Wer an Tee glaubt, kann derzeit in Internet hohe Gewinne erwirtschaften – oder die investierte Summe komplett verlieren. Foto: Jonas Helbig

Ein junges Unternehmen will mittels Crowdfunding massenhaft Menschen von der Investition in hiesige Kleinfirmen überzeugen, aktuell in einen Teeladen. Wer die Anlage erwägt, hört vorab die Warnung vor dem Totalverlust.

S-Mitte - Gemäß dem Börsenkalauer für erfolglose Anleger ist Geld nie weg, es hat immer nur ein anderer. Also spricht Mario Buric wirtschaftlich korrekt vom „Risiko bis hin zum Totalverlust“. Was eine ungewöhnliche Gesprächseröffnung ist für einen, der eine Geldanlage preisen will. Zurückübersetzt in die Sprache des Volksmunds, unmissverständlich: Wer Buric’ Vorschläge als gewinnbringende Anlage erwägt, möge bedenken, dass sein Geld weg sein kann, nicht ein Teil, alles.

Volker Reif, Buric’ Kompagnon, eröffnet das Gespräch mit einer Frage statt einer Warnung: „Sagt Ihnen Crowdfunding etwas?“ Die Antwort ist oft ein Achselzucken. Die direkte Übersetzung des Begriffs erhellt die Tatsachen nicht sonderlich: Menschenmengenfinanzierung. Nun denn.

Crowdfunding ist das Einsammeln von Geld im Internet. Wer jemanden unterstützen will, der Hilfe erbittet, ist nur ein paar Mausklicks von einer Überweisung entfernt. Manches mutet merkwürdig an. Aktuell sammelt ein Journalist Geld, weil er die Bundesregierung auf Herausgabe von Informationen verklagen will oder ein Pornodarsteller, der ein Buch verfassen möchte, um das Volk mit der Wahrheit über seine Branche zu erotisieren. Dieses Geld ist garantiert weg. Beide bitten um Spenden.

Buric und Reif bitten hingegen um Geld von Anlegern, denen die Bankzinsen zu mickrig, der Wertpapierhandel zu schwierig, der Einstieg in Immobilienfonds zu teuer ist. Sie sind keine Spinner, sondern Wirtschaftswissenschaftler. Gemeinsam mit drei anderen, zwei von ihnen noch Wirtschaftsstudenten, haben sie die Firma Crowdnine gegründet, deren Geschäftszweck das Crowdfunding ist. Der Firmensitz ist im Osten, aber eher eine theoretische Adresse. „Das Meiste geht übers Homeoffice“, sagt Buric.

Tee soll bis zu zwölf Prozent Rendite bringen

Aktuell sammelt Crowdnine Geld für einen Teeladen namens „12 Sinne“, der sein Geschäft ausdehnen will. 50 000 Euro sollen zusammenkommen. Ob das Geld irgendwann weg sein wird, ist eine Glaubensfrage. Wer an Tee glaubt und Recht behält, kann im ersten Jahr vier, im fünften gar zwölf Prozent Zinsen kassieren. So haben es die beiden Geschäftsführer des Ladens vorausberechnet. Ihren Geschäftsplan können Interessenten online lesen.

Wer sein Geld in die 12 Sinne investieren will, muss – anders als bei anderen Anlagen – keine Gebühren zahlen. Das Geschäft wird direkt zwischen Geldgeber und Unternehmen abgewickelt, ohne Umwege über Vermittler oder Berater. 100 Euro sind die minimale, 10 000 die maximale Einlage.

Crowdnine lebt davon, dass die Firma knapp zehn Prozent des eingesammelten Kapitals als Provision kassiert, für Vermittlung, Beratung und das Prüfen des Geschäftsplans. Hinzu kommen Wirtschafts-Seminare, aus denen die Einnahmen bei 50 Euro Teilnahmegebühr auch nicht üppig fließen. Weshalb die Gründer und Mitarbeiter von ihrer Firma keineswegs leben können.

Die Gründer arbeiten nebenberuflich für ihre Firma

Reif und Buric arbeiten nur nebenberuflich für Crowdnine. Für den Broterwerb ist der eine Anlage-, der andere Kreditberater. „Das Ziel ist schon eine Vollexistenz, aber wir sind Realisten“, sagt Buric, also „erstmal nur für einen“ jener fünf. Allerdings paart sich der Realismus mit einer Portion Idealismus. Auf dem fußt die Idee des Crowdfunding ohnehin.

Das Geschäft wäre durchaus ausbaubar, aber „wir lehnen viele Interessenten ab“, sagt Reif. Grundvoraussetzung ist, dass ein Unternehmen bereits existiert und seinen Sitz in der Region Stuttgart hat, damit „man dem Unternehmer in die Augen schauen kann“, sagt Buric. Am Beispiel des Teeladens: Jeder kann selbst prüfen, ob das Personal freundlich ist und den Tee kosten, bevor er sein Geld überweist.

Ungeachtet dessen wird im Studium der Wirtschaftswissenschaften nicht Gutmenschentum gelehrt, sondern Gewinnmaximierung. Die Crowdnine-Gründer arbeiten durchaus daran, ihre Einnahmen zu erhöhen. Beim Existenzgründertag des Wirtschaftsministeriums referieren sie genauso wie beim Handwerkstag. Inzwischen kann durchaus mancher Bäcker oder Markisenbauer das Wort Crowdfunding flüssig aussprechen. „Das Interesse ist da“, sagt Buric. Und anders als in Berlin oder München steckt diese Art der Geldanlage in Stuttgart eben noch in ihren Anfängen fest.