, allerdings hat sich das Spiel während meiner langen Pause enorm weiterentwickelt“, sagt John Jahr. Das sogenannte Wischen mit dem Besen bleibt dem ältesten deutschen Olympiateilnehmer als Skip erspart. „Und das ist auch gut so, das sollen die Jüngeren machen“, sagt Jahr und grinst. Der Puls schnellt beim Schrubben bis auf 180 hoch.

Im Auftaktspiel gegen Gold-Favorit Kanada zeigten die deutschen Curler, was in ihnen steckt. Bis zum Schluss konnten sie das Spiel (8:11) offenhalten, auch gegen die hoch gewetteten Briten (6:7) und Norweger (5:8) hielten sie stets mit. „Wir sind ganz nah dran an den Topteams, das wissen wir nun, aber nun müssen wir den Sack auch mal zumachen“, ärgerte sich Felix Schulze, „es nützt uns nichts, nur sagen zu können, wir spielen hier toll mit.“ Das Ärgerliche: Auch gegen China gelang die Wende nicht. Es setzte eine 7:11-Niederlage. Die Halbfinal-Teilnahme ist damit nur noch theoretisch möglich. „Am Ende hat leider wieder dieser Tick gefehlt“, sagte Bundestrainer Beiser.

Und was kommt nach den Winterspielen? Im April geht es zu den Weltmeisterschaften nach Peking. Dann ist für John Jahr definitiv Schluss, er hängt seine Curling-Schuhe an den Nagel. Für immer. Garantiert.